Streit um Queerpolitik: „Das Selbstlob von Jens Spahn stinkt gewaltig“

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Zwei Monate vor der Bundestagswahl hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) seine Errungenschaften für wegen ihrer sexuellen Identität diskriminierte Menschen herausgestellt. In einem Schreiben an die Koalitionsfraktionen verwies Spahn unter anderem das 2020 beschlossene Verbot der Konversionstherapie; das auf den 20. Juli datierten Schreiben an die Fraktionen von Union und SPD im Bundestag lag AFP am Freitag vor.

Foto: Deutscher Bundestag / Simone M. Neumann

Spahns Darstellung stieß allerdings auf Widerspruch: „Das Selbstlob von Jens Spahn stinkt gewaltig“, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven Lehmann zu AFP. „Die aktuelle Bundesregierung ist queerpolitisch ein Totalausfall“, kritisierte der Grünen-Experte. Deutschland sei in den letzten Jahren in Sachen Gleichstellung und Anti-Diskriminierung „zurückgefallen“. Lehmann bemängelte, dass es auf Bundesebene bislang keinen Aktionsplan für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt gebe - trotz einer entsprechenden EU-Strategie.

Scharfe Kritik an dem Schreiben kam auch vom Lesben- und Schwulenverband LSVD, der es als „Mogelpackung“ bezeichnete. Spahn feiere sich für „angebliche Erfolge“, erklärte LSVD-Bundesvorstandsmitglied Alfonso Pantisano. „Dabei sind diese Maßnahmen nicht auf Initiative des Ministers, sondern auf massiven Druck aus der Zivilgesellschaft entstanden.“ Spahn beschreibt in der vom LSVD öffentlich geteilten Anlage zu dem Brief, auf Wirken seines Ministeriums würden die Voraussetzungen für Blutspende von Männern, die mit Männern Sex haben, verändert – derzeit gilt für diese Männer de facto noch ein Blutspendeverbot. Laut Spahn soll die Richtlinie dahingehend verändert werden, dass solche Männer nicht mehr zwölf Monate enthaltsam gelebt haben müssen, um Blut zu spenden.

Der Grünenpolitiker Lehmann warf Spahn gegenüber AFP vor, es versäumt zu haben, Diskriminierung bei der Blutspende innerhalb der Legislaturperiode zu beenden. Auch der LSVD bemängelte daran, dass es weiter eine Ungleichbehandlung geben solle ­ denn Frauen und heterosexuelle Männer sollen anders als homosexuelle Männer auch bei wechselnden Sexualpartnern und –partnerinnen Blut spenden dürfen.

Streit um Verbot der Konversionsverfahren

Foto: Sven Lehmann

„Dass der Bundesgesundheitsminister als schwuler Mann dies als Erfolg feiert, ist ein Betrug an der queeren Community“, erklärte Pantisano. Als unzureichend kritisierten Verband sowie der Grünen-Politiker Lehmann auch die neue Regelung zur Einschränkung so genannter Konversionstherapien; diese „Therapien“ zielen darauf ab, die homosexuelle Orientierung eines Menschen zu ändern beziehungsweise zu „heilen“. Die Neuregelung legt fest, dass die umstrittenen Therapien bei unter 18-Jährigen generell verboten werden. Diese Grenze nannte der LSVD „viel zu niedrig“, seiner Ansicht nach hätte sie mindestens bei 26 Jahren liegen müssen, da viele Menschen sich erst später bei ihren Eltern outen und „in Konversionsbehandlungen gedrängt“ würden.

„Die so genannten ‚Konversionsbehandlungen’ wurden zwar in einigen Fällen verboten, aber das verabschiedete Gesetz enthält entscheidende Lücken, so dass es bisher wirkungslos bleibt“, kritisierte auch Lehmann. Der Gesundheitsminister weist in dem Dokument außerdem darauf hin, dass Menschen mit erhöhtem HIV-Infektionsrisiko seit September 2019 einen Anspruch auf Beratung, Untersuchung und Arzneimittel zur Vorsorge (PrEP) haben.

Darüber hinaus listet das Dokument Projekte auf, mit denen die Stigmatisierung inter- und transgeschlechtlicher Menschen verringert werden soll. Auch dazu gab es Widerspruch aus Opposition und Verbänden. *AFP/ck

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