Kommentar 💬 Quo vadis, CDU?

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Landtagswahlen sind durch die föderale Struktur Deutschlands für die beiden elementaren und sich bedingenden queeren Themenfelder Bildung und Hassgewalt wichtiger als die Bundestagswahl. Der LSVD checkte die diesbezüglichen Vorhaben in Sachsen. Eine kommentierenden Einordnung. 

Direkt zur Auswertung des LSVD

Das konservative Homohass-Paradoxon 

Eigentlich sollte jeder Mensch mit einigermaßen Verstand davon ausgehen, dass Parteien die sich innere Sicherheit, Kriminalitätsbekämpfung und gute Bildung auf die Fahnen schreiben, bei der Bekämpfung homo- oder transphober Gewalt voranpreschen. Eigentlich. Denn allzuoft überlagert Ideologie die hehren Ziele. Schon seit Jahrzehnten ist das konservative Lager um CDU und CSU hier janusköpfig: Selbstverständlich verurteile man Hassverbrechen, auch jene gegen sexuelle Minderheiten. Konkrete Maßnahmen wie eine statische Erfassung des Problems, oder die langfristige Prävention durch diesbezügliche Charakterbildung in den Schulen, wurden und werden teils immer noch, vehement abgelehnt. Ideologisch verständlich, denn im Prinzip hieße spezifische Befassung und wohlmöglich statistischer Nachweis ja eine quasi Anerkennung queerer Lebensrealität.

Wissen überwindet Vorurteile und verhindert Angst und Gewalt

Durch die voranschreitende öffentliche Akzeptanz dieser  Lebensweisen und progressiven Mehrheiten in den Landesparlamenten, sind seit 2010 von Berlin startend, in fast allen Bundesländern tiefgreifende Maßnahmenpläne durchgesetzt worden, deren Früchte vermutlich erst die kommenden Generationen vollends ernten werden können. Die Idee: Fächer- und institutionsübergreifende Aufklärung über die Vielfalt zwischenmenschlicher Bindung von Kindesbeinen an. Ganz bewusst auch gegen religiös und sozial antiaufklärerisch bis hin zu menschenrechtsfeindlich geprägte familiäre Hintergründe.

FOTO: Männerschwarm

Ein Affront gegen die immer noch bestens vernetzten und gesellschaftlich fest verwurzelten, tief evangelikale Strukturen, die schon seit der historisch nicht ohne Grund so genannten Aufklärung darum fürchten, die für sie gottgegebene Vormachtstellung und Definitionshoheit über Familie und Moral zu verlieren. Besonders einige ehemals adelig herrschenden Familienclans organisieren mit den ihnen zur Verfügung stehenden immensen Mitteln konzertierten Widerstand. Spätestens mit der Gründung der AfD und dem Machtverlust der Christdemokraten in Baden-Württemberg sind sie im öffentlichen Bewusstsein angekommen: Beatrix von Storch, Mathias von Gersdorff, Hedwig von Beverfoerde, die sogenannte Demo für alle, die Besorgten Eltern.

Weitere Analyse der Adelsclans von Andreas Kemper

CDU am Scheideweg

Besonders heftig trifft dieser ideologische Kampf zwischen sogenannten Naturrechtlern* und modernen Wertkonservativen die Unionsparteien. Schon recht früh, gegen Ende der Nullerjahre zeigte der von Angela Merkel begonnene Erneuerungsprozess Wirkung. Jens Spahn, Ursula von der Leyen und einige andere definierten in Fragen der Frauenrechte, der Integration und vorallem der Queerpolitik ein liberales aber gleichzeitig so geschickt historisch begründet konservatives Narrativ, dass einige prominente Köpfe den Kampf um die CDU verloren sahen und sich neu formierten. Erika Steinbach und Alexander Gauland sind die wohl bekanntesten dieser Aussteiger. Der innerparteiliche Kampf ist aber noch lange nicht ausgestanden. Bundesweit macht aktuell eine als Werteunion firmierende schrille Minderheit immer wieder öffentlich auf sich und ihre Weltsicht aus feudalen Zeiten aufmerksam. Womit nun nach langer Vorrede die Bedeutung der Sachsenwahl für die Weiterentwicklung all dieser gesellschaftlichen Diskurse und die diesbezüglich konkrete Analyse des LSVD-Sachsen eingeordnet sind. 

Fortschritt, Stillstand oder Rückfall nach der Sachsenwahl

Die CDU hat in den meisten Ländern (Bayern ist immer noch Ausnahme) in progressiven Koalitionen mal zähneknirschend (Niedersachsen), mal federführend (Schleswig-Holstein) den Maßnahmeplänen zur strukturellen Aufklärung zugestimmt. Auch in Sachsen gibt es dank Initiative der SPD einen Aktionsplan zur Akzeptanz der Vielfalt von Lebensentwürfen“. Seine Fortführung und Erweiterung sind Kern der queerpolitischen Forderungen von Opposition und Menschenrechtsverbänden. Der LSVD fasst die Ergebnisse seiner Befragung (hier ausführlich) so zusammen: 

„Die Antworten der Parteien zeigen deutlich, wer sich zukünftig für Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen einsetzen möchte und welche Parteien beim Thema Vielfalt auf der Bremse stehen oder sogar einen Rollback wollen.“ Tom Haus aus dem Landesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) Sachsen.

