BUENOS AIRES: Bunte Seele

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Buenos Aires gehört zu den faszinierendsten Metropolen Lateinamerikas. Architektur, Kultur, Gastronomie und Nachtleben haben Weltklasseniveau – trotz ökonomischer Probleme des Landes. Und noch etwas ist herausragend: die gelebte Vielfalt der Stadt. Wir gingen auf eine queere Entdeckungstour.

Foto: Daniel Farias

„Die meisten Stadtführer beschreiben Buenos Aires immer wieder nur als das Paris Südamerikas“, sagt Mariana, die Gründerin von Lunfarda Travel. Das war ihr irgendwann zu platt, zu eindimensional. Die Stadt habe so viel mehr Spannendes zu bieten als nur die typischen Touristenattraktionen, erzählt sie. Aber die Reiseveranstalter, für die sie arbeitete, sind lieber auf Nummer sicher gegangen. Neue, außergewöhnliche Stadtführungen mit speziellem Fokus waren ihnen zu riskant. Mariana wollte sich damit nicht abfinden und gründete ihre eigene Reiseagentur im Herzen von Buenos Aires. Mit Lunfarda lebt sie nun ihre Ideale von Diversität und Toleranz und zeigt mit ihren Stadtführungen die Metropole von der bunten Seite: „Ja, Buenos Aires ist stark europäisch geprägt“, sagt Mariana, „aber eben auch indigen, latino, afrikanisch, jüdisch und queer!“

Das Wetter hat es nicht so gut gemeint. Ausgerechnet heute ist der Himmel wolkenverhangen, die Luft stickig, es könnte jederzeit regnen. Als ich die Reiseagentur im Stadtteil San Telmo erreiche, begrüßen mich Mariana und Santiago. Zusammen haben sie die queere Tour entwickelt. Schnell fällt auf, dass Mariana ein unerschöpflicher Kreativkopf ist. Allein die Räumlichkeiten der Agentur sind ein gekonnter Mix aus historischen Elementen und zeitgenössischer Kunst, die sie zusammengestellt hat. Vieles davon hat sie anfertigen lassen. Damit unterstützt sie lokale Künstler und Kleinbetriebe sowie soziale Einrichtungen. Und so fließt auch ein Teil der Einnahmen aus der queeren Tour in ein gemeinnütziges Projekt.

Foto: Dirk Baumgartl

Gut aufgehoben

Ein Fokus ihrer Reiseagentur liege auf der LGBTIQ*-Community in Buenos Aires, sagt Mariana. Es sei ihr ein wichtiges Anliegen, die Szene zu unterstützen und zu promoten, schließlich sei sie selbst queer. Ihr Coming-out hatte sie erstaunlich früh, schon mit zwölf Jahren. „Nun bin ich dreißig und immer noch Single“, erzählt sie scherzhaft. Wir lachen, das Eis ist gebrochen. Sie übergibt weiter an Santiago. Er kennt nicht nur die Szene von Buenos Aires hervorragend, sondern auch die Geschichte des Landes, wie Argentinien zu einem der liberalsten LGBTIQ*-Länder Lateinamerikas aufgestiegen ist. Seine Informationsfülle ist beeindruckend und es macht Spaß, ihm zuzuhören. Ich fühle mich gut aufgehoben.

Kontrastprogramm

„Wir werden heute hauptsächlich San Telmo und Palermo besuchen“, erklärt Santiago vorab. In diesen beiden Stadtteilen spielt sich der Großteil des Szenelebens ab. Dabei könnten die beiden Stadtteile kaum unterschiedlicher sein. San Telmo ist älter, atmet mehr Geschichte, das Flair ist rustikaler – und vielleicht gerade deswegen so charmant. Palermo hingegen ist größer und wirkt zumindest äußerlich etwas jünger. Zudem befinden sich dort die beiden angesagten Nachbarschaften Palermo SoHo und Palermo Hollywood, wo sich ein Großteil des Nachtlebens abspielt. Hier ist es besonders sicher, was Kleinkriminalität anbetrifft. Mich erinnern die beiden Stadtteile ein wenig an Berlin: San Telmo verhält sich zu Palermo wie Kreuzberg zu Mitte. Am Ende ist es Geschmackssache, was einem besser gefällt. Auf seine Wertsachen sollte man jedenfalls immer Acht geben.

