#Interview • Klaus Lederer: „Weitermachen, weitermachen, weitermachen ...“

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Klaus Lederer, Chef der Berliner Linken, Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa in der rot-rot-grünen Koalition in der Hauptstadt, über zehn Jahre Queerpolitik als Masterplan, Hassgewalt gegen Queers und die größte Krise Berlins seit dem Mauerbau. Wir telefonierten mit dem laut FORSA seit mehreren Jahren beliebtesten Politiker der Regenbogenhauptstadt. 

Foto: Steffen Roth


Zehn Jahre ISV (Initiative  „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt”) – zehn gute Jahre, durchwachsen oder schlecht?

Wir sind damals davon ausgegangen, dass die Vollendung der rechtlichen Gleichstellung von Queers nur noch eine Frage der Zeit ist. Die Geschichte hat uns gewissermaßen recht gegeben: Die Öffnung der Ehe und die Einführung der dritten Geschlechtsoption, die Gründung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, das waren alles große Fortschritte. Aber die alltägliche Queerfeindlichkeit existiert nach wie vor, auch – worauf Johannes Kram ja in seinem Buch und seinem Blog immer wieder hinweist – in der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Unser damaliger Anspruch, mit der ISV etwas für die tatsächliche Gleichstellung zu tun, war also richtig.

Welches sind für dein Ressort Kultur die aus queerer Sicht wichtigsten Maßnahmen der Vergangenheit und welche siehst du im Fokus der Fortentwicklung der ISV?

Natürlich versuche ich, die Dinge, die ich damals mitentwickelt habe, nun auch im Ressort weiter voranzutreiben. Die Diversitätsentwicklung im Kultursektor ist ein zentrales Moment unserer Arbeit. Wir haben dafür vor drei Jahren das „Diversity Arts Culture“-Büro gegründet, das Einrichtungen bei diesem Thema unterstützt. Es gibt Initiativen zur queeren und erinnerungspolitischen Arbeit im Stadtbild, die hohe zivilgesellschaftliche Resonanz erfahren, wie die Umbenennung der Einemstraße in Karl-Heinrich-Ulrichs-Straße.

Grafik: Queeres Kulturhaus Berlin

„Ein deutschlandweit absolut einmaliger und wegweisender Meilenstein.“

Ein mittelfristiges Großprojekt ist das queere Kulturhaus, um das es zwar immer wieder Debatten gibt, die gut und nötig sind, von denen ich aber auch erwarte, dass sie in einem Klima der Solidarität geführt werden, nicht in einer Form, die allen die Füße weghaut.

Das Monitoring und die Veröffentlichung von queerphoben Hassverbrechen verzerrt in den– auch queeren ­– Medien das Bild Berlins. Für viele ist Berlin ein Moloch des Verbrechens gegen die sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung.

Also zuerst: Die Verbrechen finden ja real statt. Insofern ist es auch Aufgabe von Medien, darüber zu berichten und deutlich zu machen, dass Queerfeindlichkeit nicht Normalität ist und nicht akzeptiert werden darf. Was uns aber bei der Konzeption der ISV aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass erst in einem größeren Rahmen über diese Übergriffe berichtet wurde, als im öffentlichen Diskurs eine bestimmte Community dafür verantwortlich gemacht wurde.

Stichwort Migrationshintergrund ...

Richtig. Insofern ging und geht es bei der Initiative zwar einerseits darum, Queerfeindlichkeit zu verhindern, aber auch darum, zu verhindern, dass es sich die Mitte der Gesellschaft zu bequem macht. Es gehört zum Gesamtbild, dass queeres Leben für die übergroße Mehrheit der Berliner Bevölkerung ganz selbstverständlicher Teil unserer Stadt ist. Auch in der Fläche.

