NACHGEFRAGT: Tim Lienhard

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Foto: M. Rädel

Seine Filmprojekte unter anderem mit Désirée Nick, Cybersissy und BayBJane kennt man, wenn man sich für queere Kunst interessiert. Tim Lienhard macht aber noch viel, viel mehr. Wir chatteten mit dem gebürtigen Villingen-Schwenniger, der gerade an dem Film „CHARACTER TWO: CHRIS“ arbeitet.

Eigentlich bist du ja Fernsehjournalist, oder liegt das für die Kunst auf Eis?

Meine circa eintausendfünfhundert Fernsehbeiträge, die ich in den letzten 34 Jahren realisiert habe, sind eingefroren in den Archiven der öffentlich-rechtlichen Sender … eine Gesamtlaufzeit von etwa neunzig Stunden, das entspricht sechzig Hollywoodfilmen. Ich mache weiter, auch wenn es wenig sexy ist, einen alten Hasen wie mich zu featuren oder zu beauftragen. Aber das Fernsehen wird von alten Hasen gemacht und den Hasenstall wird es so lange noch geben, wie wir alle gezwungen werden, Fernsehgebühren zu zahlen. Das, was Fernsehen früher bedeutet hat – Information und Unterhaltung – findet heute online statt. Völlig verflacht und erschreckend inhaltsleer, reine, oft alberne, Zeit verschwendende Unterhaltung, Ablenkung, aber eben Brot und Spiele für die Massen.

Ich füttere nach wie vor die Anspruchsvolleren und bin glücklich, wenn ich Ausnahmekünstler wie Romeo Castellucci bei den Festspielen in Salzburg porträtieren darf. Das war mein Einsatz letzte Woche – für Arte.

Foto: M. Rädel

Magst du „schräge Vögel“, Menschen, die anders sind, lieber als Normalos?

Normalos finde ich langweilig und beängstigend. Sie nivellieren, sie sind eine große, undifferenzierte Masse, Mainstream. Mich reizen diejenigen, die etwas infrage stellen. Das tun Normalos nicht, die bestätigen nur, die setzen Maßstäbe, die gar nicht infrage gestellt werden sollen.

Letztendlich ist jeder Mensch ein schräger Vogel, ein Individuum, aber die wenigsten lassen ihre Einzigartigkeit zu und passen sich an wie ein Tarnmuster, um bloß nicht aufzufallen und angefeindet zu werden!

Wer seine Tarnkappe und Camouflage fallen lässt, ist mutig, weil gefährdet, aber genau dies macht stark und attraktiv. Für mich geht es immer um Sichtbarmachung und nicht um Tarnung!

Foto: M. Rädel

Im Nachtleben sieht man dich auch recht bunt rumlaufen …

Eben, es geht mir um Sichtbarmachung! Ich gebe mich als mutiges, lustvolles, lebensfrohes, sexuelles, sinnliches, kreatives, wildes Wesen zu erkennen. Ich verbreite Licht, Lust und Esprit. Unter der bunten Oberfläche, die ganz transparent und luftig sein kann, liegt die tiefe Erkenntnis und das Erspüren von Menschen, Leben, Leidenschaften.

Was inspiriert dich?

Alles Sinnliche. Energie und Lust. Schönheit steht ganz oben an. Ich lasse mich begeistern und verführen, geradezu hinreißen von schönen Menschen und schönen Körpern und immer von fantasievollen Kreationen. Ich habe inspirierende, weil hingebungsvolle Freunde. Hingabe finde ich ungemein inspirierend, weil sie so überwältigend und regelrecht unvernünftig sein kann.

Foto: M. Rädel

Darf Kunst eigentlich alles?

Kunst ist für mich immer ein Gegenentwurf. Eine Antwort auf nicht gestellte Fragen oder eine alternative Antwort auf scheinbar geklärte Fragen. Weil Kunst ein Ausnahmezustand ist – das eben Nicht-Alltägliche –, soll sie die größte Freiheit haben, die realisierbar ist. Kunst darf nur dort alles, wo die Freiheit am größten ist, und deswegen sollten wir uns immer für sie einsetzen!

Was war dein bestes Alter?

Das kommt erst noch! Es wird die Lebensphase sein, in der ich beseelt auf ein langes und erfülltes Leben zurückblicken kann und im Frieden, ganz gelassen all das loslassen kann, was mich mein Leben lang begeistert hat.

Aber weniger pathetisch gesagt: Beruflich waren meine besten Jahre die 20er und 30er, da ging’s nur bergauf. Sexuell waren es die 40er, da wusste ich, was ich will, und kam immer ans Ziel. Die 50er sind die beglückendsten, weil ich die Summe meiner Erfahrungen liebe und mir diese ein mega-erfülltes Leben bereiten. Mit Mitte 50 ging ich zurück auf Los und startete noch einmal durch als weiser, sexy, hemmungsloser Profi!

*Interview: Michael Rädel

www.timlienhard.de

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