Gedenken in Dresden: Regenbogenbeleuchtung wird Symbol systematischen Schweigens

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Alles ist wie immer. Nur viel schlimmer. Denn diesmal war es keine Beleidigung, keine Platzwunde. Am 4. Oktober wurde ein Schwuler vermutlich deswegen ermordet, weil er und sein Mann sichtbar waren. Sichtbarkeit, die dem Staat – ja was eigentlich? 

Foto: Torsten Herbst / FDP im Bundestag

Etwa 350 Menschen gedachten am 1. November auf dem Altmarkt in Dresden dem Opfer des mutmaßlich ersten tödlichen islamistisch-homophoben Hassverbrechens in Deutschland. 

Thomas L. (55) und sein Lebenspartner Oliver (53) wurden am 4. Oktober in der Rosmaringasse hinter dem gestern in Regenbogenfarben erstrahlenden Kulturpalast mit Messern angegriffen, Oliver (53) starb an den schweren Verletzungen.

Am 20. Oktober nahm die Polizei den Syrer Abdullah A.H.H. (20) unter Mordverdacht fest. Ein einschlägig verurteilter Islamist, der 2017 das erste Mal verhaftet wurde, weil er ein Selbstmordattentat in Dresden plante. Während der knapp dreijährigen Haftstrafe wurde er gewalttätig und vom Amtsgericht Leipzig am 9. Dezember 2019 wegen tätlicher Angriffe auf Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung in zwei Fällen verurteilt. Nur fünf Tage nach seiner Haftentlassung soll er auf das ahnungslos seinen Urlaubsabend genießende schwule Paar eingestochen haben. 


Tatmotiv Homohass?

Der Spiegel war es, der am 22. Oktober nach eigenen Recherchen in sächsischen Sicherheitskreisen erstmals über das mögliche Tatmotiv Schwulenhass spekulierte (Quelle). Darauf angesprochen reagierte der Dresdner Oberstaatsanwalt auf einer Presskonferenz am selben Tag unwirsch:

„Als Staatsanwaltschaft äußern wir uns zur sexuellen Orientierung von Tatopfern nicht. Das ist nicht unsere Zuständigkeit, nicht unsere Aufgabe, insofern gibt es hierzu keine Angaben."

Jürgen Schmidt, Oberstaatsanwalt Dresden 

Wie kann eigentlich ein gegen die sexuelle Orientierung gerichtetes Verbrechen als solches erkannt und geahndet und eine Gesellschaft präventiv dagegen vorgehen, wenn es nicht einmal benannt werden darf oder soll?

Zu erwarten wäre außerdem, wie bei rassistischen oder antisemitischen Hassverbrechen mit ideologischem Hintergrund üblich, dass die Bundesregierung und ggf. der Bundespräsident neben der emotionalen Anteilnahme, das mutmaßliche Motiv und daraus schlussfolgernde Handlungsbekundungen öffentlich äußern.

Nichts davon ist bis zur gestern durch den CSD Dresden e.V. organisierten Gedenkveranstaltung passiert, an der auch kein Mitglied der Bundesregierung teilgenommen hat. Es gab über den Regierungssprecher ausgerichtete Allgemeinplätze der Kanzlerin ohne Hinweis auf das mögliche Tatmotiv.

Das ist erschreckend wie auch nicht verwunderlich gleichzeitig. Warum letzteres, führen wir weiter unten im Artikel aus.


„Wir werden nicht aufhören, bis wir ein offizielles Gedenken haben!“

Dass es am 1. November ein sichtbares Zeichen des Gedenkens und damit Sichtbarkeit für das tödliche Problem Homosexuellenhass gab, war kein Verdienst von Politik und Verwaltung, sondern des CSD Dresden, des CSD Deutschland e. V. und der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. männer* fragte bei CSD Dresden Vorstandsmitglied Ronald Zenker nach, wie es dazu kam und was noch kommen muss.

Foto: Phil Grafe

Wer hatte die Idee für die Mahnwache?

Wir hatten eine Art Vorahnung, dass sich die Politik vielleicht nicht wie von uns als Queeraktivist*innen erwartet engagiert. Darum haben wir neben einem offenen Brief an die Stadt Dresden, das Land Sachsen die Bundesregierung und Bundespräsident Steinmeier auch eine Mahnwache angekündigt und vorgeschlagen, die Regenbogenfahne am Dresdner Rathaus auf Halbmast zu hängen.  Stattdessen wurde es jetzt ein leuchtendes Zeichen direkt am Tatort des Verbrechens. Die Zusammenarbeit mit der Stadt war nicht zu beanstanden und ich freue mich auch, dass mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Martin Dulig (SPD) und dem Ersten Bürgermeister Detlef Sittel (CDU) auch Stadt und Land vertreten waren – wegen der Kurzfristigkeit des Termins hat Herr Dulig sogar seinen Urlaub unterbrochen.

