Interview: Schwul in der Bundeswehr

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Neue Offenheit mit queeren Themen hat Bundesverteidigungsministerin Frau Dr. Ursula von der Leyen im Januar verlangt und erste Maßnahmen ergriffen. Aber wie lebt und arbeitet es sich eigentlich als schwuler Mann heute und gestern bei der Truppe? Stefan Wolf, Stabsfeldwebel und Karriereberater bei der Bundeswehr, nahm sich Zeit, um seine ganz persönlichen Erfahrungen mit euch zu teilen.

Foto: Mark Karmin

Warum bist du zur Bundeswehr gegangen?

Ich bin 1991 eingezogen worden. Während des Wehrdienstes wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, auch länger dabeizubleiben. Konnte ich! Die Arbeit als Soldat machte mir Spaß. Später schloss ich meine Feldwebelausbildung zum Militärkraftfahrlehrer ab, spezialisiert auf den Schützenpanzer „Marder“. Ich habe viele Jahre Panzergrenadiere ausgebildet, sodass sie mit diesem 37-Tonnen-Fahrzeug umgehen können.

Was hat dich denn besonders gereizt?

Die klaren Strukturen haben mir persönlich gutgetan. Die Ausbildung ist sehr gut, und auch die Kameradschaft ist mir wichtig gewesen. Außerdem das Potenzial, sich weiter entwickeln zu können als in einem normalen Handwerksberuf. Ich habe vor der Bundeswehr die mittlere Reife gemacht und meine Ausbildung zum Energieelektroniker abgeschlossen. Ich wollte eine neue Herausforderung, und in der Bundeswehr habe ich mich gebraucht und wertgeschätzt gefühlt.

War deine Homosexualität für dich damals ein Thema?

Das war tatsächlich weniger im Fokus. Ich habe mich auf meine Ausbildung und meinen Beruf konzentriert. Natürlich hat man als junger Mann seine sexuelle Orientierung. Ich habe mich aber damals noch nicht festgelegt, sondern beides zugelassen.

Also ähnlich wie beim Job eher auf der Suche. Wie kam es denn dann zum Coming-out bei der Bundeswehr?

1991, als ich eingezogen wurde, wäre ich noch ausgemustert worden, wenn ich offen gesagt hätte, dass ich schwul bin. Damals galt Homosexualität noch als Krankheit. Für mich war das Nach-außen-Leben meiner Sexualität, wie eben beschrieben, nicht wichtig. Mit zunehmendem Alter wurde es aber immer wichtiger. Als ich dann Oberfeldwebel war – ich denke das war 1997 oder 1998 – bin ich zu meinem Zugführer gegangen. Er war für mich eine väterliche Vertrauensperson. Bei ihm habe ich mich unter vier Augen geoutet und ihn um Hilfe gebeten, weil es irgendwann so anstrengend war, sich ständig zu verstecken, ausweichen zu müssen. Es gab immer wieder dienstliche Veranstaltungen mit Begleitung, und du wirst gefragt: Hast du eine Freundin, wen bringst du mit?

Irgendwann ist ein Level erreicht, wo dir das zu viel wird.

Ende der Neunziger war auch die Gesellschaft bereits so weit, dass man zumindest nicht mehr direkt mit negativen Auswirkungen auf die Karriere rechnen musste.

Und was ist passiert?

Also ich bin hin und habe es ihm erzählt. Es war natürlich nicht ganz einfach und ich habe lange über die richtigen Worte nachgedacht. Er ist immerhin ein Vorgesetzter und eine Respektsperson. Er hat es aber völlig gut aufgenommen und gesagt: „Alles klar, passt. Bist du dir sicher, dass du dazu stehst? Und hältst du das auch am Schluss aus?“ Ich war mir sicher und habe Ja gesagt, und dass es natürlich keine Spielerei oder Hirngespinst wäre – ich bin schwul. Er ist zu meinen Kameraden gegangen, den anderen Fahrlehrer-Feldwebeln, und hat nur gesagt: „Passt mal auf: Der Wolf hat sich bei mir geoutet, er ist schwul! Ich will dazu von euch jetzt kein Statement hören, ich will nicht, dass ihr über den Kameraden Wolf schlecht redet oder lästert. Ich gehe jetzt zum Kompaniechef und werde das dort auch noch melden.“ Damit war der Drops für den Tag gelutscht.

Und am nächsten Tag?

Das Thema ging sofort wie ein Lauffeuer rum. Am nächsten Tag hat es die ganze Kaserne gewusst. Ich habe es sofort gemerkt, als ich im Feldwebelheim zum Frühstück ging. Ich machte die Tür auf, und in dem Moment wurde es mucksmäuschenstill. Alle Blicke waren auf mich gerichtet.

Das ist wirklich so eine Situation, in der du nur denkst, Herrgott, lass mich im Boden versinken.

