Nach 67 Jahren: Gewalttaten gegen LGBTIQ* Thema bei Innenministerkonferenz?

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Vom 1. bis 3. Dezember 2021 wird die 215. Sit­zung der In­nen­mi­nis­ter­kon­fe­renz (IMK) stattfinden. Erstmals soll bei dieser wichtigsten Instanz für Kriminalitätsbekämpfung  in der Bundesrepublik über homophobe und transphobe Gewalt gesprochen werden.

Die Nachricht überraschte am vergangenen Wochenende zunächst die Besucher*innen des Benefizkonzertes  „#Gemeinsambunt für Vielfalt, gegen Hass und Ausgrenzung“ in Berlin. Der Innensenator der Hauptstadt, Andreas Geisel (SPD) kündigte in seiner Rede an, das Thema auf die Tagesordnung der Konferenz setzen zu lassen.

Foto: AFP / Stefanie Loos

„Wenn wir im Bereich der LSBTIQ-feindlichen Hasskriminalität von einer bundesweiten Dunkelziffer von 80 bis 90 Prozent sprechen, dann wird es höchste Zeit, den Scheinwerfer anzumachen und diesen Bereich auszuleuchten. Ich werde deshalb auf der kommenden Innenministerkonferenz das Thema homophobe und trans*-feindliche Gewalt auf die Tagesordnung bringen. {...}“

Andreas Geisel, Innensenator Berlin 

Berlin selbst hat bereits seit über zehn Jahren eine Strategie zur Erfassung und Meldung queerfeindlicher Gewalt und steht damit bis heute im Länderreigen alleine da. Versuche der SPD in der Bundesregierung, die Problematik über einen nationalen Aktionsplan anzugehen, scheiterten auch in dieser Legislaturperiode einmal mehr an den Regierungspartner*innen von CDU und CSU. 

Der nun recht unerwartete aber zu begrüßende geplante Gang auf die Arbeitsebene der Länder, ist unter anderem auf in den letzten Wochen noch einmal verstärkte Interventionen und Gespräche mit dem LSVD zurückzuführen. So schrieb LSVD-Bundesvorstandsmitglied Alfonso Pantisano auf Facebook: 

Foto: Ehe für Alle

„Seit 1954 gibt es die Innenministerkonferenz - und genau dort müssten solche Angriffe gegen unsere Community diskutiert werden. Genau dort müsste besprochen werden, wie der Staat uns besser schützen kann, besser schützen muss. Doch bis heute stand die Hasskriminalität gegen die queere Community noch nie auf der Tagesordnung der Innenministerkonferenz. Bis heute nicht! Aber das ändert sich jetzt!

Die letzten Wochen habe ich viele Gespräche geführt, unzählige Whats Apps und SMS und Mails geschrieben - auch mit unserem Innensenator Andreas Geisel. Vor ein paar Wochen haben wir uns dann getroffen und wir konnten dieses Thema erneut besprechen.“

Eine ungewöhnliche Häufung gewalttätiger Übergriffe gegen Schwule, Lesben, Trans* Personen und Bisexuelle in Berlin und anderen Bundesländern in den vergangenen Wochen, die bundesweit zumindest in der queeren Szene für Aufregung sorgte, mag verstärkend für die jetzt angekündigte Berliner Initiative gewirkt haben. 

Letztlich entscheidend: Die Wahlen am 26. September

Genauso treibend für den neuerlichen Aktivismus ist aber auch der in die Endphase eintretende Wahlkampf auf Bundes- und Berliner Landesebene. Gleichzeitig birgt er auch das größte Hindernis, das der Initiative anhängt: Nach dem 26. September ist zwar Horst Seehofer als Bundesinnenminister schon einmal kein weiteres Problem mehr, weil er das Amt auf jeden Fall nach der Wahl abgibt. Für Andreas Geisel ist dagegen sein Verbleib im Amt keineswegs ausgemacht. Die Umfragen für die Abgeordnetenhauswahl des derzeit rot-rot-grün regierten Berlins können noch keine*n eindeutige*n Sieger*in ausmachen. Und so könnte die Initiative auch Schlechtestenfalls im Wahlsand verlaufen.

Foto: Caro Kadatz

Der LSVD selbst schreibt den Innenminister*innen und Senator*innen in einer Pressemitteilung daher auch klare Erwartungen ins Gewissen: 

„Tagtäglich werden in Deutschland Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI) bedroht und angegriffen. Allein im letzten Jahr wurden 782 Fälle registriert. Das ist nur die Spitze des Eisbergs. So sind drei schwulenfeindlich motivierte Morde nicht in diese Statistik eingegangen. {...} Der LSVD erwartet von der Innenministerkonferenz eine gemeinsame Strategie zur Verbesserung der Prävention, Erfassung und Bekämpfung von LSBTI-feindlicher Hasskriminalität. Elementarer Bestandteil eines bundesweiten Aktionsplans mit einem Bund-Länder-Programm ist die Reform der polizeilichen Erfassungsmethoden.“

Henny Engels, Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD).

In einer großen Umfrage der EU-Grundrechte-Agentur mit rund 16.000 Teilnehmer*innen aus Deutschland, hatten im vergangenen Jahr 13 Prozent angegeben, in den letzten fünf Jahren gewalttätig angegriffen worden zu sein, weil sie zur LGBTIQ*-Community gehörten. Aus Angst vor Gewalt meiden sogar knapp ein Viertel aller Befragten oft oder immer bestimmte Orte und Plätze.

Der LSVD schließt daher seine Meldung auch mit einer deutlichen Mahnung: 

„Wenn vor jedem verliebten Blick, vor einer Umarmung, vor einem Kuss im öffentlichen Raum zuerst die Umgebung gecheckt werden muss, ob jemand Wildfremdes einem womöglich anspucken, ins Gesicht schlagen oder in den Magen treten könnte, ist das eine erhebliche Einschränkung der Freiheit einer großen Bevölkerungsgruppe.“ 

Insofern bleibt zu hoffen, dass die Ankündigung Andreas Geisels selbst bei einem wahlbedingten personellen Wechsel im Berliner Innenressort weiterverfolgt wird. Mit der Bundestagswahl werden zudem die Karten für die Bundesebene neu gemischt und vielleicht ein*e Nachfolger*in für das Amt des Innenministers gefunden, der oder die mehr Elan und Einsatz zeigt, als der scheidende Horst Seehofer. Wählen gehen war für Queers selten so konkret wichtig, wie in dieser Frage. 

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