INTERVIEW: Norbert Bisky

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Foto: O. Heine

2019 jährt sich der Mauerfall, das Ende der DDR, zum 30. Mal. Zeit für den in Leipzig geborenen Maler zu reflektieren.

Erfahrungen von Totalitarismus und Willkür prägten Biskys Auseinandersetzung mit der DDR: „Ohne den Mauerfall wäre ich nicht Künstler geworden“, so Norbert Bisky, der einst als NVA-Deserteur im Ostberliner Militärgefängnis eingesperrt wurde.

Erst die neue Freiheit für alle machte es ihm möglich, seine Berufung zu leben. Äußerst erfolgreich: Bisky ist einer der wichtigsten und populärsten lebenden deutschen Maler. Wir durften den Maler in seinem Atelier besuchen und ausfragen.


Mit dem Fall der Mauer begann dein Weg als Künstler.

Ja, vorher war ich aber auch zu jung, in der DDR war ich noch in der Schule. Den Gedanken, in der DDR Künstler zu sein, fand ich schrecklich.

Schrecklich?

Fast alle interessanten Künstler haben das Land ja verlassen, weil die Schwachköpfe, die das Land regierten, dachten, dass sie von allem eine Ahnung haben und alles zensieren und vorgeben wollten. Das ist natürlich grauenvoll für Künstler.

Wie muss man sich den Kunstunterricht vorstellen?

Ich habe so lustige Aufgabenstellungen bekommen wie „Jugend – Erbauer des Kommunismus“, dazu sollte ich ein Bild malen. Das mache ich irgendwie heute noch, dieses blöde Thema verfolgt mich weiter. (lacht) Mein Kommunismus sieht aber abgedrehter aus ... Und mein Bild damals hat natürlich nicht gepasst, weil ein nackter Mann drauf war.

Also keine Freiheiten?

Nein, ich will nicht alles verteufeln, ich hatte zum Beispiel einen tollen Kunstlehrer: ein Exzentriker mit einem Plastikseepferdchen am Gürtel. Der Typ hat sich mehr getraut als die anderen Lehrer. Ich fand Malerei toll, ich malte selbst, mein bester Freund hat viel gemalt und gezeichnet. Aber selbst Künstler zu werden, das konnte ich mir damals nicht vorstellen.

Foto: O. Heine

Das kam dann mit der Wende.

Ja, das Entscheidende war allerdings nicht das Leben in der DDR für mich, sondern zu erleben, wie plötzlich ein ganzes System endet. Wenn eine ganze Welt zusammenkracht. Wenn von einem Tag auf den anderen alles anders ist. Ich denke, das prägt alle Leute, die diese Erfahrung gemacht haben. Diese Veränderungserfahrung hat bei mir dafür gesorgt zu denken: Okay, Jackpot, ich verändere mich jetzt auch, ich werde Künstler.

Daher die Bilder mit den Zentrifugalkräften, wo alles im Wirbel ist und zerfetzt wird. Recht bedrohlich mitunter ...

Oft ja, aber durchaus nicht auf allen meinen Bildern. Ich glaube, es ist der Kippmoment, diese Explosion an Möglichkeiten. Freiheit kann auch bedrohlich sein. Es kann sich alles ändern, zum Guten oder auch zum Schlechten. Wenn ich heute einen Menschen kennenlerne, dann kann das ganz toll werden oder auch komplett schiefgehen. Ich denke da an ein Kierkegaard-Zitat von Julian Schnabel: „Anxiety is the dizziness of freedom“ (Angst ist der Schwindel der Freiheit) ... Das klingt cheesy, ist aber gut formuliert. Ich versuche, in den Bildern die Mehrschichtigkeit von Momenten und den Taumel sichtbar zu machen.

Sehr viel Persönliches! Es kommt nicht alles Private rein, aber ich will zeigen, was mich beschäftigt. Ich lebe ein paar Jahre, dann bin ich tot, wovor sollte ich denn Angst haben? Was habe ich denn zu verbergen? Meine Ängste, Träume, Erlebnisse, die soll man sehen. Wenn ich zurückschaue auf Bilder, die ich vor ein paar Jahren gemalt habe, dann kann ich mich gut an den jeweiligen Moment erinnern und daran, was ich dabei fühlte.

Bei Malerei will ich Handschrift und Haltung erkennen können. Ich glaube nicht, dass man sich immer alles offenhalten kann, ich habe keine Angst davor, festgelegt zu werden. Wieder durcheinanderbringen kann ich das dann immer noch.

Foto: M. Rädel

Deine Ausstellungen jetzt beschäftigen sich mit dem Mauerfall ...

Flashbacks aus der Zeit im Osten lassen mich leider nicht los. Also setze ich mich jetzt noch einmal mit meinen Erinnerungen auseinander und male Bilder dazu, solange ich noch klar im Kopf bin. (lacht) Schon im Frühling geht es thematisch vollkommen anders weiter. Aber jetzt kommt noch mal meine Wut auf die Leinwand. Hier zum Beispiel ist eine zerrissene alte Schulkarte aus der DDR gemalt, so etwas baue ich zum ersten Mal in meine Bilder ein. Ich hoffe, dass ich dann mit dem Thema abschließen kann.

Eines der Themen der Ausstellung sind auch die Grabenkämpfe zwischen Ost und West.

Eine Zeit lang schien es, als sei alles relativ okay und friedlich, und jetzt merken wir: Im Gegenteil, das kocht und brodelt, mit schmutziger brauner Soße und unglaublich viel Hass.

Foto: O. Heine

Haben dich die Wahlergebnisse von deiner Heimat Leipzig entfremdet?

Ich wuchs dort zehn Jahre auf, meine Heimat ist eher Berlin. Ich liebe Friedrichshain, einen Kiez mit Klubs wie dem Berghain und vielen offenen Menschen und Projekten, die so gar nicht in ein totalitäres Schema passen. Hier bin ich genau richtig. Wobei ich Heimat eher mit Ideen und Freunden und nicht mit Ländern verbinde. Nach Tel Aviv kommen viele Leute, weil sie dort etwas bewegen wollen, dort sammeln sich Ideen.

Ich male zurzeit viel in Andalusien unter freiem Himmel, das ist wieder anders, 800 Jahre lang lebten dort Araber, haben die Kultur geprägt, direkt gegenüber liegt Afrika. Da bekommst du einen anderen Blick auf Deutschland.

Leipzig ist eine bunte, wunderschöne Stadt. Eine langjährige Freundin lebt da, sie hat gerade die Geschlechtsanpassung zum Mann begonnen, auch das ist dort möglich.

Du fühlst dich also als Europäer?

Europa ist ein schönes Wort. Vielleicht.

*Interview: Michael Rädel


Die Ausstellung „RANT“ startet am 9. November und läuft bis in den Februar 2020 (Villa Schöningen, Berliner Straße 86, 14467 Potsdam). Inhaltlich setzt sich die Ausstellung mit „deutsch-deutschen Grabenkämpfen“ auseinander. Einen Tag später eröffnet die Ausstellung „POMPA“ in der St. Matthäus-Kirche in Berlin (Matthäikirchplatz), sie hat die Nachwendezeit mit ihrem Hedonismus, der Euphorie und all dem Opportunismus zum Thema.

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