Nahuel Pérez Biscayart: „Persischstunden“

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Foto: Alamode Film

Geboren 1986 in Buenos Aires, startete Nahuel Pérez Biscayart seine Schauspielkarriere als Teenager in argentinischen Fernsehserien. Nach zahlreichen Rollen in der Heimat streckte er seine Fühler auch nach Europa aus und stand u. a. für Benoît Jacquot, Albert Dupontel oder Maria Schrader („Vor der Morgenröte“) vor der Kamera. Der große Durchbruch gelang ihm mit der Hauptrolle in dem gefeierten Aids-Drama „120 BPM“ von Robin Campillo, in dem er den HIV-positiven Aktivisten Sean spielte. Nun ist der schwule Schauspieler, der sein Privatleben in Interviews nicht kommentiert, neben Lars Eidinger in „Persischstunden“ zu sehen. Der Film, der am 24. September in die deutschen Kinos kommt, handelt von einem jüdischen Häftling, der 1942 in Frankreich vorgibt, einem SS-Kommandanten Farsi beizubringen, und so dem Tod zu entkommen versucht.

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Herr Biscayart, könnten wir dieses Gespräch eigentlich auch auf Deutsch führen?

Leider nicht, sorry. Wirklich sprechen tue ich nur Spanisch, Französisch und Englisch.

Dafür klingt Ihr Deutsch in „Persischstunden“ ziemlich gut ...

Danke. Aber zum Glück soll das auch im Film nicht meine Muttersprache sein. Ich habe schon früher in Buenos Aires ein bisschen Deutsch gelernt. Ich war fasziniert von Sprachen, und nachdem mir das Englischlernen ziemlich leichtfiel, wollte ich noch mehr können. Also habe ich mir Deutsch und Chinesisch vorgenommen – und manchmal deutsche Wörter in chinesische Schriftzeichen übersetzt. Für den Film musste ich dann aber doch noch mal ein bisschen mehr pauken.

War es auch das Spiel mit den Sprachen, das Sie an „Persischstunden“ interessierte?

Das war ohne Frage einer der Aspekte. Ich liebe Worte, Sprache, Kommunikation. Außerdem war das Drehbuch einfach spannend, vor allem, weil ich gerne Figuren spiele, die ihrerseits eine Rolle spielen. Und dann war da natürlich noch Lars Eidinger. Ich habe sehr darauf gedrängt, dass er die Rolle des SS-Offiziers bekommt, denn ich wollte unbedingt mal mit ihm arbeiten.

Woher kannten Sie Eidinger?

Ich hatte ihn im „Hamlet“ an der Schaubühne in Berlin gesehen und fand ihn großartig. Wie er auf der Bühne magnetisch alle Blicke auf sich zieht, das finde ich unglaublich inspirierend. Er hat etwas Funkelndes, das wollte ich mal in der direkten Zusammenarbeit erleben. Ich hoffe, dass sich von seiner Wirkung in unserem Film ein bisschen was auf die Leinwand überträgt – und vielleicht auch auf mich übertragen hat. Wobei wir wirklich sehr unterschiedlich sind. Während Lars ein richtiger Vollblutschauspieler ist, bin ich einfach nur jemand, der gerne spielt.

Wie genau meinen Sie das?

Die Schauspielerei bestimmt nicht mein Leben oder meine Sicht darauf. Sie ist natürlich ein Teil davon, aber definitiv nicht ihr Zentrum. Lars ist quasi ein Gläubiger, wenn es um seine Kunst und seine Arbeit geht. Er glaubt fest an die Schauspielerei, wohingegen ich vielleicht eher ein Skeptiker bin und deswegen auch immer wieder damit ringe.

Foto: Alamode Film

Fällt es nicht schwer, sich einer Rolle zu verschreiben, wenn man der eigenen Arbeit skeptisch gegenübersteht?

