#Interview • Sebastian Czaja: „Ich möchte, dass wir einen neuen Stil von Politik finden.“

by

Corona, Regenbogenzebrastreifen, Digitalisierung. Und überraschende Verbindungen zwischen zwei Lagern, die sich nach alter politischer Geografie eigentlich konträr gegenüberliegen. Wir sprachen mit Sebastian Czaja, FDP-Vorsitzender und Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl in Berlin.

Was lief queerpolitisch gut, was nicht so gut aus FDP-Sicht?

Ich glaube, wir können zunächst insgesamt festhalten, dass wir einen sehr guten und engen Austausch haben mit allen Akteuren. Was ich zweitens sehr gut in Erinnerung habe, war die Aktion mit den Regenbogenzebrastreifen. Wir konnten den im letzten Jahr in Schöneberg für ein paar Wochen sichtbar anbringen, am Ende ist er aber nicht dauerhaft genehmigt worden. Besonders an dieser Stelle hätte ich das gut gefunden, wenn da eine Verbindung zwischen den beiden Kiezen stattgefunden hätte. So wie es ja in anderen großen Städten in der Welt auch zu finden ist. Da müssen wir dranbleiben, als Fraktion haben wir das dokumentiert. Der dritte Punkt war das ganze Thema Städtepartnerschaften. Wie werden Städtepartnerschaften im Kontext Diskriminierung bzw. diskriminierungsfreier Umgang in der Gesundheitsversorgung – hier speziell auch von trans* Personen – in den anderen Städten im Austausch nicht nur dokumentiert, sondern auch politisch platziert. Der vierte Punkt ist ein Antrag zur Unterstützung des Kinderwunsches auch für homosexuelle Partnerschaften, den wir ins Parlament eingebracht haben. Hier sind wir aber ausgebremst worden und der Antrag ist bislang nicht beraten worden. Den werden wir in die nächste Legislaturperiode mitnehmen und wieder einbringen. Egal in welcher Rolle wir uns wiederfinden. Das entscheidet ja der Wähler am 26. September.

Foto: FDP Berlin

Sie meinen eine Bundesratsinitiative dazu?

Genau. Da werden wir nicht locker lassen. Einen letzten Punkt hätte ich fast vergessen, weil er so naheliegend ist, aber dadurch auch leider oft irgendwie so weit weg: Das Thema um die Bedeutung von Großveranstaltungen. Ich habe dazu Vertreter vom CSD in den Wirtschaftsausschuss geladen, weil es mich massiv geärgert hat, dass man die Rolle und Tragweite des CSD in der Stadt nicht richtig einschätzt, auch wirtschaftlich. Wenn man sich nicht intensiv damit beschäftigt, könnte man denken, da steht eine große Maschinerie dahinter, das ist ein Profitbetrieb. In Wahrheit steckt da unendlich viel Ehrenamt drin. Da fließt so viel privates Geld rein, so viel persönliche Verantwortung und es werden persönliche Risiken übernommen. Und die Stadt ist nicht bereit, das wertzuschätzen. Ich meine, gerade in der Diskussion im Rahmen der Pandemie könnten wir doch eine Form von kommunaler Gesellschaft dafür finden, die dem CSD ein Organisationsbüro zur Verfügung stellt. Es braucht nicht immer gleich hohe Summen vom Steuerzahler, auch die kleinen Dinge helfen viel. Mir geht es um Infrastruktur und Wertschätzung und auch um Anerkennung dafür, was der CSD, im Übrigen wie ein Berlin Marathon und andere Großveranstaltungen auch, der Stadt an wirtschaftlichem Mehrwert bringt.

Der CSD prägt diese Stadt genauso wie andere Großveranstaltungen, wie der Karneval der Kulturen und gehört zur Stadt Berlin dazu.

Es hat mich massiv geärgert, dass hier nichts passiert ist, und deshalb habe ich in meiner Rolle als Sprecher für Wirtschaftspolitik gesagt, dass das aufgearbeitet gehört. Das Thema gehört in den Wirtschaftsausschuss.

Die Grünen haben im letzten Jahr eine große Bilanz zur Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt” (IGSV) erstellen lassen. Die IGSV ist ja sozusagen der queerpolitische Masterplan der Stadt, auf den die ursprünglichen Initiator*innen von Linke und SPD ja auch nicht ohne Grund stolz sind. Aber: Besonders bei der Umsetzung von zum Beispiel Angeboten für Senioren oder Jugendliche hapert es in fast allen Bezirken erheblich. Wie steht die FDP zur IGSV?

