JAPAN: Dieser Mönch trägt High Heels

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Er ist vermutlich der glamouröseste Mönch, den die Welt je gesehen hat. Kodo Nishimura ist buddhistischer Mönch, Make-Up Artist und LGBTIQ*-Aktivist und steht für eine neue, queere und selbstbewusste Generation in Japan.

Foto: JNTO

Kodo Nishimura, geboren 1989, ist japanischer buddhistischer Mönch und Make-Up Artist, der in den USA und in Japan aktiv ist. Des Weiteren engagiert er sich als LGBTIQ*-Aktivist. Sein Vater war ebenfalls Mönch und Kodo wuchs dadurch im Tempel auf. Nach der High School ging er in die USA und studierte dort am Dean College. Während dieser Zeit entdeckte er seine Leidenschaft zu Mode und Make-Up und bildete sich darin weiter fort. Er schminkt internationale Models für Fashion-Shows und gibt Make-Up-Kurse für Transgender-Frauen. 2015 erhielt er die Mönchsweise und teilt seine Zeit seitdem gleichmäßig auf das Leben im Tempel und auf seine Karriere in der Fashion-Welt auf. Gerade erschien sein Buch „Der Mönch in High Heels“, in dem er über die Kraft der Selbstliebe schreibt, auch auf Deutsch.

Die Japanischen Zentrale für Tourismus (JNTO) traf Kodo zu einem virtuellen Interview und sprach mit ihm über Religion, Schönheit und außergewöhnliche Shopping-Tipps.

JNTO: Hallo Kodo-san, ich freue mich sehr, Sie heute online zu treffen und dieses Interview mit Ihnen zu führen. Ich und meine Kollegen im JNTO-Büro in Frankfurt empfanden Ihr Buch als echte Inspiration. Wir hoffen sehr, dass es viele Menschen lesen werden!  Kodo-san, Ihre Kamera zeigt Sie im Moment an einem sehr schönen Ort. Wo sind Sie gerade?

Kodo Nishimura: Ich befinde mich derzeit in Tokio, in dem Tempel, in dem ich geboren wurde und aufgewachsen bin. Ich lebte hier, bis ich 18 war, dann ging ich für elf Jahre in die USA, und jetzt bin ich wieder in Japan. Hier in unserem Tempel machen wir Zeremonien und ich lebe hier mit meiner Familie.

Aus Ihrem Buch entnehme ich, dass es sich um eine Institution Ihrer Familie handelt, ist das richtig?

Ja. Mein Vater wurde von diesem Tempel adoptiert, als er fünf Jahre alt war, weil er der zweite Sohn eines Bauern war und seine einzige berufliche Option darin bestand, ein Mönch zu werden. Ich glaube nicht, dass er erwartet, dass ich den Tempel aufgrund seiner eigenen Erfahrungen erben werde. Aber derzeit leben wir zu dritt, meine Eltern und ich, zusammen in diesem Tempel. Mein Vater ist für alle Zeremonien zuständig, und ich spreche in meinem Buch und in den sozialen Medien über den Buddhismus. Ich trete auch in verschiedenen Medien als Redner auf und hoffe, ein Vorbild zu sein.

Foto: Seth Miranda

Von einem deutschen Standpunkt aus betrachtet ist es sehr spannend, dass eine Familie einen buddhistischen Tempel betreibt. Vielleicht wissen Sie, dass man nach christlichem Glauben als Mönch ein sehr zurückgezogenes Leben führt. Man hat keine Familie. Aber in Japan ist das ganz anders. Für deutsche Besucher ist das sehr überraschend. Können Sie ein wenig darüber erzählen, wie das Tempelsystem organisiert ist, wer einen Tempel leiten kann, und warum eine Familie in einem Tempel lebt?

