Ukraine: Queers an der Front

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Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine haben auch viele queere Ukrainer*innen aus Verzweiflung zur Waffe gegriffen, um sich gegen die russische Besetzung zu wehren – trotz anhaltender Diskriminierung im eigenen Land. Ihr Credo: „Entweder wir verteidigen unser Land und es wird ein Teil der freien Welt, oder es gibt keine Freiheit für uns und wir werden überhaupt keine Ukraine sein.“

Viele queere Ukrainier*innen können nirgendwo hin und sitzen fest – andere haben sich ganz bewusst dafür entschieden zu bleiben. In den letzten Wochen haben sich viele Mitglieder der LGBTIQ*-Community eilig auf die Invasion Russlands vorbereitet. The Daily Beast hat mit queeren Kampffreiwilligen gesprochen, die sich den russischen Truppen entgegenstellen wollen.

Veronika Limina, die in Lemberg im äußersten Westen des Landes lebt, leitete vor dem Angriff ein Camp, in dem sie freiwilligen LGBTIQ*-Kadett*innen grundlegende Kampftechniken beibrachte und sie medizinisch schulte. Sie selbst hatte sich für die territorialen Verteidigungskräfte von Lviv gemeldet und sagte, sie sei jederzeit bereit, sich den Kämpfen anzuschließen, wenn Putins Streitkräfte nach Westen vorrücken. Sie werde kämpfen, um ihr Land zu retten. Limina arbeitet für eine Nichtregierungsorganisation, die sich für die Gleichberechtigung von LGBTIQ*-Personen im Militär einsetzt und sagte, die queere Community in der Ukraine würde sich trotz der anhaltenden Diskriminierung im eigenen Land der russischen Besatzung widersetzen. Die Alternative sei unerträglich. Mittlerweile ist Limina bereits an der Front.

Viktor Pylypenko, der schon im Osten des Landes gegen pro-russische Separatisten gekämpft hat, erklärte 2021 in einem Interview mit Reuters, er habe sich damals freiwillig für die Front gemeldet, weil er verstanden habe, „dass sie [die Separatisten] uns der Freiheit berauben wollen, sie wollen das ganze Land der Freiheit berauben. Als schwuler Mann war ich dafür sehr empfänglich“. Es gebe eine direkte Verbindung zwischen seiner sexuellen Orientierung und der Sache, für die er im Donbass gekämpft hat – „eine freie und souveräne Ukraine, in der alle die gleichen Rechte genießen“.

2018 outete sich Pylypenko öffentlich als schwul und gründete gemeinsam mit anderen die NGO „Ukrainische LGBT-Soldaten“. LGBTIQ*-Aktivismus sei zu einer „Fortsetzung seines persönlichen Kampfes gegen die Versklavung der Freiheit eines Menschen“ geworden, erklärte damals. Heute steht er wieder an der Front und kämpft für die Freiheit seines Landes.

Viele LGBTIQ*-Militärs würden bereits aktiv an der Front kämpfen, so Pylypenko gegenüber The Daily Beast. Andere hätten sich freiwillig gemeldet, um die Frontsoldat*innen zu unterstützen. So würden viele queere Zivilist*innen dabei helfen, Geld, Ausrüstung, Waffen und medizinische Hilfe für die Soldat*innen an der Front zu sammeln. 

Auch Andrii Kravchuk, der bei Nash Mir arbeitet, dem ältesten LGBTIQ*-Zentrum in Kiew, erzählte dem Reporter von The Daily Beast, er habe die Auswirkungen der russischen Homophobie in seiner Heimatstadt in der Donbass-Region zu spüren bekommen, aus der er 2014 geflohen war. „Wir sind uns der Bedrohungen sehr bewusst, denen wir ausgesetzt waren – sowohl als Ukrainer als auch als LGBT+-Personen. Wir verstehen, dass die russische Besetzung völlige Gesetzlosigkeit und Unterdrückung bedeuten würde – wir sehen es gerade in den von der Ukraine besetzten Gebieten der Krim und des Donbass.“

Viele LGBTIQ*-Aktivist*innen, die 2013/2014 an der ukrainischen Maidan-Revolution beteiligt waren, würden den Territorial Defense Forces beitreten oder eine Ausbildung zum Rettungssanitäter absolvieren, erklärte Kravchuk und fügte hinzu: 

„LGBT+-Personen, die in der Armee gedient haben, und Militärfreiwillige sind bereit, in ihren Dienst zurückzukehren. Wir tun dasselbe wie der Rest der Nation. Jetzt haben wir nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder wir verteidigen unser Land und es wird ein Teil der freien Welt, oder es gibt keine Freiheit für uns und wir werden überhaupt keine Ukraine sein.“


Foto: Genya Savilov / AFP

Seit 2019 beim Pride

Zum ersten Mal schlossen sich 2019 mehrere Dutzend Soldaten und Veteranen des Konflikts zwischen Separatisten und Regierungstruppen im Osten des Landes der Parade des KyivPride an. Rund 30 Militärangehörige waren es nach Angaben von Viktor Pylypenko, der die Gruppe anführte. Eigentlich hätten noch mehr schwule Soldaten teilnehmen wollen, sagte er einem Fernsehsender damals. Sie hätten jedoch die Front in der Ostukraine nicht verlassen können. Pylypenko betonte, das Leben schwuler Soldaten sei hart. Wegen der weit verbreiteten Homophobie könnten sie sich oft nicht zu ihrer Homosexualität bekennen. *AFP/sab/ck

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