Aber auch das steht man durch. Natürlich musst du trotzdem den ein oder anderen Blick aushalten und es geht schon an die Substanz. Kein Heterosexueller muss seine Sexualität behaupten oder erklären, ein schwuler Mann oder eine lesbische Frau muss das immer wieder. Besonders bei heterosexuellen Männern läuft ein Film im Kopf ab, wenn sie wissen, dass das Gegenüber schwul ist. Sei es nun bei gemeinsamen sportlichen Aktivitäten oder beim Gruppenduschen. Das ist aber kein Bundeswehrproblem, sondern ein gesamtgesellschaftliches.

Foto: Mark Karmin

Wie meinst du das?

Wenn ich heute junge Soldaten habe, die aus ländlichen Gebieten kommen, passiert es noch immer, dass die aus allen Wolken fallen. Da hörst du dann Sachen wie „Du bist der erste Schwule, den ich kennenlerne“, und dann kommt im Nachklapp dieses typische „Das ist ja eigentlich gar nicht so schlimm.“ Ich frage da schon gar nicht mehr nach, weil ich das inzwischen so oft gehört habe. „Nicht schlimm“ heißt eigentlich, „Du bist ja genauso wie wir. Also Mensch.“

Wie betrachtest du die Zeit rückblickend?

Ich wollte ehrlich sein. Transparent. Das heißt aber auch, dass ich einige, die ich über die Jahre als Kameraden kennengelernt habe, in ihren privaten Gefühlen und Empfindungen verletzt habe. Plötzlich steht für sie ein anderer Mensch vor ihnen. Das habe ich aber erst viel später begriffen. Darüber denkst du in dem eigentlichen Coming-out-Prozess nicht wirklich nach.

Kannst du ein Beispiel nennen?

Manche haben nach meinem Outing nicht mehr mit mir gesprochen. Ich hab mir einfach gedacht, die wollen von mir nichts mehr wissen. Das war aber gar nicht so. Drei, bei denen ich dann später nachgefragt habe, warum sie den Kontakt abgebrochen haben, meinten, sie seien auf mich sauer gewesen. Sie hätten unser Verhältnis so eingeschätzt, dass sie erwartet hätten, dass ich ihnen das persönlich erzähle.

War das Coming-out im Privaten oder in der Bundeswehr einfacher?

In der Bundeswehr, weil es dort Strukturen gibt und Richtlinien. Man ist in Uniform. Wir sind alle gleich, egal ob Mann, Frau, schwarz, asiatisch, weiß, schwul oder lesbisch. Das war damals, als ich mich geoutet habe, gerade der Anfang dieser Wandlung – 1999/2000 wurde man führender Positionen durchaus noch enthoben, weil es viele Kommandeure gab, für die es unvorstellbar war, einen Schwulen, eine Lesbe in Führungspositionen zu sehen. Wir haben jetzt aber 2017, ich bin nun 27 Jahre bei der Bundeswehr. Die Öffnung im Bereich LGBTIQ* ist da.

Was die ganzen männlichen Minister in dieser Zeit nicht zustande gebracht haben in diesem Bereich – zumindest ist das meine Wahrnehmung –, schafft jetzt eine Frau an der Spitze, Frau Dr. von der Leyen, und das in einem wahnsinnigen Tempo.

Ich selbst hatte damals Glück mit meinen Vorgesetzten, das hätte auch anders laufen können.

Foto: Bundeswehr

Gibt es queere Strukturen in der Bundeswehr?

Es gibt den Arbeitskreis homosexuelle Soldaten als eingetragenen Verein, der mit dem Verteidigungsministerium zusammenarbeitet und für unsere Belange kämpft. Ich habe da keine Berührungspunkte, weil ich mich nicht über mein Schwulsein als Soldat definiere, sondern über mein fachliches Können.

Du warst auch im Ausland im Einsatz. Wie war das dort?

Ich war 2005 in Sarajevo als Feldnachrichtensoldat, also HUMINT-Soldat. Und falls du darauf anspielen wolltest: Ja, es gibt natürlich sexuelle Aktivitäten in solchen Einsätzen. Ich hatte zwei Erfahrungen mit heterosexuellen Kameraden in fester Beziehung. Die haben das aber nicht wirklich als Fremdgehen angesehen.

Mein zweiter Auslandseinsatz, 2009, war in Kunduz in Afghanistan. Da war ich schon mit meinem jetzigen Mann zusammen. Wir haben aber vereinbart, dass wir uns treu bleiben, womit für mich das Thema erledigt war. Aber man bekommt natürlich mit, was in der sogenannten Einsatzfamilie passiert. Wir hatten jeden Donnerstag einen schwulen Stammtisch, sofern es der Dienst und die Einsatzlage zuließen. Jeder Soldat bildet sich im Einsatz Strukturen, in denen du deine Sozialpsychohygiene betreibst. Und es gab auch durchaus schwule Communitys vor Ort im Stützpunkt sowie Kontakte zu Soldaten anderer Nationen.