Dennoch bist Du auch enttäuscht – warum?

Es war kein Mitglied der Bundesregierung da, auch von Herrn Bundespräsident Steinmeier haben wir keine Antwort auf Einladung und Brief erhalten. Dabei hat er sich noch am 30. Oktober anlässlich des 30. Jubiläums des LSVD mit dessen Vorstand im Schloss Bellevue getroffen. Die zuständige Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung im sächsischen Landtag Katja Meier (Grüne) sagte uns mit Verweis auf laufende Haushaltsverhandlungen ab. Der Landtag ist „drei“ Fußminuten vom Gedenkort entfernt. 

Foto: BMH/Sabine Hauf

Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld hat den Brief mit euch gemeinsam erstunterzeichnet. Ihr Vorstand Jörg Litwinschuh-Barthel sagte einen Tag vor der Mahnwache dem Tagesspiegel

„Ich bin mehr als irritiert, dass die Behörden ein wichtiges Tatmotiv verschweigen. Das wäre zum Beispiel bei PoC- oder jüdischen Opfern nicht passiert. Das sollte die LSBTIQ-Community aufhorchen lassen."

Stimmst Du dem zu?

Ja natürlich. Wir werden das nicht länger hinnehmen und ich appelliere an die queere Szene, den Brief zu unterzeichnen, ihre Abgeordneten zu kontaktieren und was sonst noch alles an Aufschrei möglich ist. Es ist mir viel zu leise! Wir werden nicht aufhören, bis wir ein offizielles Gedenken haben!

Wie soll das aussehen?

Wir wünschen uns einen Staatsakt und selbstverständlich wie an jedem Ort des Terrors eine Gedenkplatte oder ein anderes sichtbares Zeichen. 


Staatlichen Ignoranz von homo- und transfeindlichen Hassverbrechen hat System

Homo- und Transphobie sind für den derzeitigen Innenminister Horst Seehofer (CSU) und seine Amtsvorgänger Thomas de Maizière, Hans-Peter Friedrich und Wolfgang Schäuble (alle CDU) kein Thema.

Spätestens seit 2013 und der zweiten GroKo hätte es eines sein müssen, denn im Koalitionsvertrag war von der SPD ein nationaler Aktionsplan hineinverhandelt worden. In der Legislatur wurde von der Fraktion unter Johannes Kahrs und Karl-Heinz Brunner auch ein diesbezüglicher Kick-off-Event mit Verbänden wie VelsPol (Verband queerer Polizisten) und dem Lesben und Schwulenverband Deutschland (LSVD) gestartet.

Foto: Christian Knuth

Seit dem ist von der Regierung zum Thema queerfeindliche Hassverbrechen nur noch über die einmal jährlich und nur auf Anfrage der Opposition veröffentlichten Zahlen in Ergänzung zur Kriminalstatistik zu hören.

Sie sind bis heute nur ein Flickwerk aus den validen Zahlen der Hauptstadt Berlin, wo seit 2012 konsequent gezählt und veröffentlicht wird,  plus „was so anfällt“ aus den 14 weiteren Bundesländern. Dennoch stiegen die gemeldeten homo-und transphob motivierten Straftaten in 2019 im Vergleich zu 2018 um mehr als 60 Prozent – bei Gewalttaten sogar um fast 70 Prozent.   

Schwule klatschen“ bleibt auch 2020 Hassverbrechen 2. Klasse

Als das neueste Gesetz zur Bekämpfung von Hassverbrechen, sich im Januar 2020 auch wieder nur gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus richtete, platzte dem LSVD der Kragen: 

„Noch nie hat Bundesinnenminister Seehofer eine homophobe oder transfeindliche Gewalttat explizit öffentlich verurteilt. Es gibt keinerlei Maßnahmenprogramm. Dabei geschehen homophobe und transfeindliche Gewalttaten tagtäglich in Deutschland. Seit Jahren weigert sich die Große Koalition, bei der von ihr eingeführten Bestimmung zur Hasskriminalität im deutschen Strafrecht homophobe und transfeindliche Motive im Gesetz ausdrücklich zu benennen. Auch beim neuesten Gesetzesvorhaben von Bundesjustizministerin Lambrecht zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität bleiben Homophobie und Transfeindlichkeit im Gesetzestext erneut ausgegrenzt.“ 

LSVD im Februar 2020

To be continued ...

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