Bette Midler im Interview

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Foto: Warner Music

Nach achtjähriger Album-Pause meldet sich Bette Midler zurück mit Its the Girls einer charmanten Kampfansage an die moderne Musikindustrie, die nur noch Casting-Clowns und One-Hit-Wonder züchtet. Dass es auch anders geht demonstriert die 69-Jährige mit It's The Girls, einer augenzwinkernden Hommage an klassische Girlgroups.

FRAU MIDLER, AUF IT´S THE GIRL INTERPRETIEREN SIE EVERGREENS VON DEN RONETTES, ANDREWS SISTERS, SUPREMES, SHANGRI-LAS UND VIELEN ANDEREN. WARUM EINE SOLCHE RETRO-SCHWELGEREI?

Ganz einfach: Ich habe schon immer den Sound von Frauen geliebt, die perfekt harmonieren. Und es ist ja auch die Musik meiner Kindheit. Und selbst, wenn sie heute weitestgehend vergessen sind: Ich erinnere mich noch sehr gerne und sehr gut an sie.

DANN IST DAS SO ETWAS WIE DER SOUNDTRACK ZU ERSTER LIEBE, ERSTEM HERZSCHMERZ UND GROSSEM GEFÜHL?

Aber sicher! Jeder Song geht mit seinen eigenen kleinen Erinnerungen einher, ich habe dazu getanzt, dazu rumgeknutscht, Händchen gehalten und bin Cabrio gefahren während mein Haar im Wind wehte. Das ganze Programm. Von daher habe ich eine große Schwäche dafür.

WOBEI DIE MEISTEN DIESER STÜCKE SEHR UNSCHULDIG WIRKEN, ABER GLEICHZEITIG AUCH EINE UNTERSCHWELLIGE EROTIK BESITZEN.

Oh ja! Sie sind kokett, aber unschuldig. Da gibt es keine vordergründige, explizite Sexualität, die dir direkt ins Gesicht springt und nur provozieren und schockieren will.

WAS IN DER HEUTIGEN POPMUSIK JA STANDARD IST

Und was ich schlimm finde. Vulgär und unerträglich. Das meiste ist billig, es hat keine Klasse. Während sich meine Mädels sehr stilvoll und doch sexy präsentiert bzw. von Dingen gesungen haben, die sich primär um Teenager drehten. Weshalb das damals auch so eine Revolution war, etwas völlig Neues.

UND DAS LÄSST SICH VON RIHANNA, NICKI MINAJ, MILEY CYRUS UND ARIANNE GRANDE NICHT BEHAUPTEN?

Oh mein Gott, nein! Das hat nichts Revolutionäres, sondern da geht es nur um Millionen und Abermillionen von Dollar. Und die verdienen diese jungen Mädchen indem sie halbnackt durch die Gegend laufen und dazu irgendeinen banalen Mist ins Mikro säuseln. Sie liefern keine Kunst ab, sie prostituieren sich für die Musikindustrie, für ihre Manager und Berater, die sie wie ein Stück Fleisch verkaufen. Was einfach traurig ist. Deswegen wäre mein Rat: Mädels, zieht euch erst mal was an und dann hört mein Album weil ihr da wirklich noch etwas lernen könnt.

SIE ERLEBEN MIT DIESEN SONGS, DIE IN GROSSBRITANNIEN UND DEN USA DIE TOP 5 GEKNACKT HABEN GERADE EIN GROSSES COMEBACK. IST DAS EIN REPERTOIRE, BEI DEM NICHTS SCHIEFGEHEN KANN, ALSO QUASI EIN KALKULIERBARER ERFOLG?

Schön wäre es. Würde ich über eine Erfolgsformel verfügen, hätte ich sie patentieren lassen, in Flaschen abgefüllt und meistbietend verkauft. (kichert) Die Reaktion des Publikums lässt sich aber nicht voraussagen. Ich wusste ja nicht einmal, ob ich nach all den Jahren überhaupt noch ein Publikum habe.

WIE KOMMT ES, DASS ES HEUTE KAUM NOCH GIRLGROUPS GIBT? HABEN SIE EINE ERKLÄRUNG DAFÜR?

Nein, aber das ist etwas, was ich sehr vermisse. Und ich verstehe auch nicht, warum diese Musikmogule, die Bands wie One Direction oder früher die Spice Girls zusammengestellt haben, das nicht mehr machen. Ist das zu anstrengend? Oder lässt sich mit Shows wie X-Factor einfach viel mehr Geld verdienen? Ich kann das nicht nachvollziehen. Wobei ich aber sagen muss, dass die besten Girlgroups ohnehin diejenigen sind, die von allein zusammenfinden und ihr eigenes Ding durchziehen. Ich meine, es ist OK, das Äußere eines Künstlers als Image zu vermarkten. Gerade wenn es sich um fünf aufreizende Mädels mit schönem Haar und kurzen Röcken handelt. Nur: Das muss nicht alles sein.

SCHIMMERT DA EIN HAUCH VON KULTURPESSIMISMUS DURCH? KÖNNEN SIE MIT DER MODERNEN MUSIKINDUSTRIE UND POPKULTUR NICHTS ANFANGEN?

Das Gefühl habe ich wirklich. Und für mich ist das eine Entwicklung, die mit dem Internet und den sozialen Medien zusammenhängt wo sich täglich alles ändert. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Das Angebot ist einfach inflationär und viel zu schnelllebig. Worauf sich das Musikgeschäft insofern eingestellt hat, als dass es nur noch auf diesen einen großen Single-Hit setzt, aber eben nicht mehr auf Alben, geschweige denn auf richtig lange Karrieren.

WIE STEHEN SIE ZU CASTING-SHOWS IN DER MANIER VON DSDS ODER X-FACTOR? IST DAS EIN LEGITIMER WEG, UM EINE KARRIERE ZU STARTEN?

Daran scheitern doch fast alle Teilnehmer, weil das Konzept gar nicht darauf ausgerichtet ist. Das Prinzip ist Fluktuation, ständig neue Gesichter, neue Namen, neue, schrille Charaktere - was keine gute Sache ist. Woran es noch mangelt, sind vernünftige Hallen und Klubs. Also Orte, an denen sich Newcomer profilieren und etablieren können.

SAGT DIE FRAU, DIE SICH DURCH DIE NEW YORKER SCHWULENSZENE DER SPÄTEN 60ER GESUNGEN UND DARAUS EINE WELTKARRIERE ENTWICKELT HAT?

Aus heutiger Sicht war das eine tolle Zeit. Absolut sensationell. Was ja auch der Grund ist, warum Leute wie Debbie Harry ständig darüber reden, wie aufregend es damals in New York war. Die Stadt war zwar völlig heruntergekommen und pleite, aber auch wahnsinnig kreativ. Heute haben wir tolle Restaurants und Luxusapartments für 25.000 Dollar pro Monat. Aber das Künstlerische, das Kreative ist weg. Einfach, weil jeder, der kreativ war, die Stadt verlassen musste, weil er sie sich nicht mehr leisten kann. Was keine gute Entwicklung ist. Aber: Ich habe Vertrauen in die Jugend. Ich weiß, dass Künstler immer eine Gemeinschaft finden, die ihnen Sicherheit und Unterschlupf gewährt. Sie werden immer ihre Nischen und Schlupflöcher finden.

*Interview: Marcel Anders

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