Naja, sie haben ja den Zustand beschrieben. Die Frage ist, welche Steuerungsmöglichkeiten man besser hätte nutzen können. Ich glaube schon, dass mehr möglich wäre. Mein Eindruck ist aber auch, dass manche Initiativen in den Bezirken ausgebremst werden, weil sie nicht – in Anführungsstrichen – von der richtigen Seite kommen. Wie der Regenbogenzebrastreifen zum Beispiel. Aber zurück zum Thema ehrenamtliche Selbstorganisation: Wie zum CSD erwähnt, wollen wir mehr Möglichkeiten, mehr Räume für diese ehrenamtlichen Projekte schaffen. Deshalb haben wir uns jetzt auch noch mal für eine Zwischennutzungsagentur, sogenannte Transiträume stark gemacht.

Da wo wir Leerstand haben, diesen gerade auch im Kulturbereich, im Kunstbereich, aber auch im Bereich von ehrenamtlicher Selbstorganisation zur Verfügung zu stellen.

In den Außenbezirken stehen wir hier vor ganz besonderen Herausforderungen, weil sich bisher alles auf die Innenstadt fokussiert und konzentriert. Es gibt Projekte wie den Regenbogen Reinickendorf e.V., der dort für Sichtbarkeit und Aufklärung eintritt. Das ist ein Beispiel von dem wir glauben, dass es noch viele mehr geben sollte und wir haben mit dem Verein deshalb gemeinsame Aktivitäten wie querpolitische Bootsfahrten gemacht, um in Reinickendorf Unterstützung auch außerhalb der Szene zu aktivieren. Das müssen wir in allen Bezirken hinbekommen, denn Symbolpolitik und eine Fokussierung auf die Innenstadt reichen am Ende nicht aus.

Leerstand für Kultur und Ehrenamt nutzen: Müssten Sie nicht eigentlich bei Klaus Lederer offene Türen einrennen?

Ja, müssten wir eigentlich. Auch wenn man in den Koalitionsvertrag guckt, müsste man. Aber da ist nichts passiert. Die Bilanz ist erschreckend. Zu sogenannten Zwischennutzungsräumen und den Transiträumen oder der Zwischennutzungsagentur haben wir eine große Anfrage gestellt, weil die Koalition nicht den großen Schritt geschafft hat, der im Koalitionsvertrag verabredet war. Da ist man weit, weit hinter dem, was man haben wollte und könnte.

Mir fällt auch nur das Haus am Alexanderplatz ein spontan.

Ja. Wir haben aber natürlich, wenn ich in die Fläche gehe, wesentlich mehr Potenzial. Die Frage ist, wie es organisiert wird. Private Vermieter haben das, was im Koalitionsvertrag verabredet war, teilweise bereits schneller und besser auf den Weg gebracht als es der Staat konnte. Man muss sich die Frage stellen, wie wir diese private Initiative mit öffentlichen Flächen zur Zwischennutzung, z.B. über eine gemeinsame Plattform, verbinden können. Wie muss ich das aufsetzen, damit wir dort schneller werden? Wir haben ja nicht nur im queeren Bereich, sondern insgesamt an sozialer Infrastruktur einen hohen Bedarf. Für das Stadtteil- und Quartiersmanagement und all die Fragen.

Sie meinen also den klassischen FDP-Ansatz, dass die Wirtschaft es besser kann ...

Bei einer Zwischennutzungsagentur sind wir ja im Bereich der staatlichen Einrichtungen, und schauen da, wie der Staat mit seinen Immobilien um mit seinen Liegenschaften umgeht. Stellt er Räume zur Verfügung oder lässt er sie unbewirtschaftet liegen. Das ist der eine Bereich. Und der andere Strang ist alles, was sich im Privaten abspielt. Und da habe ich ihnen ja gerade meine Eindrücke beschrieben.

Ein weiterer Schwerpunkt der IGSV ist die Bekämpfung von homo-, bi- und transphoben Tendenzen und Straftaten. Die Polizei schätzt, dass wir bei den Gewalttaten einen leichten Rückgang verzeichnen, dafür bei den Pöbeleien und Mobbing besonders im Internet starke Zuwächse. Sind wir auf einem guten Weg?

Erster Punkt: Ich glaube, Maneo und die Polizei liegen richtig mit der Einschätzung der Gesamtsituation. Zweitens ist es mir wichtig, dass die Polizei heute auch mehr Vertrauen genießt. Sie ist Partner der Community. Dafür braucht sie klare politische Rückendeckung. Wenn Sie mich fragen, was wir akut gegen Gewalt gegen Minderheiten tun würden, dann erstens mehr Streifen in die Fokus-Kieze schicken und langfristig eine stärkere Präventionsarbeit zum Beispiel auch an den Berliner Schulen machen. Es geht gar nicht, dass in dem Bereich weiter Gelder gekürzt werden. Denn da sehen wir die langfristigen Antworten auf die Probleme.