Im Berlin-Monitor 2019 sagen 86 Prozent der Berliner*innen, dass Homosexualität etwas völlig Normales ist. Eine repräsentative Studie, die alle Bewohner*innen Berlins – auch die nichtdeutscher Herkunft – umfasst. Das heißt, die ISV war auch eine Antwort auf ein mediales Framing, das Queerfeindlichkeit als Migrantenproblem definierte, mit dem die sogenannte Mehrheitsgesellschaft nichts zu tun hat. Selbst in Teilen des Abgeordnetenhauses wurde das damals so gesehen. Sogar in einem Antrag der Grünen war die Tendenz zu einer solchen Problemverengung da. Deswegen haben wir uns dann mit vielen Menschen aus den Communities zusammengesetzt und haben das Thema in diversen Fachgesprächen auf eine breitere Basis gestellt, woraus 2009 die ISV entstanden ist. Ein in dieser ressortübergreifenden Form deutschlandweit absolut einmaliger und wegweisender Meilenstein.

Kann man aus deiner Sicht schon Erfolge messen? Die bereits erwähnte Zustimmung zu queerem Leben im Berlin-Monitor hätte es 2009 in dieser Höhe nicht gegeben ...

Das ist sicherlich richtig. Aber woran messe ich Erfolge von Aufklärungsarbeit? Das ist eher ein Marathon als Kurzstrecke. Wenn ich zurückblicke: Es gab die Durststrecke unter dem rot-schwarzen Senat 2011 bis 2016, wo eine gewisse Lustlosigkeit herrschte und wir Linke zum Beispiel mit den Piraten aus der Opposition heraus versucht haben, eine ISV 2.0 auf den Weg zu bringen. Aber: Unabhängig davon, dass das alles ­– vor allem im Bildungssystem – sehr mühselig war, haben wir inzwischen Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt in allen Schulen, bei der Polizei, in den Staatsanwaltschaften, der Verwaltung. Der Anspruch des ressortübergreifenden Ansatzes ist realisiert und er ist Vorbild für viele inzwischen existierende Vielfaltspläne in anderen Bundesländern. Alleine das ist ein Erfolg. Ein weiterer großer Erfolg der ISV, der aber auch mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu tun hat, ist die Bewusst- und Sichtbarmachung von nach wie vor vorhandenen antiemanzipatorischen Kräften, die in der Mitte der Gesellschaft wirken.

Foto: C. Knuth

Trotzdem steigen die gemeldeten Zahlen immer noch. Die schnelllebige Medienkonsumgesellschaft ist mit Marathon nicht so vertraut. Wann, meinst du, kann man da „gute Nachrichten“ vermelden?

Wenn Täter so etwas tun, spielt sich vorher etwas in ihrem Kopf ab. Insofern ist die ISV und alles, was damit zu tun hat, die beste Prävention, die man machen kann. Es bleibt der Punkt, dass wir es mit zum Teil jahrzehnte- und jahrhundertealten Stereotypen, Klischees und Vorurteilen zu tun haben, die man nicht in wenigen Jahren aus den Köpfen bekommt. Positiv ist aber doch, dass die Maßnahmen dazu geführt haben, das Vertrauen in die Strafverfolgung zu steigern, dass es die Bereitschaft gibt, sich an die Polizei zu wenden. Ich unterstelle mal, dass in dem Umfang, wie der Mut Betroffener steigt, sich an die Polizei und Opferberatungsstellen zu wenden, die Dunkelziffer höchstwahrscheinlich sinkt. 

„Die Krise ist auf jeden Fall ein Digitalisierungsbeschleuniger“

Umgekehrt hoffe ich aber auch, dass es uns gelingt, die gravierenden Bedrohungen eines vielfältigen Zusammenlebens, die durch das Rollback entstehen, im Griff zu behalten: weitermachen, weitermachen, weitermachen ...

Foto: Pavel Lepikhin

„Weitermachen“ betrifft zurzeit in einem anderen Gebiet die gesamte Gesellschaft: Die Corona-Krise ist eine Zäsur. Schon jetzt wird langsam klar, dass es wohl eine Zeit vorher und danach geben wird. Wie gewappnet siehst Du Berlins Kreativszene?

