Fortwährende Eingriffe: Keine Angst vor Sex!

by

Foto: D. Belmont

Seit Anfang der 1980er-Jahre ist HIV allgegenwärtiger Begleiter schwuler Männer. Egal, ob man infiziert ist oder nicht: Das Virus beeinflusst die Art und Weise wie wir leben und lieben fundamental, denn HIV ist zum Synonym für Angst geworden. Angst vor Versagen, Angst vor Ausgrenzung und Angst vor Krankheit und Tod. Eine angstfreie Sexualität kennen viele Schwule nicht (mehr). 

Diese Tatsache ist besonders deswegen erstaunlich, weil HIV inzwischen eine gut behandelbare chronische Krankheit ist und die Schutzmöglichkeiten durch Kondom, PrEP und Schutz durch Therapie so individuell wie einfach geworden sind. Kennt und nutzt man diese Möglichkeiten, ist Angst vor einer Ansteckung eigentlich nicht mehr rational erklärbar und damit auch die Angst vor Sex – zumindest aus diesem Grund – obsolet.

Sexangst 2.0 durch Kampagnen wegen anderer Krankheiten 

Im Sommer erreichte eine Studie hohe mediale Aufmerksamkeit, nach der es erstmals mehr Syphilisansteckungen als HIV-Neuinfektionen in Europa gab (blu kommentierte). Diese aus rein epidemiologischer Sicht eigentlich gute Nachricht, wurde fast durchgängig so dargestellt, dass Sorglosigkeit und Kondomverzicht eine Gefahr für die sexuelle Gesundheit der Bevölkerung darstellten. Dabei fehlte fast durchgängig eine entscheidende Einordnung: Die Syphilis ist einfach zu heilen, Resistenzen sind nicht bekannt. Und ein Rückgang der HIV-Neuinfektionen in Europa von 31.000 im Jahr 2016 auf  25.353 in 2017 ist Beweis dafür, dass die HIV-Prävention erfolgreich funktioniert. 

Sexuelle Gesundheit durch angstfreie Sexualität

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sexuelle Gesundheit als Ziel definiert. Psychisch belastende Ängste, die zum Beispiel durch fehlende oder falsche Aufklärung über Risiken von Geschlechtskrankheiten ausgelöst werden können, dienen diesem Ziel nicht: 

„Sexuelle Gesundheit ist untrennbar mit Gesundheit insgesamt, mit Wohlbefinden und Lebensqualität verbunden. Sie ist ein Zustand des körperlichen, emotionalen, mentalen und sozialen Wohlbefindens in Bezug auf die Sexualität und nicht nur das Fehlen von Krankheit, Funktionsstörungen oder Gebrechen. Sexuelle Gesundheit setzt eine positive und respektvolle Haltung zu Sexualität und sexuellen Beziehungen voraus sowie die Möglichkeit, angenehme und sichere sexuelle Erfahrungen zu machen, und zwar frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt. Sexuelle Gesundheit lässt sich nur erlangen und erhalten, wenn die sexuellen Rechte aller Menschen geachtet, geschützt und erfüllt werden.“

Kompendium zu HIV, AIDS und Sexualfeindlichkeit

Unter dem Titel „Fortwährende Eingriffe“ ist im Männerschwarm Verlag ein Sammelband mit Aufsätzen, Vorträgen und Reden des Sexualwissenschaftlers Martin Dannecker erschienen. Diese Sammlung von Texten zu HIV und AIDS über vier Jahrzehnte hilft hervorragend beim Verständnis, warum Angst vor Sexualität in der HIV-Krise durchaus nachvollziehbar und berechtigt war. Gleichzeitig entlarven die Texte aber auch, wie diese Angst von Anfang an und bis heute moralisierend und sexualfeindlich missbraucht wurde und wird. Dem gilt es, sich mit aller Macht entgegenzustellen, um eine neue Angst und Stigmatisierung von Sexualität nicht zuzulassen.

Lesungen mit Martin Dannecker

3. 9., Halle, Aids-Hilfe Halle

16.10., Stuttgart, Buchladen Erlkönig, 19:30 Uhr

29.10., München, Sub, 19:30 Uhr

14.11., Köln, Ruhrpott

28.11., Darmstadt, Aids-Hilfe Darmstadt

29.11., Marburg, Aidshilfe Marburg

2.12., Düsseldorf, Aidshilfe Düsseldorf

3.12., Essen, Folkwang Universität der Künste

Back to topbutton