Interview: Ian McKellen ist Holmes

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Foto: Alamode Film

Was passiert eigentlich, wenn der berühmteste Detektiv aller Zeiten alt wird und beginnt, sein Gedächtnis zu verlieren? Dieser Frage geht Regisseur Bill Condon (Breaking Dawn) mit einem famos spielenden Ian McKellen in seinem Drama nach. Sir Ian McKellen ist ein Holmes, der aus Trotz mittlerweile lieber Zigarre als Pfeife raucht und auch nicht seine berühmte Mütze trägt, sondern eher Zylinder. Er lebt zurückgezogen auf seinem Landgut, betreut von seiner Haushälterin (Laura Linney), und züchtet Bienen. Ein beschauliches Leben, wäre da nur nicht die Angst, sein Gedächtnis vollends zu verlieren. Außerdem quält ihn in seinen Träumen sein letzter Fall, der ihn grundlegend verändert hat und gleichzeitig auch das Ende seiner Karriere bedeutete. Wenn er sich doch nur erinnern könnte ... Ein wunderbarer Film, der feinsinnig der Frage nachgeht, was im Leben zählt und was Einsamkeit und Nähe wirklich bedeuten. Kino

Der Weltstar im exklusiven Interview zum neuen Kinoerfolg:

SIE SIND MITTLERWEILE EIN ECHTER KASSENMAGNET, NICHT WAHR?

Ach, ich weiß nicht, ob ich das so unterschreiben würde. Wer weiß schon genau, warum die Menschen am Ende eine Kinokarte kaufen? Wenn wirs wüssten, wären wir alle reich und in Hollywood würde das Wort Flop nicht mehr existieren. Aber in diesem Fall würde ich sagen, dass Sherlock Holmes der eigentliche Star des Films ist. Ich würde den Erfolg also erst einmal ihm in die Schuhe schieben.

HABEN SIE SICH FÜR IHREN HOLMES AUCH EINIGE DER ANDEREN VERSIONEN ANGESEHEN?

Nein, um mich einzufinden, brauchte ich nur das Drehbuch. Da steht ja meistens alles drin, was für eine Figur wichtig ist. Man muss sich die Worte als Schauspieler nur zunutze machen. Und andere Holmes-Verfilmungen musste ich mir in diesem Fall ohnehin nicht anschauen, denn ich wusste auch so genug über diese Figur, um ein ziemlich klares Bild davon im Kopf zu haben, was ihn ausmacht. Für ihn dreht sich alles um den Verstand, der Körper ist nur dazu da, den Kopf zu tragen. In den Rückblenden, die wir für Mr. Holmes gedreht haben, war es das, was ich vermitteln wollte. Wobei bei uns ja das Besondere ist, dass dieser Körper nachlässt und womöglich eben auch der Verstand. Da musste ich dann versuchen, das zu verkörpern, und zwar ohne die typische Mütze und die Pfeife im Mund.

IHR HOLMES HAT SICH JEDENFALLS IN DEN RUHESTAND ZURÜCKGEZOGEN. DAVON KANN BEI IHNEN KEINE REDE SEIN, ODER?

Ich drehe nicht wie am Fließband, seit Mr. Holmes stand ich nur noch für das Ende meiner Serie Vicious und ein paar Tage bei Die Schöne und das Biest vor der Kamera. Ach, und die Fernsehproduktion The Dresser mit meinem Freund Tony Hopkins. Aber wirklich darüber nachgedacht, in Rente zu gehen, habe ich tatsächlich nie. Immer wenn ich dachte, ich sollte kürzertreten, habe ich wieder gemerkt, dass ich dafür einfach zu gerne arbeite. Das ist ja das Schöne an der Schauspielerei: Man muss nicht in den Ruhestand, wenn man nicht will. Auch wenn die Versicherungen das manchmal ein wenig anders sehen.

DER PUB, DEN SIE IN LONDON GEKAUFT HABEN, IST ALSO KEINE ALTERSVORSORGE?

