#Interview: Julia Monro über 40 Jahre Transsexuellengesetz, Konversionsverfahren und Olaf Latzel

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Julia Monro ist Trans*aktivistin bei der „Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V.“ (dgti), kümmert sich bei Transkids.de um Jugendliche und ist gefragte Gesprächspartnerin, wenn es um Konversionsverfahren mit evangelikalem Background geht. männer* erreichte die studierte Theologin zuhause in Koblenz und fragte nach, warum „40 Jahre TSG“ kein Jubeljubiläum ist.

Der Staat sollte endlich aufhören, Trans*menschen zu bevormunden. Das Bundesverfassungsgericht1 hat gesagt, dass dieser Bereich des Lebens dem staatlichen Zugriff entzogen ist.“

Julia Monro

Welche Auswirkungen hat das TSG abgekürzte „Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen", das am 10. September 1980 veröffentlicht wurde auf transgeschlechtliche Menschen? Sechs mal hat das Bundesverfassungsgericht bereits Teile davon für verfassungswidrig erklärt, mehrfach kündigte die Politik schon Reformen an. Aktuell liegen Entwürfe der Grünen und der FDP im Bundestag vor, der Ball liegt aber bei der Bundesregierung.

Was steht in Punkto Geschlechterbilder, Abstammungs- und Familienrecht noch alles auf der Agenda? Auch zu Pastor Olaf Latzel, der sich wegen einer homo- und transphoben Predigt wegen Volksverhetzung vor Gericht verantworten muss, hat Monro eine eindeutige Meinung, die sie auch aus ihrer persönlichen Lebensgeschichte ableiten kann.

julia-monro.de


HINTERGRUND – Pressemitteilung des Bundesverband Trans*

40 Jahre „Transsexuellengesetz“ – 40 Jahre Menschenrechtsverletzungen sind genug!

Genau vor 40 Jahren, am 10.09.1980, wurde das „Transsexuellengesetz“ (TSG) verabschiedet. Das TSG steht für Entmündigung, Diskriminierung und Menschenrechtsverletzung. Es ist ein Skandal, dass dieses Gesetz weiterhin in Kraft ist und eine Abschaffung des Gesetzes seit mehreren Legislaturperioden von der Großen Koalition verschoben wird.

Anfang der 1980er Jahre war das TSG das zweite Gesetz weltweit, das die rechtliche Namens- und Personenstandsänderung für trans* Frauen und trans* Männer regelte. Es war damals fortschrittlich, dass es die Möglichkeit der rechtlichen Anerkennung im Identitätsgeschlecht überhaupt gab. Von Anfang an war jedoch klar, dass das TSG die Grundrechte von trans* Personen verletzt – so wurde es bisher durch sechs Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes als nicht verfassungskonform befunden und in seiner Umsetzung eingeschränkt. Obwohl Trans*verbände spätestens seit den 1990er Jahren immer wieder wahrnehmbar darauf hinweisen und Deutschland auch auf internationaler Ebene wegen der aktuellen Gesetzeslage in der Kritik steht, hat der Gesetzgeber bei einer Novellierung bisher versagt. Eine Abschaffung ist längst überfällig und eine umfassende Neuregelung, die dem aktuellen Verständnis von Trans*geschlechtlichkeit und Nicht-Binarität Rechnung trägt, ist unvermeidlich.

Durch die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts wurden sukzessive einzelne Regelungen wie beispielsweise die Sterilisation oder Scheidung als verpflichtende Voraussetzung für die Änderung des Geschlechtseintrags außer Kraft gesetzt. Doch auch die verbliebenen Regelungen setzen die Fremdbestimmung und Pathologisierung von trans* Personen fort. So müssen trans* Personen für die Namens- und Personenstandsänderung bis zum heutigen Tag teure Gutachten von Sachverständigen vorlegen und ein langwieriges Verfahren vor dem Amtsgericht durchlaufen. Trans* Personen, die Kinder gebären oder zeugen, wird die Anerkennung in ihrem Identitätsgeschlecht noch immer verwehrt, indem ihre nach dem TSG geänderten Vornamen nicht auf der Geburtsurkunde ihrer Kinder eingetragen werden oder die durchgeführte Änderung wieder entzogen wird. Nicht-binäre Personen, also Personen, die sich weder ausschließlich dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, werden in dem veralteten Gesetz nicht einmal erwähnt.

Dazu erklärt Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans*:

„Die Abschaffung des TSG und ein hürdenloser Zugang zur Namens- und Personenstandsänderung ist seit Jahren die zentrale Forderung des BVT*. Unter dem Hashtag #sagteslaut haben wir seit dem 11.10.2019 mehr als 14.000 Unterschriften für diese Forderungen gesammelt. Eine einfache Erklärung vor dem Standesamt soll für alle trans*, inter* und nicht-binäre Personen ausreichen, um den Namen und Geschlechtseintrag zu ändern. Es braucht kein Gutachten, keine Beratung oder Atteste von sogenannten Expert_innen, um die Geschlechtsidentität zu bestätigen. Denn Geschlecht ist nicht diagnostizierbar.“

Wir fordern daher die Bundesregierung auf, sich noch vor Ende der Legislatur für einen neuen Gesetzesentwurf auf Basis der vorliegenden Oppositionsentwürfe und in Abstimmung mit Verbänden und Selbstvertretungsorganisationen einzusetzen. Wir fordern eine Neuregelung, die eine Änderung des Namens und Personenstands für alle trans*, inter* und nicht-binären Personen ermöglicht – unabhängig von Attesten, Gutachten oder Beratungen und eine Entschädigung für alle Menschen, die vom Zwang zur Sterilisation oder Scheidung betroffen waren.

Debatte im Bundestag – FDP, Grüne und Linke kritisieren Transsexuellengesetz

https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw25-de-transsexuellengesetz-698668

Petition „Ich bestimme, wer ich bin!“

https://action.allout.org/de/a/tsg/

Resolution des Europarates „Discrimination Against Transgender People in Europe“

https://pace.coe.int/en/files/21736


1 Quelle

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