Religion entwickelt sich mit den Menschen. In der Vergangenheit wollte die japanische Regierung nicht, dass sich der Buddhismus ausbreitet, weil sie dem Shintoismus, also dem Animismus, den Vorrang geben wollte. Also gaben sie den buddhistischen Mönchen die Freiheit, Ihren Glauben und ihr Leben selbst zu organisieren. Um die buddhistische Tradition zu erhalten nahmen die buddhistischen Mönche damals Kinder auf, die im Tempel aufwuchsen. Außerdem nahmen sie verschiedene Jobs an, da sie vom Mönchssein nicht leben konnten.  So haben sie sich angepasst, um zu überleben und dennoch der Gesellschaft am besten gerecht zu werden.

Heute konzentriere ich mich auf das, was Religion wirklich sein soll. Ich denke, es geht darum, die Menschen zu inspirieren und ihnen zu helfen. Sie sollen über ihre Grenzen hinausgehen und so leben, wie sie leben wollen. Die Rolle eines religiösen Führers besteht nicht darin, die Traditionen oder Rituale oder Kleidung zu bewahren, sondern mit den Menschen zu arbeiten und darüber nachzudenken, wie wir die Probleme, die wir heute haben, lösen können. Ich spreche auch über die Gleichstellungsbotschaft des Buddhismus. Und das ist, glaube ich, das, was Menschen im Wesentlichen brauchen. Wenn ich mich nicht ausreichend in sie einfühlen kann, kann ich auch keine Lösung bieten. Ich möchte also ein Bindeglied zwischen dem Buddhismus und den Menschen sein.

Das klingt nach einer echten Inspiration für Ihr Leben und das Leben anderer.

Ich habe das Gefühl, dass die Religion in vielen Ländern der Welt ein bestimmtes Image und eine bestimmte Rolle hat. Aber manchmal wissen wir, dass das nicht funktioniert. Manchmal wissen wir etwas, das nicht logisch ist, oder etwas, das einfach passiert. Und ich bin ein Mensch, der sehen will, wo etwas nicht richtig funktioniert. Ich bin wirklich entschlossen, LGBTQ-Menschen und Frauen gleiche Rechte zu verschaffen. Und ich glaube, dass wir uns dem stellen müssen, was wir früher vermieden haben, Fragen zu stellen, die wir nicht stellen durften, denn ich glaube, dass wir uns auf diese Weise weiterentwickeln werden. Ermutigung ist wirklich wichtig. Als Religionsführer möchte ich offen sein und über religiöse Systeme sprechen, darüber, wie sie in der Vergangenheit manipuliert wurden. 

Foto: Derek Makishima

Das wäre für viele Menschen eine große Hilfe. Religiöse Systeme neigen dazu, zu erstarren, und das ist definitiv etwas, mit dem Menschen nur schwer umgehen können, weil das System nicht auf die Bedürfnisse ihres Lebens eingeht. Das ist ein Problem für die Religionen weltweit.

Beim Anblick von religiösen Gebäuden und Würdenträgern denke ich häufig, viele von ihnen sind so prächtig. Sie haben so viel Geld, und die Fassade ist so ansprechend. Es ist schwer, das in Frage zu stellen. Auch wenn ich die buddhistische Religion betrachte und ehrlich bin, dann haben auch wir damit Geld verdient, oder über das Leben von Menschen bestimmt. Darüber sollte jeder Bescheid wissen, denn Religion gehört nicht den religiösen Führern, sondern jedem. Ich denke also, dass es auch für die Religion gut ist, wenn ich mich auf diese Weise öffne, denn Religion ist nicht dazu da, Geld zu verdienen, sondern damit sich jeder glücklich und ausgeglichen fühlt. Ich würde gerne viele Dinge offenlegen, aber gleichzeitig auch über die wunderbaren Lehren und Weisheiten sprechen, die den Menschen helfen sollen, damit sie sich wirklich befreit und gestärkt fühlen.

In Ihrem Buch geht es um Fragen der Schönheit und Selbstakzeptanz und welche Rolle die Schönheit im Leben der Menschen spielt. Warum denken Sie, dass Schönheit so wichtig ist? Was kann getan werden, damit sich die Menschen mit sich selbst wohler fühlen? Jeder erinnert sich an seine Teenagerzeit und die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Aussehen und dem, was man sich wünscht. Heutzutage, mit den sozialen Medien und all den Bildern, ist es sogar noch wichtiger, dass die Menschen sich mit ihrem Aussehen wohlfühlen und mit den Reaktionen, die sie bekommen, umgehen können. Gibt es einen Rat, den Sie ihnen geben können?

