Der Mütterversteher im Interview: Pedro Almodóvar

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Foto: Studiocanal

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Nicht zum ersten Mal erzählt der spanische Oscar-Gewinner Pedro Almodóvar in seinem neuen Film „Parallele Mütter“ von unterschiedlichen Mutterfiguren rund um seine Stammschauspielerin Penélope Cruz. Doch gleichzeitig betritt er neues Terrain und widmet sich erstmals dezidiert politischen Themen und Spaniens Geschichte. Wir sprachen darüber im Videotelefonat mit dem schwulen Filmemacher, dem vor vierzig Jahren mit seinem zweiten Spielfilm „Labyrinth der Leidenschaften“ der große Durchbruch gelang.

Herr Almodóvar, nach Ihrem bislang persönlichsten Film „Leid und Herrlichkeit“ legen Sie nun mit „Parallele Mütter“ Ihren politischsten vor. Besteht da ein Zusammenhang?

Nicht wirklich. Höchstens in dem Sinne, dass mir diese autobiografische Auseinandersetzung unwiederbringlich gezeigt hat, dass ich alt werde. Weswegen ich mir wohl mehr Gedanken denn je über die Vergangenheit und das Vergehen von Zeit mache. Aber lange Rede, kurzer Sinn: „Parallele Mütter“ ist nicht irgendwie eine Reaktion auf den Film davor oder so. Im Gegenteil hatte ich die Geschichte für den neuen schon lange mit mir herumgetragen und bereits vor zehn Jahren eine erste Drehbuchfassung geschrieben.

Haben Sie in früheren Filmen politische Themen bewusst gemieden?

Nein, aber mich trieben andere Sachen um. Ich begann meine Karriere als Filmemacher in einer sehr besonderen Zeit, als Spanien sich gerade neu erfand und zur Demokratie wurde. Da war es uns jungen Menschen wichtiger, im Hier und Jetzt zu leben und auf die Gegenwart zu schauen, als in die Vergangenheit zu blicken. Und unsere neue Freiheit zu genießen. Wobei das ja gar nicht heißt, dass wir damals unpolitisch waren. Mir ging es, auch in meiner Arbeit, um Drogen und Sex, aber auch um Gleichberechtigung und die Rechte von Homo- und Transsexuellen.

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In „Parallele Mütter“ geht es nun – in einem von zwei Handlungssträngen – um die Aufarbeitung von Verbrechen aus der Franco-Zeit und das Öffnen anonymer Massengräber. Ist das heutzutage in Spanien noch ein kontroverses Thema?

Auf jeden Fall eines, das uns seit einiger Zeit endlich mehr umtreibt denn je. Spanien war schon immer ein sehr geteiltes Land, nicht zuletzt deswegen gab es ja damals den Bürgerkrieg. Inzwischen gibt es, zumindest in den jüngeren Generationen, eigentlich eine große Mehrheit von Menschen, die dringend dafür sind, dass wir uns mit unserer Geschichte des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen und dass vor allem die Opfer des Bürgerkrieges und der Franco-Zeit Wiedergutmachung erfahren müssen. Gleichzeitig gibt es auch starken Widerstand von rechts, wo man lieber auf Geschichtsrevisionismus und Fake News setzt. Deswegen war es mir ein Anliegen, diesem Thema – und der Wahrheit – mit meinem Film breites Gehör zu verschaffen.

Sie setzten sich aber, der Titel deutet es an, auch wieder mit Mutterschaft auseinander. Was interessiert Sie eigentlich daran so sehr?

Herunterbrechen kann man es sicherlich darauf, dass meine eigene Mutter eine so wichtige Rolle in meinem Leben gespielt hat. Sie und die anderen ländlichen Mütter ihrer Generation haben mich sehr geprägt, denn die meisten von ihnen habe ich als liebevolle, vorurteilsfreie Frauen erlebt, denen ich stets ein Denkmal setzen wollte. In praktisch allen meinen Filmen waren die Mutterfiguren letztlich eine Version meiner Mutter, kombiniert mit Elementen moderner Frauen. „Parallele Mütter“ ist nun der erste, der ohne den Schatten meiner Mutter auskommt und wo ich ganz bewusst andere, jüngere Frauen als Vorbilder im Kopf hatte.

Wir müssen noch über Penélope Cruz sprechen, die so etwas wie Ihre Muse ist. Kann sie Sie nach all den gemeinsamen Filmen noch überraschen?

Als Schauspielerin immer wieder. In „Parallele Mütter“ hat sie mich sprachlos gemacht, so gut war sie noch nie. Aber gleichzeitig ist es natürlich wichtig, dass wir uns so gut kennen und befreundet sind. Und dass sie sich vor allem in all den Jahren eigentlich nicht verändert hat. Sie ist bis heute so leidenschaftlich und geduldig wie früher – und nicht zuletzt großzügig mit ihrer Zeit. Ich verlange als Regisseur meinen Schauspielern viel Engagement und Zeit ab. Gerade in Fällen wie diesem, wo Penélope jemanden spielt, der das Gegenteil von ihr selbst ist. So eine Rolle stemmt man nicht über Nacht. Aber obwohl sie mittlerweile ein viel beschäftigter Weltstar, Mutter und Ehefrau ist, stand sie mir kein bisschen weniger zur Verfügung als bei unserem allerersten gemeinsamen Film.

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Cruz zur Seite gestellt haben Sie dieses Mal mit Milena Smit eine junge Schauspielerin, die vorher überhaupt erst einen anderen Film gedreht hatte. Eine riskante Entscheidung?

Definitiv, das war ein Risiko. Aber manchmal muss man das eingehen. Nicht immer ist es gut gegangen, wenn ich mit unerfahrenen, mir unbekannten Schauspielerinnen und Schauspielern gedreht habe. Doch manchmal war es auch ein Lottogewinn, so wie in diesem Fall. Milena war schon beim Casting super, aber beim Drehen habe ich sie dann noch mal ganz neu entdeckt. Es hat mich unfassbar gerührt, ihr Erwachen als Schauspielerin begleiten zu dürfen. Die Kamera liebt sie wirklich auf geradezu wundersame Weise, das ist selbst unter talentierten Schauspielerinnen keine Selbstverständlichkeit. Jetzt jedenfalls gehört sie für mich zu meiner Filmfamilie und ich kann es nicht erwarten, wieder mit ihr zu arbeiten.

Als Nächstes werden Sie aber erst einmal mit Cate Blanchett drehen, Ihren ersten langen englischsprachigen Spielfilm, nicht wahr?

Danach sieht es gerade aus, in der Tat. Das Projekt befindet sich allerdings noch in einer frühen Phase, deswegen kann ich Ihnen dazu noch gar nicht viel erzählen. Auf jeden Fall wird es sich um eine Adaption des Buches „Was ich sonst noch verpasst habe“ der wunderbaren Autorin Lucia Berlin handeln. Kennen Sie deren Kurzgeschichten? Müssen Sie unbedingt lesen, die sind ganz wundervoll. Bitter und elend, aber gleichzeitig herrlich komisch.

*Interview: Patrick Heidmann

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