Kongressbericht „HIV im Dialog 2019“: Vorurteile und Chancen

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NAm vergangenen Wochenende fand der Kongress HIV im Dialog im Roten Rathaus unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters, Michael Müllers, statt. Die Auseinandersetzung mit Stigma und Vorurteil standen im Zentrum des zweitägigen Kongresses.

Foto: B. Niendel

Diskriminierung durch den Staat

Obwohl in den vergangenen Jahren eine HIV-Infektion kaum noch ein Anstellungshindernis ist, selbst für eine Verbeamtung, schließt die Polizei der Länder und des Bundes HIV-Positive immer noch aus Die anwesenden Politiker des Sebastian Walter, Die Grünen und Carsten Schatz, DIE LINKE von der Berliner Regierungskoalition erläuterten in der Auftaktdiskussion, wie schwierig es sei gerade in diesem Bereich Änderungen, für die sie streiten, herbeizuführen. Ein jüngstes Verwaltungsgerichtsurteil, dass einem HIV-positiven Polizeibewerber eine Anstellung ermöglicht, macht hier jedoch Mut. Die Polizei der Länder speichert HIV-Positive unter dem Label ANST (Ansteckend), um vorgeblich Polizisten bei Einsätzen zu schützen. Die Speicherung ist stigmatisierend und ohne medizinischen Grund. Da fast alle HIV-Positiven antiretrovirale Medikamente nehmen und sie deshalb keinen HI-Virus übertragen können. Trotz Bemühungen der Rot-rot-grünen Regierungskoalition konnte diese Datenspeicherung noch nicht abgeschafft werden. Dass HIV-Positive unter Therapie keinen Virus übertragen können ist auch vielen Ärzten und Pflegern nicht bekannt. So wurde in einer weiteren Veranstaltung deutlich, dass dies 40 % der Berliner Pflegekräfte nicht bekannt ist.

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Vorurteile und Unwissen können auch zum Tode führen. Latepresenter werden HIV-positive genannt bei denen die HIV-Infektion erst sehr spät erkannt wird. Diese kommen – auch in Berlin –zumeist mit zahlreichen AIDS-definierenden Erkrankungen zu Spezialisten, wie der Infektiologie im Auguste-Viktoria-Krankenhaus (AVK). Volker Wierz, Stationspflegeleiter im AVK, berichtete, dass etwa 10 % der Latepresenter versterben, da die HIV-Therapie nicht mehr erfolgreich angewandt werden kann. Wierz erläuterte, dass Patienten aus Angst vor dem Test oder aus Unwissenheit nicht zuvor einen HIV-Test machten. Studien belegen, dass Vorurteile gegenüber HIV/Aids Menschen daran hindern einen Test zu machen. Dies betrifft aber auch Ärzte in Berlin, die selbst offensichtliche Symptome einer akuten Aidserkrankung nicht als solche diagnostizieren.

Drugchecking

Ein weiteres Panel berichtete, dass das Land Berlin als erstes Bundesland Drugchecking als Projekt in der Partyszene in Auftrag gab. Projekt in der Partyszene mit Drugchecking beginnt. Das Wissen und die Gefährlichkeit von Substanzgebrauch soll unter Nutzern, nicht nur in der schwulen Partyszene, erhöht werden. In den nächsten Wochen startet das Projekt. Nutzer können Substanzen dort zum Test abgeben und werden in einem Gespräch über Risiken informiert.

PrEP als Kassenleistung

Ein weiteres Thema des Kongresses war die PrEP auf Krankenschein. Also die Möglichkeit der Kostenübernahme von antiretroviralen Medikamenten zur vorherigen Einnahme, um keinen HIV-Virus zu bekommen. Seit dem 1. September wird die PrEP von den Gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Karsten Schubert von der Universität Freiburg nahm sich dem Thema theoretisch an. Mit Bezug auf den Philosophen Michel Foucault stellte er heraus, dass die Möglichkeit der PrEP-Einnahme für schwule Männer stets im Rahmen einer Gesellschaft geschieht, die von Macht durchwoben ist, wie z.B. den Interessen der Pharmaindustrie oder der gesellschaftlichen Sexualmoral. Doch mit der PrEP sind auch demokratische Chancen verbunden Machtverhältnisse zu verschieben, indem sich PrEP-Nutzer mit einer starken Stimme in die Debatten einmischen.

Foto: B. Niendel

Professor Martin Dannecker, Sexualwissenschaftler, Schwulen- und Aidsaktivist der ersten Stunde, vertiefte dieses Thema ebenfalls. Gerade viele schwule Männer sehen in der PrEP die Möglichkeit das ungeliebte Kondom beim Sex zu vermeiden. Doch weiterhin werden in Leitlinien und Empfehlungen ein zusätzlicher Kondomgebrauch gefordert. Er sieht hierin auch repressive Elemente, die in Vorurteilen gegenüber dem Bild von einem ungezügelten schwulen Sex begründet sind. Martin Dannecker erhielt den ReD-Award des Kongresses für sein jahrzehntelanges Engagement zu HIV/Aids. Sicherlich ein Höhepunkt des Kongresses!

*Bodo Niendel, Referent für Queerpolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE

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