Nein, für mich ist das reizvoll. Verunsichert sein, Dinge hinterfragen – all das macht mich besser, wenn ich vor der Kamera stehe, würde ich sagen. Für einen Regisseur oder eine Regisseurin wäre das sicherlich schwerer. In der Funktion muss man sehr überzeugt sein von seiner Vision und fest daran glauben, sonst wird das nichts. Ich habe schon Dreharbeiten erlebt, wo der Regisseur diese Energie nicht mitbrachte – und aus der Sache schnell die Luft draußen war. Da kommt dann am Ende selten etwas Gutes heraus. Zum Glück habe ich aber auch oft genug die gegenteilige Erfahrung gemacht.

An welche denken Sie am liebsten zurück?

Ich habe schon mit vielen tollen Regisseuren gearbeitet, aber ganz besonders in Erinnerung geblieben ist mir die französische Filmemacherin Rebecca Zlotowski, in deren Film „Grand Central“ ich eigentlich nur eine kleine Rolle hatte. Selten habe ich jemanden erlebt, der mit so viel Sinnlichkeit und Leidenschaft bei der Sache ist – und diese Emotionen auf alle Beteiligten zu übertragen imstande war. Wenn jemand alle anderen mit seiner Begeisterung anstecken und zum Strahlen bringen kann, dann ist das schwer zu toppen!

Kurz noch mal zurück zu „Persischstunden“: Wie sehr geht es einem an die Nieren, wenn man den Insassen eines Nazi-Lagers spielen muss?

Für mich war das teilweise echt hart. Die Gratwanderung ist einfach schwierig: Einerseits will man die eigene, zerbrechliche Seele schützen und diese Thematik, also das Schicksal der Figur, nicht bis ins Letzte an sich herankommen lassen. Aber gleichzeitig ist es natürlich die Aufgabe, alles aufzusaugen und real werden zu lassen. Manchmal hat mir das wirklich die Kehle zugeschnürt. Vor allem, als wir nach einigen Wochen erfahren haben, dass die verlassene Fabrik, in der wir drehten, zu Stalins Zeiten tatsächlich ein Konzentrationslager war.

Kann man da überhaupt abschalten, wenn man abends nach Drehschluss nach Hause kommt?

Na ja, es hilft natürlich, dass man abends nach Hause kommt, eine Dusche nehmen kann, etwas isst und in einem warmen Zimmer sitzt. Wenn man gerade 14 Stunden bei minus 15 Grad im Schnee verbracht und eine solche Rolle gespielt hat, dann weiß man das eigene Glück schon zu schätzen.

Haben Sie beim Spielen dieser Rolle eine zusätzliche Verantwortung gespürt, weil Sie selbst nicht jüdisch sind?

Nein, das gar nicht. Zum einen fühle ich mich manchmal fast wie ein Jude ehrenhalber, weil in meiner Schulzeit in Buenos Aires sicherlich sechzig oder siebzig Prozent meiner Freunde jüdisch waren und ich einen starken Bezug zu dieser Religion und Kultur habe. Aber zum anderen muss man sich diesen Druck nicht machen, wenn man eine Rolle spielt. Ich muss eine Figur zwar verkörpern, aber nicht sein. Das ist immer noch Schauspielerei und wir kreieren Fiktion. Trotzdem bin ich natürlich mit ganzem Herzen und aller Leidenschaft bei der Sache – und denke, dass ich genug Empathie habe, auch Dinge nachzuempfinden, die ich selbst nicht erlebt habe. Für meine Rolle in „120 BPM“ musste ich ja auch nicht am eigenen Leib erleben, wie es ist, an Aids zu sterben.

Apropos „120 BPM“: Hat der Film vor drei Jahren Ihr Leben verändert?

Das kann man sicherlich so sagen. Davor war ich nur ein verrückter Argentinier, der irgendwie auch versucht, in Frankreich Filme zu drehen. Danach wurde ich plötzlich als europäischer Schauspieler gesehen, gewann den César und wurde für den Europäischen Filmpreis nominiert. Und bekomme seither jede Menge spannender Angebote nicht nur in Frankreich, sondern auch aus dem Rest der Welt. Vermutlich weiß der argentinische Präsident immer noch nicht, wer ich bin. Macron dagegen schon!

*Interview: Jonathan Fink

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