Die Situation ist extrem hart. Nicht nur für die Klubszene, sondern für alle. Wir haben Programme zur Unterstützung von Soloselbstständigen und Kleinstunternehmen verabschiedet, die sicher vielen eine gewisse Linderung der wirtschaftlichen Einbußen ermöglichen. Und wir setzen ein weiteres Soforthilfepaket von 30 Millionen Euro für kleine und mittlere Kultur- und Medienbetriebe auf, um Klubs, private Theater, Museen und Galerien, aber auch Independent-Kinos zu unterstützen.

Denn Kulturbetriebe sind meist nicht in der Lage, größere Rücklagen zu bilden. Die können nicht aus irgendetwas schöpfen. Deshalb braucht es diese Hilfsmaßnahmen des Landes. Es muss in diesem Bereich aber unbedingt auch noch zusätzliche Unterstützung des Bundes kommen, ganz allein kann das Land Berlin diese Belastungen nicht auffangen.  

Siehst Du Bereiche, die in der StartUp-Wirtschaft und der Kultur nach dem Shutdown eventuell sogar gestärkt herausgehen zu können? 

Natürlich sieht man, dass die Kulturbetriebe und Klubs versuchen, ihre Programme digital zum Publikum zu bringen. Das ist ja auch geil. Bibliotheken und auch Museen verstärken ihre digitalen Angebote. Die gab es zwar alle vorher auch schon, aber die haben jetzt einfach eine größere Relevanz. Ich bin froh, dass ich noch im letzten Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag für die Ausstattung der Bibliotheken mit digitaler Infrastruktur bereitstellen konnte. Die Krise ist auf jeden Fall ein Digitalisierungsbeschleuniger.

Auf der anderen Seite müssen wir aber auch feststellen, dass eine fallbezogen finanzierte Gesundheitsversorgung auf gesellschaftliche Anspannungen null vorbereitet ist. Und es geht uns da noch besser, als einigen südeuropäischen Ländern, die völlig kaputt gespart wurden.

Und Deine Prognose für die Zukunft? Ist vielleicht jetzt endlich die Zeit über sozialistisch-ökologische Visionen zu sprechen und die vormals utopisch klingende Transformation der Gesellschaft zu denken? Bedingungsloses Grundeinkommen, Digitalisierung, Entkopplung von Arbeit und Einkommen bzw. Neudefinition des Begriffs Beschäftigung. …

Das ist zurzeit noch nicht konkret zu sagen. Mir ist relativ klar, dass es eine Rückkehr zum alten Normalzustand nicht geben wird. Es wird nach Corona nicht wie davor sein. Einige werden zum Beispiel durch Homeoffice und Co mehr persönlichen Freiheitsraum im Arbeitsleben nicht mehr zurückgeben wollen, andererseits muss auch das selbstverständlich geregelt werden und darf nicht in einer Verschmelzung von Privat- und Arbeitszeit enden, die noch mehr Ausbeutung, noch mehr Unterwerfung unter den Arbeitsprozess bedeutet. Und im Kulturbereich wird den persönlichen Kontakt auch niemals irgendeine Digitalisierung ersetzen können. Es gibt beides: Mir gehen gruselige Szenarien durch den Kopf und utopische Ideen. Das wird man alles politisch aushandeln müssen und da ich Linker bin, ist klar, auf welcher Seite ich stehe.

Foto: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag / CC BY 2.0 / wikimedia

Ein digitaler CSD ist kein Ersatz, aber eine Alternative – was würdest Du dir wünschen für die Pride-Saison dieses Jahr?

Ich hoffe, dass es auch ohne Straßendemonstration gelingt, eine hohe Sichtbarkeit für die politischen Forderungen herzustellen. Und ich wünsche mir Solidarität: innerhalb der Community, mit Berliner Projekten und queeren Initiativen, die von der Corona-Krise zum Teil schwer getroffen sind, aber auch lautstarke Solidarität mit Queers in anderen Gegenden, etwa in unserem Nachbarland Polen, wo die Drangsalierung abweichender Sexualitäten in einigen Regionen ein unerträgliches Ausmaß angenommen hat, aber wo es auch einen aktiven zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen diese Hetze gibt.

*Interview: Christian Knuth

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