Im Landesaktionsplan fehlten demnach in wichtigen Bereichen, wie der Bildung und der Bekämpfung von homosexuellen- und transfeindlich motivierter Hasskriminalität immer noch verbindliche Maßnahmen.

Der Verband weiter:

  • Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP wollen die Fortentwicklung des Aktionsplans vorantreiben, während die CDU erstmal prüfen möchte. Die AfD beweist mit ihren Antworten ihre queerfeindliche Grundhaltung und lehnt jede weitere Fortschreibung des Aktionsplans und auch die Finanzierung von LSBTI-Projekten ab.
  • Beim Thema Bekämpfung von homosexuellen- und transfeindlicher Hasskriminalität zeigt sich ein ähnliches Bild. Während sich Grüne, Linke und die SPD progressiv zeigen, ist die CDU zurückhaltend und spricht sich sogar gegen eine explizite Ausweisung solcher Straftaten in den Kriminalstatistiken aus. Die AfD zeigt auch in diesem Bereich, dass sie LSBTI nicht berücksichtigen werden.
  • SPD, Linke und Grüne wollen sich auch beim Thema Bildung aktiv für „Vielfalt in Schule und Unterricht“ einsetzen. Die FDP sieht das Thema der LSBTI-inklusiven Ausgestaltung der Rahmenlehrpläne nichts als ihre politische Aufgabe an. Die AfD glänzt mit einem fragwürdigen Verständnis von Bildung und Familie und verdeutlicht ein weiteres Mal, dass Sie Menschen abseits ihres rechtspopulistischen Familienbildes weder anerkennen noch akzeptieren wird. Die CDU gibt sich zurückhaltend und scheut scheinbar eine klare Positionierung.  

Queerpolitische Heuchelei der AfD ...

Besonders ihre Negierung des Kampfes gegen homophobe Hassgewalt verwundert. Ist es doch die AfD, die jeden solchen Vorfall, wenn von Nichtweißen verübt, medial zum finalen Dolchstoß gegen unsere vaterländische Volksgemeinschaft hochstilisiert. 

Foto: www.facebook.com/aliceweidel/

Die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, die lesbische Alice Weidel, verstieg sich in einem „Interview“ mit einem homophilen rechtsextremen Verschwörungstheoretiker für dessen pseudojournalistische Fakenews-Hetzseite im Bezug auf Homophobie durch muslimische Mitbürger sogar zu dieser Aussage;

Die AfD [ist] die einzige echte Schutzmacht** für Schwule und Lesben in Deutschland.“

Die Antworten auf die queerpolitischen Fragestellungen des LSVD sind das exakte Gegenteil dieser Behauptung. Zum wiederholten Mal. (blu berichtete)

... und eine CDU in der Zeitschleife 

Während die AfD ganz genau weiß, was sie noch einmal ausprobieren möchte, ist die CDU in einer Art Zeitschleife gefangen und weiß offenbar immer noch nicht, ob sie diese bei Ausfahrt 2019 oder 1933 verlassen soll. Die Last der Verantwortung, die dabei auf Ministerpräsident Michael Kretschmer einwirkt, kann kaum hoch genug bewertet werden. Sachsen war schon einmal der politische Dammbruch für ein fürchterliches Experiment, voraufklärerische Ideologien und Machtstrukturen in die Moderne zu überführen. Sachsen ist aber gleichzeitig eines der Musterbeispiele, wie Aufklärung und Konservatismus harmonisch zu kultureller und gesellschaftlicher Höchstleistung beitrugen konnten.

Foto: D. Zakic / unsplash / CC0

So verlockend vermeintlich geordnete Verhältnisse aus konservativer Sicht scheinen mögen, so verführerisch der Ruf nach bürgerlichem Rückzug ins gediegene Private aus der herauspolierten Altstadt Dresdens auch klingen mag: es sind und es waren immer schon Chimären aus einer verklärten und zutiefst finsteren Vergangenheit. Finster für alle die, die keine Privilegien hatten. Und das waren fast alle. 

Intersektionalität begreifen und nutzen

Queerpolitik ist nur eine Facette der strukturell immer ahnlich konstruierten Diskurse um verschiedenste Formen der Diskriminierung. Der LSVD Sachsen hat sich daher gemeinsam mit 50 Organisationen auch am Wahlkompass Antidiskriminierungspolitik Sachsen beteiligt, der 103 Fragen und die Antworten der Parteien enthält.

Faszinierender Lesestoff in einer manchmal so verzerrt hoffnungslos wirkenden Zeit. Geht bitte wählen. 


*Naturrecht hat nichts mit Umweltschutz zu tun, sondern bezeichnet die theologische Ideologie einer gottgewollten natürlichen (Macht)Ordnung

**Schutzmacht, Schutzgeld, Schutzjude von Wolfgang Brosche (freier Gastautor für blu.fm) entlarvt die Nähe der Sprache Weidels zu antisemitischen Chiffren. 

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