Foto: Martin Lewicki

Ein Van steht vor der Tür, die Tour kann beginnen. Da die beiden Stadtteile relativ weit auseinanderliegen, macht es keinen Sinn, alles zu Fuß abzulaufen. „Bei gutem Wetter könnten Fahrräder eine Option sein“, sagt Santiago, denn wer sportlich aktiv ist, könnte die Tour auch auf einem Fahrrad absolvieren. Doch ein klimatisierter Van ist bei hohen Temperaturen und regnerischem Wetter – wie an diesem Tag – die weitaus bessere Lösung. Also steuern wir bequem das Evita-Museum an.

Ikone der Ausgegrenzten

„Die Argentinier lieben oder hassen Eva Perón“, sagt Santiago. Doch insbesondere in der queeren Szene wird sie regelrecht verehrt. Sie habe sich immer für Minderheiten und Ausgegrenzte in Argentinien eingesetzt und dazu ihre machtvolle Position an der Seite des umstrittenen Populisten Juan Perón genutzt. Während er nach seinem Amtseintritt als Argentiniens Präsident 1946 das Land durch seine autoritär geführte sozialistische Enteignungspolitik – auch Peronismus genannt – herunterwirtschaftete, stieg Evita mit ihrer Stiftung zur Helferin und zum Sprachrohr der Schwachen und Benachteiligten auf.

Foto: lunfardatravel.com

So spiegelt auch das Gebäude, in dem sich das Museum seit 2002 befindet, Evitas Engagement wider. Es wurde bereits 1948 von der Eva-Perón-Stiftung gekauft und restauriert. Im selben Jahr weihte es Evita als Zufluchtsort für misshandelte Mütter mit ihren Kindern ein. Zur damaligen Zeit ein Unding, mitten im gutbürgerlichen Palermo diese prächtige Villa mittellosen Frauen als Wohnort zu überlassen. Und es war auch kein Geheimnis, dass Evita sich gerne mit schwulen Männern umgab, wie ihrem damaligen Designer Paco Jamandreu. Seine Kreationen, die Evita zur Stilikone machten, sind natürlich auch Teil der Ausstellung. „Die Kostümschau gleich zu Beginn der Ausstellung ist neu“, sagt Santiago, der hier schon mehrmals war. Das Museum sei ein Muss für jeden Buenos-Aires-Besucher. Die tragische Geschichte von Eva Perón berührt ihn immer noch. Der frühe Krebstod mit nur 33 Jahren hat ihr sicherlich zum Ikonen-Status verholfen. Fast drei Millionen Menschen nahmen am Trauerumzug 1952 auf den Straßen von Buenos Aires teil. „Argentinier diskutieren bis heute über Evita, um ihre Rolle an der Seite des Populisten zu entschlüsseln“, sagt Santiago. Vielleicht ist es gerade das Ambivalente an ihr, das sie so faszinierend macht.

Idylle in der Großstadt

Als wir das Museum verlassen, hat sich der wolkenverhangene Himmel geöffnet, Sonnenstrahlen dringen hindurch, kein Regen in Sicht. Wir entscheiden uns, zu Fuß die nicht weit entfernten Parkanlagen zu erkunden. Es geht in den berühmten Rosengarten, der ein kleiner Teil des Parque Tres de Febrero ist. Eine Idylle mitten in der Großstadt, die der französisch-argentinische Landschaftsplaner Carlos Thays gestaltete. Heute schlendern hier Familien, Pärchen und natürlich Touristen. Wer seine bessere Hälfte dabei hat, der darf einen romantischen Kuss auf der Puento Griego nicht auslassen. „Ein Sprichwort sagt, dass die Liebe ewig hält, wenn man sich auf der Brücke küsst“, erzählt mir Santiago. Lachend fügt er hinzu, dass die Argentinier sehr abergläubische Menschen seien.

Foto: Martin Lewicki

Doch die weitläufigen Parkanlagen in Buenos Aires erzählen noch eine andere Geschichte. Insbesondere der Rosengarten war ein Ort zum Cruisen. Vor allem während der argentinischen Militärdiktatur (1976 – 1983), als Homosexuelle verfolgt wurden, diente der Garten sowohl Männern als auch politischen Gegnern als Treffpunkt. Zum Glück sind diese Zeiten längst vorbei. Allerdings können es viele nicht lassen und gehen immer noch lieber im Park auf die Suche anstatt in Dating-Apps. Rund um die Plaza de Pakistán, ein Parkabschnitt unweit vom Rosengarten, befindet sich solch ein beliebtes „Jagdrevier“.