Und was kann gegen die Verrohung im Netz unternommen werden?

Es ist wichtig zu verstehen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist und dass Anonymität nicht schützt. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Eindruck überhaupt entsteht, dass es Räume gibt, in denen man völlig frei und ohne Hemmschwelle diese Taten begehen kann.

Man muss konsequent dagegen vorgehen und muss das auch konsequent zur Anzeige bringen.

Ich finde es gut, dass die Digitalkonzerne und Unternehmen hier inzwischen konsequenter vorgehen durch Löschen, durch Blocken, aber das ist sicherlich ausbaufähig. Aber es bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich glaube, wir – Sie und ich – sind möglicherweise in unterschiedlichen Rollen und Funktionen auch schon solchen Dingen ausgesetzt gewesen. Auch persönlich. Ich bin da ziemlich rigoros, ich bringe das jedes Mal zur Onlinewache und lasse das auch nachverfolgen.

Wie kann das verbessert werden, Ressourcen eventuell neu verteilt werden?

Der Ansatz liegt darin, dass ich nicht zuerst mit Digitalisierung beginne, sondern erst einmal hinterfrage:

Wo haben wir doppelte Zuständigkeiten? Wo müssen wir Aufgaben neu sortieren, damit man in den Vorgängen schneller wird? Erst dann schalte ich die Digitalisierung obendrauf. Bringt mir ja nichts, digital genauso schlecht dazustehen, wie vorher.

Dann erst setzt die Digitalisierung Kapazitäten frei. Ein Beispiel bei der Berliner Polizei. Wenn wir dort eine 12-Stunden-Schicht einer Polizeibeamtin oder eines -beamten haben, dann verbringen die in der Regel fünf bis sechs Stunden am Schreibtisch. Nur mit Verwaltungssachen. Wenn wir nur durch das digitale Aufzeichnen von Einsatzprotokollen und durch eine bessere digitale Ausstattung insgesamt vielleicht nur die Hälfte dieser Schreibtischzeit einsparen würden, könnte genau dieser Polizist, diese Polizistin in dieser Zeit ihren tatsächlichen Aufgaben nachgehen. Sie hätten zum Beispiel mehr Streifen für die Fokus-Kieze, wie eben besprochen. Und das ist nur ein Beispiel. Ich würde mir das Zug um Zug in allen Bereichen anschauen.

Foto: FDP Berlin

Viele mussten sich wegen Corona zwangsweise mit Zoom und Co. auseinandersetzen ...

Die Pandemie hat wie mit einem Brennglas deutlich gemacht, was alles schief läuft. In der Verwaltung, in den Schulen. Deshalb bin ich dafür, das als grundsätzliche Aufgabe in einer zukünftigen Regierung nicht weiter auf einzelne Köpfe zu verteilen.

Ich muss jemanden mit Befugnissen ausstatten, die es ermöglichen, bis in die Bezirke hinein Entscheidungen zu treffen und – ich nehme mal das große Wort in den Mund – auch zu exekutieren.

Das heißt, entweder siedele ich das in einer Senatsverwaltung an, beispielsweise Wirtschaft, Innovation und Digitalisierung, und schaffe damit sozusagen einen CEO, der sich um diese Fragen kümmert, oder ich siedele es in der Senatskanzlei an. Vielleicht holt man sich sogar ein externen Experten, der das macht, wie Barcelona es getan hat.

Aber gemacht werden muss es. Und das konsequent.

Es ist doch ein Witz, dass das Unternehmen Berlin mit seinen 130.000 Beschäftigten nur 12.500 VPN-Zugänge hat. Wir haben aktuell hunderttausende offene Termine und Verwaltungsvorgänge in den Berliner Bürgerämtern. In anderen Ländern sehen wir, dass das auch anders geht. Die Frage ist dabei auch, ob man sich auf externe technische Lösungen einlässt, man da Start-ups mit Lösungen andocken lässt, die entbürokratisieren können. Oder sagt man, „Nein wir bleiben immer ausschließlich in den Institutionen und lassen das nicht zu, weil wir können selber alles besser“. Klammer auf: Natürlich heißt das auch, einen Blick auf die Daten zu richten. Was passiert da eigentlich mit den Daten in Bezug auf Datenschutz. Der Blick auf die Pandemie, die letzten 14 Monate haben ja gezeigt, dass man, wenn man sich mit der Frage auseinandersetzt, ob Daten zentral oder dezentral gespeichert werden, auch datenschutzkonforme Antworten findet.

