Naomi Watts im Interview

by

Foto: Studiocanal

Sie hat einen neuen Film am Start und ist auch auf Netflix zu sehen. Wir sprachen mit dem Weltstar.

Miss Watts, Ihr neuer Film „Schloss aus Glas“ basiert auf der Lebensgeschichte der Bestseller-Autorin Jeannette Walls, deren Mutter Sie verkörpern. Wie wichtig war es für Sie, sich mit Walls auszutauschen?

Der Dialog zwischen Jeannette und mir war ebenso wichtig wie offen. Wir haben uns intensiv ausgetauscht, in Gesprächen und E-Mails. Für mich war das enorm hilfreich, schließlich zeigt der Film ihren Blick auf ihre Eltern. Aber ich habe sie irgendwann auch gefragt, ob es für sie in Ordnung wäre, wenn ich mit ihrer Mutter direkt Kontakt aufnehme.

Foto: Netflix

Die mit einigen psychischen Problemen zu kämpfen hat, nicht wahr?

Mutmaßlich, wobei sich Jeannette bei einigem selbst nicht sicher ist, weswegen ich da nicht spekulieren möchte. In jedem Fall war es mir aber wichtig, auch ihren Blick auf diese Geschichte zu hören, denn das Verhalten von Rose Mary ist in „Schloss aus Glas“ sicherlich nicht ohne weiteres für alle Leser oder Zuschauer nachvollziehbar. Sie ist schließlich alles andere als eine typische Mutter.

Fühlt sie sich von ihrer Tochter richtig dargestellt?

Selbstverständlich gibt es einige Punkte, die sie anders sieht als Jeannette. Doch damit kann sie leben, denn so unkonventionell sie als Mutter gewesen ist, so sehr hat sie immer das Gute in ihren Kindern gesehen. Sie hat sie stets ermutigt, war immer voller Hoffnung, Vertrauen und Optimismus, ganz gleich, wie widrig die Umstände waren. Deswegen habe ich kein bisschen Verbitterung oder Wut gegenüber Jeannette gespürt. „Ich erinnere mich an die Ereignisse anders“, sagte sie zu mir. „Aber das ist ihre Version dieser Geschichte, und das ist ihr gutes Recht.“

Teilweise ist es nicht leicht mitanzusehen, wie die Kinder in „Schloss aus Glas“ aufwachsen ...

Das stimmt. Einige Szenen sind erschreckend. Und sicherlich haben die Kinder manches verpasst, was wir gemeinhin mit einer glücklichen Kindheit assoziieren. Aber gleichzeitig herrschen in unserer Gesellschaft auch sehr enge Vorstellungen davon, wie Eltern zu funktionieren haben – und gerade Mütter werden in dieser Hinsicht oft besonders streng beurteilt. Deswegen ist es im Fall von Rose Mary wichtig, nicht zu übersehen, dass sie ihren Kindern viel Gutes mitgegeben hat: Kreativität, Optimismus und den Mut, immer sie selbst zu sein und die Wahrheit zu sagen. Das gehört zu den wichtigsten Dingen, die Kinder lernen können und sollten.

Es geht im Film um Vergebung, aber auch um den Klassiker: Was dich nicht umbringt, härtet dich ab. Haben Sie diesbezüglich eigene Erfahrungen?

Ich will auf keinen Fall meine Kindheit mit der von Jeanette Walls vergleichen. Aber ich finde es auch sehr wichtig zu bedenken, dass es so etwas wie eine normale Familie ohnehin nicht gibt. Wir sind alle unterschiedlich und einzigartig, das weiß ich nicht zuletzt, seit ich selbst Mutter bin. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Auf jeden Fall habe ich als Kind ebenfalls Dinge erlebt, die schmerzlich waren, mich aber letztlich stärker haben werden lassen.

Foto: Studiocanal

Zum Beispiel?

Mein Vater starb, als ich sehr jung war, weswegen meine Mutter lange damit beschäftigt war, für uns ein geeignetes Zuhause und für sich eine vernünftige Karriere zu finden. Wir zogen ständig um, auch in andere Länder, das fand ich damals grauenvoll. Geld war auch nie welches da. Wir waren nicht arm in dem Sinne, dass wir Hunger gelitten hätten, aber dieses Gefühl, dass es finanziell immer knapp ist, hat sich mir sehr eingeprägt.

