Happy Pride: der große Ampel-Check

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Seit der Koalitionsvertrag der Ampel vorgestellt und damit die „gesellschaftspolitische Zeitenwende“ ausgerufen wurde, ist eine angespannte Erwartungshaltung zu spüren. Wenn sich drei einig sind, was kann dann schiefgehen, denken die einen und meckern die Netzwerke voll. Anderen dagegen, allen voran überraschenderweise dem Ministerpräsidenten von Bayern, sind schon die auf den Weg gebrachten Gesetzesvorlagen der Bundesregierung ein lockeres „das Abendland geht unter“ wert. Wir haben uns die politischen Forderungen von Hamburg Pride vorgenommen und sie mit dem zu Beginn Sommmerpause des Bundestages vorliegendem Stand der Dinge abgeglichen.

Foto: DAVID GANNON / AFP

1. Wir fordern die Ergänzung des Artikels 3 des Grundgesetzes um die Merkmale „sexuelle und geschlechtliche Identität.

Lange, lange, lange Schweigen im Walde. Nicht einmal vollmundige Ankündigungen von den Ankündigungsmeistern des Kabinetts aus dem Justiz- und Familienministerium. Naja. Ob sieben Monate nun wirklich so lang sind in Relation zum Vierjahrestakt des Politbetriebes sei dahingestellt. Immerhin den queeren Parteiorganisationen der Ampel und der größten Oppositionsparte CDU war das Thema einen konzertierten Tritt in den Allerwertesten der zum Teil eigenen Regierungsmannschaft wert.

2. Wir fordern die Abschaffung des Transsexuellengesetzes und die Schaffung eines Selbstbestimmungsrechtes unter enger Einbeziehung der bestehenden Fachverbände, sowie umfassende Maßnahmen, um die Lebensbedingungen von trans* Menschen zu verbessern.

Gerade noch geschafft. Am 30. Juni haben Familienministerin Lisa Paus und Justizminister Marco Buschmann die Eckpunkte des Selbstbestimmungsgesetz für den Ersatz des menschenverachtenden Transsexuellengesetzes vorgestellt. Damit ist das Verfahren wie zugesagt noch vor der Sommerpause eröffnet worden.

3. Wir fordern eine zeitnahe Reform des Familienrechts, durch die bei der Geburt eines Kindes in einer lesbischen Ehe mittels künstlicher Befruchtung automatisch beide Frauen als Mütter anerkannt werden und eine Stiefkind-Adoption durch die nicht-leibliche Mutter nicht mehr notwendig ist.

Auch wieder kurz vor knapp, auch wieder Buschmann und Paus, allerdings diesmal nur ein Arbeitsnachweis. Mitte Juli kündigten beide in Interviews an, die Benachteiligung zügig per Gesetz zu beseitigen. Marco Buschmann gab sich „zuversichtlich“ bis Jahresende einen Gesetzesentwurf zu präsentieren.

4. Wir fordern einen verbindlichen Aktionsplan der Bundesregierung zur Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt sowie zur Bekämpfung von Homo-, Bi- und Trans*feindlichkeit und Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität.

Eines der beiden queeren Megaprojekte des Koalitionsvertrages, für deren Umsetzung jeweils mehrere Ministerien über unzähligen Änderungen im Bürokratiebauch der Verwaltungsrepublik Deutschland brüten müssen, damit ein Gesetzespaket nicht von der Opposition vor den Gerichten des Landes gleich wieder zerlegt werden kann. Und das Herzenprojekt von Deutschlands erstem Queerbeauftragten Sven Lehmann, der die Arbeit am Aktionsplan mehrfach öffentlich ankündigte. Konkrete Gesetzesvorlagen fehlen allerdings – was wie Eingangs erwähnt nicht heißt, dass nicht fieberhaft daran gearbeitet wird.

5. Wir fordern die weltweite Einhaltung der Menschenrechte für Homosexuelle, Trans*, Bisexuelle und intergeschlechtliche Menschen.