Pause mit Regenbogen-Torte

„Buenos Aires hat kein echtes Szeneviertel“, sagt mir Santiago. Man habe zwar vor Jahren versucht, die Community auf ein Gebiet zu begrenzen, aber zum Glück ist es gescheitert. Stattdessen hat sich die bunte Szene über die ganze Stadt verteilt und vielleicht gerade dadurch für mehr Präsenz und Durchmischung gesorgt. Wir nehmen den Van und fahren zum Maricafé, einem beliebten Treffpunkt der LGBTIQ*-Community. Es ist eine Mischung aus Café, Bar und Buchladen. Begrüßt werden wir stilecht von einer Szene-Transe, die uns mit ihrem Fächer etwas frische Luft an diesem warmen Tag verschafft. „Die Regenbogen-Torte muss man hier probieren“, empfiehlt mir Santiago. Und wer hätte es gedacht: Dieses quietschbunte Zucker-Mehl-Sahnekonstrukt sieht nicht nur fantastisch aus, es schmeckt sogar!

Foto: Martin Lewicki

„Wie sieht es eigentlich mit Nachtleben aus?“, will ich von Santiago wissen. „Die meisten Partys finden in Palermo Hollywood statt“, antwortet er. Club 69 mit House-Musik gehöre zu den beliebtesten Partys der Stadt. Wer zu Latin Pop und Cumbia tanzen möchte, der findet im stilvollen Vorterix-Theater jeden Freitag und Samstag mit Fiesta Puerca und Fiesta Plop die wohl heißeste Party. Poppiger geht es bei Rheo zu, in einer Location unweit des Rosengartens. Und in der Bar Peuteo, mitten in Palermo Soho, fangen Abende meist unschuldig mit einem Aperol-Spritz auf der Terrasse an und enden auf der Tanzfläche. Das ist nur ein kleiner Auszug der Party-Optionen in Buenos Aires.

Queere Geschichte

Bevor es nach San Telmo zurückgeht, möchte mir Santiago noch einen weiteren Ort zeigen: die Metrostation Carlos Jáuregui. Es ist eine kunstvoll gestaltete Ehrung des ehemaligen Schwulenaktivisten Carlos Jáuregui. Er gründete 1984 die erste Homosexuellenvereinigung des Landes: „Comunidad Homosexual Argentina (CHA)“. Anfang der 1990er-Jahre kämpfte er mit „Gays por los Derechos Civiles“ für die Bürgerrechte Homosexueller. Und 1992 organisierte er den ersten CSD, der seitdem alljährlich im November veranstaltet wird. Dank seines Kampfes für die Gleichstellung wurde sexuelle Diskriminierung in Buenos Aires per Gesetz unter Strafe gestellt. Leider erlebte er diesen Erfolg nicht, denn er starb kurz zuvor im Jahr 1996 an einer durch Aids ausgelösten Erkrankung. Mittlerweile ist Argentinien neben Uruguay und Brasilien das fortschrittlichste Land Lateinamerikas, wenn es um LGBT-Rechte geht. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist seit 2010 erlaubt. Seit 2012 kann man sein Geschlecht auch ohne operative Umwandlung wechseln. Gleichgeschlechtliche Partner können Kinder adoptieren und Konversionstherapien sind verboten. Laut der Equaldex-Analyse von 2019 sind 76 Prozent der Argentinier dafür, dass Homosexualität gesellschaftlich akzeptiert wird. Viele gute Gründe also, die Buenos Aires zu einer echten Regenbogenstadt machen. Ich bin froh, dass Santiago und Mariana mir einen so netten Einstieg in die Community und die Geschichte der Stadt bereitet haben.

INFO

www.turismo.buenosaires.gob.ar/en

www.mapabsasgay.com.ar

ANREISE

Die niederländische Fluggesellschaft KLM fliegt täglich ab vielen deutschen Städten, darunter Berlin, Hamburg, München und Stuttgart, über Amsterdam nach Buenos Aires. www.klm.de

HOTEL

Das Boutiquehotel AWWA Suites & Spa im trendigen Stadtteil Palermo liegt in unmittelbarer Nähe zum Parque Tres de Febrero – ebenfalls bekannt als Bosques de Palermo –, zu dem auch der Zoo sowie der Japanische Garten gehören. Alle Zimmer verfügen über eine Terrasse bzw. Balkon und sind mit einer kleinen Küchenzeile inklusive Mikrowelle und Kaffeemaschine ausgestattet. Allen Gästen steht zudem die Nutzung des hoteleigenen Spa mit Sauna und kleinem Pool zur Verfügung. www.awwasuites.com

Foto: awwasuites.com

TIPP

Lunfarda Travel bietet eine Vielzahl individueller Stadtführungen: Von der Queer History Tour über Streetfood- und Urban-Art-Führungen bis hin zur Afro-Argentine Walking Tour ist für jeden Geschmack etwas dabei. www.lunfardatravel.com

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