Depeche Mode: Es geht um Leben und Tod

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Foto: Anton Corbijn

„Memento Mori“ ist das erste Album seit 2017 – und das erste ohne den dritten Mann Andy Fletcher. Was bleibt schon von einem Menschenleben? „Wasted feelings/ Broken meanings/ Time is fleeting/ See what it brings“, singt Dave Gahan in der ersten Strophe von „Ghosts Again“, der Vorabsingle zum – so viel Floskel muss gestattet sein – mit Hochspannung erwarteten neuen Album „Memento Mori“. Alles vergebens, die Zeit rennt davon, bald schon werden wir ohnehin wieder zu Staub zerfallen, oder, wie es im Refrain heißt, „We know we’ll be ghosts again“. Nun wussten Depeche Mode schon immer auf der Klaviatur von Leben und Tod zu spielen, der neue Song jedoch hebt den Flirt mit der Vergänglichkeit gewissermaßen auf ein neues Level. Im düsteren Schwarz-weiß-Video, wie immer gedreht von Anton Corbijn, der seit Jahrzehnten für die gesamte Optik der Band verantwortlich ist, kriecht Gahan über einen Friedhof, als Sensenmänner gewandet und mit Gehstöcken in der Hand sitzen Gahan und Kollege Martin Gore auf einem Dach und spielen Schach. Viel morbider mag zumindest visuell kaum gehen, dabei ist das erste neue Depeche-Mode-Lied seit sechs Jahren rein aus musikalischer Sicht eher auf der helleren Seite des Bandspektrums zu Hause. „Ghosts Again“ erinnert stark an die Depeche Mode der Jahrtausendwende, an „Precious“ zum Beispiel, und auch noch frühere Hits wie „Enjoy The Silence“ glaubt man als Inspiration herauszuhören. Niemand würde auf Basis dieses Stücks davon ausgehen, dass sich die Engländer auf ihrem fünfzehnten Studioalbum neu erfunden haben, doch genauso wenig dürfte es einen berechtigen Zweifel darangeben, dass Depeche Mode ihre Fans mit dem neuen Werk enttäuschen werden.

Allerdings mussten sie sich diesmal ganz schön quälen. Sechs Jahre sind ins Land gezogen seit dem Vorgänger „Spirit“, Corona verzögerte alles zusätzlich, doch auch ganz grundsätzlich werde es mit den Jahren nicht einfach, sich aufzuraffen. „Ich habe ein neues Depeche-Mode-Album lange nicht in mir gefühlt“, sagte Gahan bei einer Pressekonferenz zur Verkündigung von Album und Tournee in Berlin. „Ich frage mich bei jeder neuen Platte, ob ich noch Lust habe, doch dieses Mal kam ich besonders schlecht in die Gänge.“ Nach jeweiligen Soloalben von Gahan („Imposter“) und Gore („The Third Chimpanzee“) 2021 und einigen ausgiebigen Unterhaltungen sei man schließlich übereingekommen, dass Depeche Mode als Fach-Band für existenzielle Fragen von besonderer Signifikanz sein könnte.“ „Und nachdem ich mich einmal überwunden habe“, so Gahan, „schwimme ich jetzt wieder in Depeche Mode“. 

„Bedenke, dass du sterben wirst“, so lautet die Übersetzung des lateinischen Begriffs „Memento Mori“. Der Titel stand längst fest, als die Band im Mai 2022 von einem denkbar tragischen Ereignis erschüttert wurde. Andrew „Fletch“ Fletchter, der zurückhaltende wie herzliche Keyboarder, starb urplötzlich im Alter von 60 Jahren an einem Riss der Hauptschlagader. Gore und Gahan hatten sich zu dem Zeitpunkt bereits mit ihrem Produzentenduo James Ford und Marta Salogni zu ersten Aufnahmen getroffen, die Songs waren alle geschrieben. Und von einem Augenblick auf den nächsten sind sie nur noch zu zweit. Und jetzt? Zu zweit auf Fotos, zu zweit im Video, das Bandgefüge nach dem Tod der guten Seele Fletch muss erst wieder neu eingestellt werden. Doch Depeche Mode zu beenden, sei nie erwogen worden, sagen sie. Gahan und Gore telefonierten sich trauernd zusammen und entschieden, weiterzumachen, mit „Memento Mori“ und überhaupt. „Wir sind uns sicher, Fletch hätte genau das gewollt“. *Steffen Rüth

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