Niederländische Botschaft: Maulkorb für LSVD

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Wir müssen reden. Die Botschaft der Niederlande hat sich – wie seit Jahren bei immer mehr Botschaften üblich – den bevorstehenden Berliner CSD zum Anlass genommen, Regenbogenflagge zu zeigen. Dazu holt sie Statements aus der Szene ein. Das des LSVD allerdings, war ihr zu politisch. Der Reihe nach.

Don't hide your pride! Sichtbarkeit hier und weltweit!

So lautet das in einem basisdemokratischen Online-Wahlverfahren durch die Berliner Community gewählte Motte der CSD-Demonstration am 25. Juli 2020. Die politischen Hauptforderungen, ebenfalls durch die Community abgestimmt, sind folgerichtig recht konkret spezifiziert:

  1. Regenbogenfamilien endlich anerkennen und gleichstellen!
  2. Solidarität mit unseren Freund_innen in Polen und Ungarn!
  3. Abschaffung des TSG!
  4. #BlackLivesMatter! Wir unterstützen den Konsens von BLMB.
  5. Wir unterstützen die Forderungen von Fridays for Future Deutschland.

Für ihre Pride-Aktivitäten in den sozialen Medien wollte die Botschaft der Niederlande nun von Aktivist*innen in einem Statement (und später geplanten Interviews) Antworten auf folgende Fragen:

Was ist die Bedeutung von Pride im Allgemeinen (bzw. für Sie persönlich)?

Was die des Themas des Berliner CSD (dont‘ hide your Pride)?

LSVD-Bundesvorstandsmitglied Alfonso Pantisano, vielen noch als streitbarer und wortgewandter Mitgründer von ENOUGH is ENOUGH! bekannt, antwortete selbstverständlich gerne und legte den Finger in die Wunden, die die Community seit Monaten bewegen:

„Das, was gerade in Polen und Ungarn mit unserer queeren Community passiert, ist erschreckend und lebensbedrohend. Die Niederlande, Deutschland und der Rest Europas müssen sich schützend vor unsere Community stellen und sie müssen vor allem sofort dafür sorgen, dass die Europäische Kommission alle notwendigen Schritte unternimmt, um ein solches uneuropäisches Verhalten zu unterbinden. Don’t hide your Pride, Europa! Schütze endlich all Deine Bürger*innen!“

Botschaft lehnt ab – EU-Partner nicht „beschuldigen“

Foto: M. Rädel

Die Antwort auf das eingesandte Statement zieht selbst gemäßigten queeren Aktivist*innen die Schuhe aus. Die Worte eines Vorstandes des größten deutschen Verbandes für die Rechte von LGBTIQ* sind der Botschaft nicht diplomatisch genug:

„Als Botschaft können wir leider keine Statements posten, die auf irgendeine Weise andere EU-Mitgliedstaten beschuldigen, es sollten positivere Botschaften sein, diplomatischer wenn Sie wollen.“

Alfonso lehnte ein Pinkwashing seines Statements ab. Gegenüber männer* erklärte er nach einem ersten erbosten Posting telefonisch, dass er sich weiterhin morgens im Spiegel anschauen möchte wollen, ohne in eine falsch grinsende Fratze blicken zu müssen. Harte Worte, vielleicht undiplomatisch, allerdings auch sehr ehrliche.

Kommentar: Wir müssen reden!

Welchen Sinn hat das Regenbogen-Engagement einer Botschaft, wenn Ross und Reiter in einem öffentlichen Konflikt, der politisch nachweislich überhaupt nicht angemessen diskutiert und angegangen wird, nicht einmal von dieser zitiert werden darf? Dazu noch zwischen befreundeten bzw. sogar verpartnerten Ländern? Eine Eheberatung wüsste definitiv, wo hier das Problem sitzt. 

In Ländern, in denen Homosexualität unter Strafe steht oder zumindest unter gesellschaftspolitischem Druck marginalisiert wird, haben westliche Botschaften sogar ohne aktivistische Hilfe übrigens schon wesentlich deutlichere Zeichen gesetzt (Türkei, Irak, ...)

Die diplomatischen Spielregeln im Politbetrieb sollten dringend einem Gegenwartscheck unterzogen werden. Warme Worte und Fake-Aktivismus bringen keinen queeren Menschen in Polen oder Ungarn weiter. Niemand verlangt von den Botschaften, sich undiplomatisch in einen Konflikt einzumischen, wie das der glücklicherweise abgezogene US-Botschafter Richard Grenell immer wieder tat. Aber wer sich in einem EU-Land politische Statements zum Thema Sichtbarkeit hier und weltweit ins Haus wünscht, sollte den Schneid besitzen, diese auch in den Garten zu stellen. 

Reden wir also in den nächsten Wochen bis zum 25. Juli und darüber hinaus!

Don't hide your pride!  

P.S.: Die Niederlande und sicher auch ihre Botschaft haben selbstverständlich bereits viele hervorragende Statements und Aktionen für queere Sichtbarkeit durchgeführt. Unvergessen die historische Rede des Königs der Niederlande vor der UN-Vollversammlung. Kritik muss dennoch erlaubt sein. Hier und weltweit.


Transparenzhinweis: Autor Christian Knuth ist 


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