Der Ukrainekrieg kann selbstverständlich die ihnen sichtbar unangenehmen Bilder teilweise entschuldigen, die Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock in totalitären Staaten und auch bei den europäischen Nachbarn mit Rechtsstaatproblematik produzieren. Und dass das Entwicklungsministerium sich den Klimaschutz anstatt der Menschenrechte an TOP 1 der Prioritätenliste setzte, ist ebenfalls durchaus nachvollziehbar:

There is no Pride on a dead planet.

Trotzdem: Konkretes fehlt.

Foto: DAVID GANNON / AFP

6. Wir fordern, sogenannte Hassverbrechen aufgrund der sexuellen bzw. der geschlechtlichen Identität explizit im deutschen Strafrecht zu verankern. Insbesondere fordern wir, §46 des Strafgesetzbuches um den Passus „homo-, bi- und trans*feindlich motivierte Straftaten“ zu erweitern.

Justizminister Buschmann liefert wieder in einem spannenden Finish vor der Sommerpause. Und das sogar mit einem konkreten Entwurf für eine große Strafrechtsreform, die neben queerfeindlicher Hasskriminalität auch Gewalt gegen Frauen und unnötige wie teure staatliche Sanktionen gegen Substanzgebrauchende und zum Beispiel auch Schwarzfahrer im Fokus hat.

7. Wir fordern eine aktive Aufklärungs- und Bildungspolitik sowie die Verankerung sexueller Vielfalt als Bestandteil der Lehr- bzw. Bildungspläne in allen Bundesländern. Wir fordern ein kontinuierliches Engagement des Hamburger Senats zur Aufklärung über gleichgeschlechtliche Lebensweisen und sexuelle Vielfalt an Hamburger Schulen sowie die Ausweitung der Lehrpläne auf die Geschichte von LGBTIQ+. Wir fordern, dass sich der Hamburger Senat hierfür auf kommunaler und bundesweiter, aber auch auf internationaler Ebene im Rahmen bestehender Städtepartnerschaften einsetzt.

Was Hamburg angeht, ist keine diesbezügliche Aktivität zu recherchieren.

In Berlin sieht es da mit der Initiative sexuelle Vielfalt wesentlich besser aus. 

8. Wir fordern Arbeitgeber*innen auf, sämtlichen Diskriminierungsformen am Arbeitsplatz aktiv entgegenzuwirken und das Bewusstsein für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt im Beruf zu fördern.

Zuständigkeit der Bundesregierung nur indirekt durch Stärkung des gesetzlichen Diskriminierungsschutzes und anderer Arbeitsrechtmaßnahmen. Hier hinkt Deutschland schon seit Jahren aktuellen EU-Vorgaben hinterher. Da hilft auch die hervorragende personelle Wahl für die Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit Ferda Ataman der Wertung nicht.

10. Wir fordern ausreichend Maßnahmen, um LGBTIQ+ vor Hass und Gewalt zu schützen und damit verbunden mehr Maßnahmen zur Bekämpfung von Homo-, Bi- und Trans*feindlichkeit.

Ankündigungen gab es einige, sowohl in der Innenministerkonferenz der Länder, als auch aus dem Innenministerium und dem Justizministerium. Konkret vorliegen tut allerdings weder ein Gesetzesentwurf, noch nichteinmal die angekündigte Expertenkommission ist eingesetzt, wie LSVD-Vorstand Alfonso Pantisano erst kürzlich anmerkte. Sie soll aber bereits im Herbst Ergebnisse liefern.

➡️ Weitere neun Forderungen im Ampel-Check ab Mittwoch im neuen hinnerk unter epaper.männer.media und überall in Hamburg, Bremen und Hannover. 


Bewertungsmaßstab

Rot: Keine erkennbare Umsetzungsbemühungen

Gelb: Offizielle Aussagen zu Gesetzgebungsvorhaben durch Mitglieder der Bundesregierung/des Senats

Grün: Gesetzgebungsverfahren läuft oder ist abgeschlossen

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