Die 14 Monate waren für LGBTIQ* besonders einschneidend. Wurde genug getan?

Also, ich will erst mal sagen, dass die LSBTI-Beratungsstellen hervorragende Arbeit geleistet haben. Und das, obwohl sie am Ende ihrer finanziellen Möglichkeiten stehen. Das muss man auch noch mal berücksichtigen parlamentarisch.

Als FDP-Fraktion haben wir immer sehr kritisch hinterfragt, ob Regelungen auf die Lebensverhältnisse angepasst sind und gesagt, wir dürfen nicht mit Rechtsverordnungen große Teile, auch der Community, in die Isolation drücken. Da haben wir wirklich laut gerufen und auch immer wieder gerungen und haben gesagt, dass das nicht passieren darf. Und wir haben auch deutlich gemacht, dass der Mitteleinsatz für die digitale Ausstattung oder Ausrüstung gut ist, aber dass er am Ende ja nicht den Wegfall von soziokultureller Infrastruktur ausgleicht. Es war uns immer wichtig zu schauen, Räume des Austauschs und der Begegnung trotz Pandemie zu ermöglichen. Mit den Regeln, mit Gesundheits- und Hygienekonzepten. Das haben wir ja auch schon zu Beginn der Pandemie gleich gefordert und es wäre sicher sinnvoller gewesen und wahrscheinlich auch hilfreicher, als ungenehmigte Partys im Total-Lockdown.

Schon wieder eine Gemeinsamkeit mit Klaus Lederer. Der hatte im letzten Spätherbst auch als einziger, glaube ich, in der Koalition sehr laut aber erfolglos darauf hingewiesen, dass die Kultur und teilweise die Gastronomie im Sommer funktionierende Konzepte vorgelegt hätten, investiert hätten und es nicht in Ordnung sei, diese zu ignorieren. Irgendwie auch eine Nebenwirkung von Corona, dass wir eine lebendige Demokratie entlang der Ideen und Visionen für Problemlösung entwickeln, oder?

Ja. Aber. Wir haben als FDP das Parlamentsbeteiligungsgesetz in Berlin nicht nur eingebracht, sondern durchgebracht. Wir haben dafür eine breite Mehrheit bekommen. Das ist das umfassendste und weitreichendste Gesetz, was in der Pandemie in einem deutschen Landtag verabschiedet worden ist. Dieses Gesetz haben wir ja nicht gemacht, damit es sich besser anfühlt, sondern wir haben dieses Gesetz gemacht, damit wir es besser machen können. Und dann gestatten sie mir an dieser Stelle schon noch Kritik, weil dieses Parlamentsbeteiligungsgesetz sollte auch den Regierungsparteien im Senat die Möglichkeit geben, über ihre Fraktionen im Parlament Parlamentarismus zu leben. Für Grund- und Freiheitsrechte einzutreten.

Ich kann mich an zahlreiche Debatten erinnern, wo sich so manch einer die Augen gerieben hat, dass FDP und Linke so nah beieinander waren, aber am Ende fehlte es an der Mehrheit.

Das bringt mir dann eben auch nichts. Unsere Vorschläge wurden alle für gut befunden durch Redner der Linkspartei, aber es hat keiner die Hand gehoben, wenn es um die Abstimmung ging. Wir haben Spielräume wirklich mit Augenmaß, mit dem Skalpell, herausgearbeitet, weil wir gesagt haben, das sind nachweislich hervorragende Konzepte. Und es ist dann doch nicht passiert. Dann tut es mir leid, dann bleibt das am Ende leider auch nur ein Lippenbekenntnis von Herrn Lederer

Also doch keine Koalition mit der Linken?

Es gibt eine klare Aussage von mir und von uns dazu. Ich möchte, dass wir einen neuen Stil von Politik in der Stadt finden. Der jetzige ist mir zu konfrontativ, der ist mir zu wenig lösungsorientiert und – Sie haben das gerade so schön gesagt, 

wenn die Pandemie eines gezeigt hat, dann, dass wenn man ideologiefrei an Probleme herangeht, man auch gemeinsam an Lösungen arbeiten kann. Das wäre für mich ein neuer Stil für das nächste Jahrzehnt.

Weil es geht nicht nur um den Wahltag, sondern es geht um das nächste Jahrzehnt für die Metropolregion Berlin-Brandenburg. Ich schließe aber eine Zusammenarbeit mit der AFD aus und ich schließe auch eine Koalition mit der Linken aus. Ich trete dafür an, dass es eine Koalition der Mitte gibt. Wir sind bereit, in einer solchen Koalition Verantwortung zu übernehmen.

*Interview: Christian Knuth

Back to topbutton