Schönheit ist ein tiefes und großes Thema. Wir sollten uns mit Schönheit beschäftigen, denn das buddhistische Avatamsaka-Sutra sagt, dass noble Tugend ein nobles Äußeres erfordert, was bedeutet, dass man sich leichter Respekt verschafft und die Menschen leichter inspirieren kann, wenn man sich nobel präsentiert. Wenn du etwas Schäbiges trägst, wie kannst du erwarten, dass andere Menschen dir zuhören? Wir sollten natürlich nicht von Schönheit besessen sein und perfekt aussehen wollen. Aber wir sollten uns auf positive Art präsentieren. Auf der anderen Seite finde ich es auch sehr schade, wenn man sich mit anderen Menschen vergleicht und versucht, jemand zu sein, der man nicht ist. Anstatt zu jemandem zu werden, der man nicht ist, sollte man Kleidung, Make-up oder eine Frisur finden, die zu einem passt, und die eigene Schönheit unterstreicht.

Foto: Masaki Sato

Wir sollten uns auch nicht minderwertig fühlen, sondern stolz auf unser einzigartiges Herz sein. Vielleicht strebt jemand danach, anderen Menschen zu helfen, oder sein Bestes zu geben, auch wenn man müde ist. Das ist die Art von Schönheit, die mit der Zeit nicht verschwindet. Deshalb möchte ich unser einzigartiges Herz wertschätzen, gut zu sein und freundlich. Und wenn ich mich auf eine Art und Weise pflegen kann, die meine eigene Schönheit ergänzt, dann macht das einfach Spaß und hilft, uns selbst noch mehr zu lieben.

Eine ganz praktische Frage in diesem Zusammenhang. Einige Ihrer Leser reisen vielleicht von Deutschland nach Japan und denken: "Ich mag den Stil von Kodo-san". Gibt es Geschäfte oder Orte, die Sie ihnen empfehlen können?

Ja. Ich liebe den Boulevard Omotesando in Tokio. Wenn man japanische Designer wie Yohji Yamamoto sucht, findet man sie alle dort. Welche Optionen gibt es dort noch?  Dort gibt es auch Vintage-Läden, zum Beispiel trage ich gerne etwas Upcyceltes. Vor kurzem habe ich gelernt, dass es auch cool ist, etwas Altes zu tragen. Hier trage ich zum Beispiel ein ehemals weißes Hemd, das mit Farbe eingefärbt und wie neu gemacht wurde. Ich finde es wirklich toll, wenn man etwas Altes kaufen und mit etwas Neuem kombinieren kann.

Noch eine Frage: Wenn jemand an spirituellen Erfahrungen in Japan interessiert ist, wenn er tief in die japanische buddhistische Kultur eintauchen möchte, gibt es dann Orte, die Sie ihm empfehlen können?

Sicher. Ich würde gerne zwei Tempel vorstellen. Der eine ist Zojoji. Zojoji ist ein Tempel direkt unterhalb des Tokyo Tower. Ich habe dort meine Ausbildung gemacht. Ich bin jeden Morgen um 5:30 Uhr aufgestanden, um zu singen und Zeremonien abzuhalten. Es ist ein riesiger Tempel, mit vielen Gebäuden und dennoch ein wirklich friedlicher Ort. Auf der Rückseite des Tempels wächst Bambus, und man hört das Geräusch der Blätter im Wind. Der andere Ort, den ich empfehle, ist der Sensoji Temple in Asakusa in Tokio. Er ist wirklich groß, und hier kann man Japan erfahren. Man kann sich im Rauch der Räucherstäbchen reinigen, oder Souvenirs und Glücksbringer kaufen, es gibt dort viele Geschäfte für japanische Kimonos oder Katana, Geschäfte für grünen Tee, Eis und Süßigkeiten. Es gibt auch einen kleinen Vergnügungspark namens Hanayashki, der wirklich retro ist. Als ich noch klein war, war ich oft dort. Es ist also ein wirklich interessanter Ort mit viel japanischem Flair.