Im Gegenteil. Eine Kneipe sollte man sich nur zulegen, wenn man Geld verlieren will. Ich habe mir den ohne Frage nicht angeschafft, weil ich etwas verdienen wollte.

LASSEN SIE UNS NOCH EIN WENIG ÜBER FREUNDSCHAFTEN REDEN. IHREN MR. HOLMES-REGISSEUR BILL CONDON KENNEN SIE SCHON SEIT DER GEMEINSAMEN ARBEIT AN GODS AND MONSTERS...

Und wir sind all die Jahre Freunde geblieben. Wann immer ich auf dem Weg nach Mittelerde, also zu den Dreharbeiten in Neuseeland, war, habe ich in L. A. einen Zwischenstopp gemacht und mich bei Bill und seinem Lebensgefährten einquartiert. Es war immer der Plan, dass wir eines Tages wieder zusammenarbeiten, deswegen habe ich ihm für Mr. Holmes schon zugesagt, bevor ich überhaupt das Drehbuch in der Hand hielt. Es gibt doch nichts Schöneres, als mit Freunden zu arbeiten. Deswegen habe ich sechs Filme mit Peter Jackson gedreht und vier oder fünf mit Bryan Singer. Und mit meinem Ex Sean Mathias hatte ich am Theater sogar sicherlich zehn Projekte, auch nach unserer Trennung.

EIN WEITERER FREUND VON IHNEN IST DER SCHRIFTSTELLER ARMISTEAD MAUPIN. HABEN SIE DURCH DIE AUF SEINEN STADTGESCHICHTEN BASIERENDE MINI-SERIE KENNENGELERNT?

Viel früher! Das muss 1979 gewesen sein. Da schrieb er noch die ersten Stadtgeschichten als Zeitungskolumne. Ich habe ihn damals schon bewundert, denn er war ein echter Pionier. Dass man so unterhaltsam und populär über schwules Leben schreiben kann, über die Stärken und Schwächen homosexueller Menschen und darüber, dass sie auch nicht anders sind als alle anderen, das war ja vor ihm unvorstellbar. Kein Wunder, dass er zu den Leuten gehörte, die ich damals gefragt habe, ob ich mich outen solle. Und natürlich hat er mich ermutigt, denn es geht ihm immer darum, dass die Menschen das Bestmögliche aus ihrem Leben machen.

SIE MEINEN IHR ÖFFENTLICHES COMING-OUT 1988?

Genau. Ich war ja nie wirklich ungeoutet. In London habe ich ein sehr schwules Leben gelebt und nichts versteckt. Das ging damals, obwohl die entsprechenden Gesetze, die Homosexualität illegal machten, erst später aufgehoben wurden. Als Theaterschauspieler hatte ich Freiheiten, die andere nicht hatten. Deswegen dann ja auch schließlich das öffentliche Bekenntnis und mein Engagement gegen Paragrafen. Ich wollte nicht so egoistisch sein und anderer Leute Unterdrückung in Kauf nehmen, nur weil ich selbst glücklicherweise verschont blieb. Wobei wir nicht vergessen sollten: In erster Linie geht es beim Coming-out um einen selbst.

WIE MEINEN SIE DAS?

Man nimmt das eigene Leben in die Hand. Man wird selbstbestimmt und macht sich frei von Ängsten und Geheimnissen. Das ist letztlich schon in sich eine gewisse Politisierung. Und ein gemeinsamer Nenner, denn jeder homosexuelle Mensch muss diesen Akt hinter sich bringen. Egal ob öffentlich oder sich selbst gegenüber, egal ob er problemlos verläuft oder mit Schwierigkeiten verbunden ist. Kein heterosexueller Mensch macht diese Erfahrung, deswegen ist sie so besonders. Und meiner Meinung nach ein Vorteil für uns, denn wir sind dadurch gezwungen, zumindest bis zu einem gewissen Grad mit uns selbst ins Reine zu kommen.

*Interview: Jonathan Fink

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