In „Schloss aus Glas“ stehen komplexe Frauenfiguren im Zentrum, in Ihrer seit kurzem laufenden Netflix-Serie „Gypsy“ erst recht. Sind die Zeiten vorbei, in denen für Schauspielerinnen gute Rollen Mangelware waren?

Ich würde zumindest sagen, dass sich diesbezüglich seit einiger Zeit richtig was tut. Wir stecken mittendrin in der Veränderung, sie findet vor unseren Augen statt beziehungsweise sind wir ein Teil von ihr. Fernsehen oder besser gesagt: Serien haben daran sicherlich entscheidenden Anteil. Das Kino hat ja derzeit mit einigen Problemen zu kämpfen, deswegen zieht es viele der besten, gerade jungen Autorinnen und Autoren dorthin. Und die haben inzwischen erkannt, dass wir Frauen nicht nur die Hälfte des Publikums ausmachen, sondern auch genauso facettenreich sind und damit das Potenzial für spannende Geschichten bieten.

Haben Sie trotzdem gezögert, sich auf eine Serie einzulassen?

Eigentlich nicht, denn schon als ich das Drehbuch zur ersten Folge las, wollte ich selbst unbedingt wissen, wie es weitergeht. Mich faszinierte die Auseinandersetzung mit dem Thema Identität. Das ist nämlich, wenn es so etwas überhaupt gibt, der einzige gemeinsame Nenner zwischen den meisten meiner Rollen. Ich fand es spannend, dass da eine Frau ist, die auf dem Papier eigentlich das perfekte Leben führt, sich damit aber dennoch nicht begnügen will. Also erfindet sie sich selbst neu und entwickelt das Bedürfnis, selbstzerstörerische Dinge zu tun, um sich wieder lebendig zu fühlen. Zu solchen dunklen Gedanken und Begierden sind sicherlich wir alle fähig – nur leben die wenigsten von uns sie auch wirklich aus.

Obendrein sind Sie ja auch noch in einer zweiten Serie zu sehen, der Fortsetzung von „Twin Peaks“. Das war sicherlich etwas Besonderes, oder?

Oh, es war einfach fantastisch. Schon im gleichen Raum wie David Lynch zu sein, ist etwas Besonderes. Aber dann auch endlich mal wieder mit ihm arbeiten zu können? Einfach umwerfend. Er ist eine ganz eigene, einzigartige Kreatur. (lacht) Und vor allem hat er eine Fantasie, die ihresgleichen sucht. Eine famose Idee jagt die nächste. Für mich als Schauspielerin gibt es nichts Besseres, als mich ihm und seiner Vision völlig anzuvertrauen. Für mich sind das die idealen Arbeitsbedingungen.

Wo wir jetzt so viel über Serien gesprochen haben: Welche empfehlen Sie aktuell?

„Big Little Lies“ war fantastisch. Da spielt ja meine Freundin Nicole Kidman mit. In der zweiten Staffel von „Top of the Lake“ ist Nic ebenfalls mit dabei, aber dazu bin ich noch gar nicht gekommen. Auch mit „The Handmaid’s Tale“ muss ich endlich anfangen. Und meine Kinder freuen sich, dass es nun bald mit „Stranger Things“ weitergeht.

Eine letzte Frage noch zu Ihrem Instagram-Account. Daran haben Sie in letzter Zeit richtig Gefallen gefunden, nicht wahr?

Ja, irgendwie macht das Spaß. Wann immer ich etwas poste, spüre ich einen kleinen Moment der Panik, weil ich mich frage, wie das Bild wohl ankommen wird. Aber eigentlich ist das natürlich Quatsch, denn ich selbst habe Freude daran, und zu ernst nehmen darf man das sowieso nicht. Manchmal werde ich gefragt, ob ich nicht Angst habe, zu viel von mir preiszugeben. Aber erstens haben die meisten meiner Posts etwas mit meiner Arbeit zu tun und zweitens wird ja heutzutage sowieso immer und überall alles fotografiert und in die Öffentlichkeit getragen. Dann nehme ich die Sache doch lieber selbst in die Hand und veröffentliche selbst ein Foto aus meinem Urlaub, als dass ich darauf warte, dass irgendjemand einen doofen Schnappschuss von mir ins Netz stellt.

*Interview: Jonathan Fink

www.blu.fm/gewinne

Back to topbutton