Foto: Jens / CC0

Wie war denn der Dienst?

Ich bin als Unterstützungsfeldwebel für die katholische Militärseelsorge eingesetzt worden. Ich war gerade ein Jahr vorher aus der Kirche ausgetreten und hab das schon als eine Art Schicksalsprüfung wahrgenommen. Na ja. Der Dienst begann, und es lief auch ganz gut, bis der Seelsorger, dessen rechte Hand ich war, herausbekam, dass ich schwul bin. Für mich war das gar kein Thema, weil ich ja nicht katholischer oder schwuler Soldat bin, sondern einfach nur Soldat. Für ihn war es aber ein Problem:

Ein schwuler Soldat in einer katholischen Militärseelsorge im Einsatz? Das geht nicht!

Ich habe das durchaus persönlich genommen und war enttäuscht. Später habe ich dann auch erfahren – wir haben immer noch Kontakt –, dass er gar nichts gegen mich hatte, sondern die Politik der katholischen Kirche vertreten musste. Da ich aber nicht ihm, sondern meiner Stabsstelle unterstellt war, wurde sein Ersuchen mich zu ersetzen abgelehnt.

Zu dieser Zeit war die Sicherheitslage im Raum Kunduz extrem angespannt, es gab immer wieder heftige Gefechte, Fahrzeuge wurden zerstört, es gab verletzte Kameraden, wir hatten jede Woche zwei oder drei Raketenangriffe aufs Lager.

Mein dritter Auslandseinsatz war wieder in Afghanistan als Truppenpsychologiefeldwebel. In dieser Zeit begleitete ich eine Bundeswehrpsychologin, die eine sehr gute Freundin von mir ist. Wir bildeten ein Team zur Truppenbetreuung für die Gebiete Mazar-i Sharif, Kabul-Stadt und Kandahar. Wir sind auch kurz in Bagram und Kunduz gewesen. Es gab noch ein zweites Team, und mit dem Teamkameraden sollte ich eigentlich in einem Wohncontainer untergebracht werden, einem Kameraden von der Gebirgsjägertruppe. Er hat aber vor Einsatzbeginn erfahren, dass ich schwul bin, und dann dafür gesorgt, dass er woanders untergebracht wird. Als wir uns kennengelernt haben und ich nachgefragt habe, war es ihm dann peinlich. Auch hier wieder, weil ihm einfach die Erfahrung fehlte und er sich wahrscheinlich irgendwelche Sa chen im Kopf ausgedacht hat. Um es noch einmal ganz klar zu sagen:

Wir haben ein gesellschaftliches Problem mit Homophobie, das aber kein bundeswehrspezifisches ist und das durch Kommunikation und Kontakt in den meisten Fällen gut geklärt werden kann.

Foto: Bundesministerium der Verteidigung

Hat sich seit dem Workshop im Januar etwas verändert?

Ja. Ich stelle schon etwas fest … wenn ich das auf gut Bayrisch sagen darf: Endlich hatte jemand den Arsch in der Hosen, das Thema offen anzugehen und vor allem auch öffentlich zu machen – innerhalb der Bundeswehr und in der Gesellschaft. Meine Ministerin als Vorreiterin für unsere Community, das hat natürlich unglaubliche psychologische Auswirkungen. Ich denke, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch der Letzte versteht, dass es völlig unerheblich für den Beruf Soldat ist, schwul, lesbisch, bi oder trans* zu sein.

*Interview: Jörg Garstka/Christian Knuth

Fotos: Mark Karmin

Im Rahmen des Interviews mit Stefan Wolf hatten wir die Gelegenheit, auch seinen Vorgesetzten, Oberst Neißendorfer, Leiter des Karrierecenters der Bundeswehr in Bayern zu befragen.

Herr Oberst Neißendorfer, was genau machen sie?

Ich bin für die Nachwuchsgewinnung in Bayern zuständig. Das mache ich zusammen mit meinen Männern und Frauen, verteilt auf 17 Büros, in denen wir junge Menschen zu zivilen und militärischen Werdegängen in der Bundeswehr beraten.

Und wie ist der Zulauf?

Wir würden uns immer viele junge Menschen wünschen, die sich für die Bundeswehr interessieren, denn sie ist ein gesuchter Arbeitgeber. Wir können uns über fast alle Laufbahnen hinweg nicht über zu wenig Bewerber beklagen. In speziellen Laufbahnen, insbesondere IT und Sanitätsdienst, haben wir – wie die zivile Wirtschaft auch – Nachwuchsprobleme.

Wie stehen sie zu LGBTIQ*?

Sexuelle Orientierung ist Gott sei Dank für meine Dienststelle und mich kein Thema, wir nehmen die Menschen so, wie sie sind. Wir wünschen uns die Vielfalt, die Vielfalt macht uns aus. Letztendlich ist es der Mensch in der Uniform, und nicht, welche Orientierung er hat.

*Interview: Jörg Garstka

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