Vielen Dank für Ihre Empfehlungen, Kodo-san! Vielleicht noch eine letzte Frage. Sie haben als Kind einige Zeit in Deutschland verbracht, ist das richtig? Das wird Ihre deutschen Leserinnen und Leser faszinieren. Gibt es eine besondere Erinnerung aus Deutschland, die Sie mit Ihren deutschen Lesern teilen möchten, oder eine besondere Botschaft, die Sie den deutschen Lesern mit auf den Weg geben möchten?

Sicher. Ich war vielleicht vier oder fünf Mal in Deutschland, denn meine Eltern lebten dort, als sie in den Dreißigern waren. Sie haben zwei Jahre in Deutschland verbracht und sprechen Deutsch. Nach meiner Geburt reisten wir immer wieder nach Deutschland, weil sie ihre alten Freunde und Lehrer besuchen wollten. Als ich drei Jahre alt war, war ich zum ersten Mal dort, auch in Österreich, und es war wirklich schön, wie eine Märchenwelt, so habe ich es empfunden. Es war wirklich magisch, ganz anders als Japan. Ich erinnere mich vor allem an das Essen. Mein Lieblingsgetränk war zum Beispiel deutscher Apfelsaft, er ist viel stärker als japanischer Apfelsaft, den mochte ich sehr. Und ich mochte auch Bananeneis, das haben wir in Japan nicht.

Foto: Masaki Sato

Es war eine wirklich schöne Zeit mit meinen Eltern und ich lernte, dass das Universum nicht nur aus Japan besteht. Es gibt so viele Länder auf der Welt, und dennoch so viel Verbindendes, obwohl wir verschiedene Sprachen sprechen oder eine andere Kultur haben. Der Besuch in Deutschland hat mir die Augen geöffnet, vielleicht auch die meiner Eltern. Sie waren also auf mich vorbereitet. Und ich konnte in die USA gehen, und dort ist man wirklich offen für andere Kulturen in der Welt. So konnte ich mich frei fühlen und so sein, wie ich bin. Ich bin also sehr dankbar, dass Deutschland unserer Familie so viel Hoffnung gegeben hat.

Haben Sie noch eine Botschaft zum Abschied?

Ich habe einmal gehört, man beherrscht keine Sprache, wenn man nur eine Sprache kennt. Und ich denke, mit der Religion ist es dasselbe. Wenn man nur eine Religion kennt, kennt man die Religion nicht wirklich. Ich will also niemanden bekehren, aber ich finde es gut, wenn man sich mit den verschiedenen Religionen der Welt beschäftigt, mit ihren Lehren. Sammelt also Informationen, beschäftigt euch mit verschiedenen Ideen und Kulturen aus der ganzen Welt. Für mich ist das Beste, was ich tun kann, über meine Erfahrungen zu sprechen, denn ich bin in einer traditionellen japanischen Familie aufgewachsen, bin homosexuell und möchte mich in einem männlichen Körper schminken, was wirklich schwierig ist. Aber ich habe gelernt, dass es okay ist, so zu sein, wie ich bin, und dass es okay ist, das zu tun, was ich liebe. Ich bin also hier, um euch zu eurer Einzigartigkeit und euren Unterschieden zu ermutigen. Genießen Sie also mein Buch, ich bin hier, um Ihnen all die Unterstützung zu geben, die Sie brauchen.

Ich plane, Deutschland im Sommer zu besuchen, und das Essen zu genießen. Als ich drei Jahre alt war, habe ich kein Englisch gesprochen, also denke ich, dass ich jetzt, da mein Englisch sehr viel besser ist, mehr Freunde finden kann. Bitte wünschen Sie mir Glück, dass ich viele Freunde finde, und wenn Sie dort sind, wäre es vielleicht wunderbar, Sie das nächste Mal persönlich zu sehen.

Weitere Infos zum Reiseland Japan findet man auf www.japan.travel

„Der Mönch in High Heels“ ist im Verlag Knaur Balance erschienen - wir verlosen 3 Exemplare!

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