Interview: Francesco Tristano

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Der Luxemburger Francesco Tristano ist ein musikalischer Grenzgänger, der in den großen Konzertsälen ebenso zu Hause ist wie in den Technoklubs dieser Welt. Pünktlich zu seinem 31. Geburtstag erschien bei der Deutschen Grammophon sein Album „Long Walk“. Tristano spielt auf ihm Werke von Dietrich Buxtehude, Johann Sebastian Bach und eigene Kompositionen.

IN EINEM INTERVIEW SAGTEST DU: IN EINEM SCHWULENCLUB IN PARIS, WO DU ENDE DER NEUNZIGER PER ZUFALL GEWESEN BIST, SEI DER BEAT UMWERFEND, ALLES SEI MUSIK UND RHYTHMUS UND TANZ GEWESEN. ES SEI DIR VORGEKOMMEN, ALS HÄTTEST DU DIE ZUKUNFT DER MUSIK GEHÖRT. NUN HAST DU IN DEM GRÖSSTEN TECHNOKLUB EUROPAS, IM BERLINER BERGHAIN, GESPIELT. GEHÖRT DIE ZUKUNFT DER MUSIK, AUCH DER KLASSISCHEN MUSIK, HIERHIN?

Die Konzertsäle sind wie Tempel für klassische Musik gebaut. Man setzt sich hin und hört zu. Aber ihre sozioökonomische Realität segregiert oft das Publikum. Ob Klubs oder Bars oder Strände oder Grotten – Musik gehört überall hin. Meine besten Konzerte waren an den verrücktesten Orten, wo ich nie gedacht hätte, dass es gut klingen oder so ein magisches Ambiente haben könnte. Ich vermeide die Trennung zwischen klassischer und anderer Musik.

DAS BERGHAIN IST NEBEN SEINER GRÖSSE AUCH FÜR SEINE AUSSERGEWÖHNLICH GUTE AKUSTIK BEKANNT. ZWISCHEN DICKEN BETONWÄNDEN WIRD HIER DIE MUSIK RICHTIG ZUM PROTAGONISTEN GEMACHT – ETWAS, DAS AUCH DIR WICHTIG IST. WIE IST ES, AN SOLCH EINEM ORT KLASSIK IN TECHNORHYTHMEN ZU KLEIDEN?

Eigentlich habe ich kein Interesse, die Barockmusik in Techno zu verkleiden. Sie ist so alt, dass man im Alltag kein Verhältnis zu ihr hat. Man geht nicht auf die Straße und hört Buxtehude, sondern eher die Stadt mit ihrem Lärm. Ich beginne mein Set mit urbaner, aktueller Musik und mache dann den Zuhörer auf die alten Sounds aufmerksam. Das ist intensiver, als chronologisch vorzugehen. Ich glaube, in dem Sinn ist Barockmusik schon Techno. Und dann ist es wichtig, dass in einem Klub der Dancefloor tobt und bebt. Das erreicht man hauptsächlich durch eine gute Anlage. In Klubs soll man auf jeden Fall verstärkt spielen, nicht um die Musik lauter, sondern – im Gegenteil – sie noch intimer zu machen, denn wenn sie verstärkt ist, kann man auch viel softer spielen und man weiß, dass jeder das hören wird. In einem Konzertsaal ist es nicht immer möglich. Wenn man vorne pianissimo spielt, wird es oft im letzten Publikumsabschnitt nicht hörbar. Mit der Verstärkung kann Intimität erzeugt, vielleicht sogar ein Konzertabend mit kleinem Publikum simuliert werden, so wie es früher war, wo man die Musik ganz nah erlebte.

MIT ZWANZIG JAHREN REISTE JOHANN SEBASTIAN BACH 1705 ZU DIETRICH BUXTEHUDE, DEM DAMALS GRÖSSTEN MUSIKER DEUTSCHLANDS, UM BEI SEINEM BERÜHMTEN ORGELSPIEL ZUZUHÖREN. VIERHUNDERT KILOMETER LIEGEN ZWISCHEN ARNSTADT UND LÜBECK, EIN LANGER WEG FÜR DEN BEGEISTERTEN BACH. WIE WAR DEIN WEG ZU DEN BEIDEN KOMPONISTEN?

Zu Bach war es ein kurzer Weg. Ich habe Bach schon zu Hause gehört. Meine Mutter ist eine ardente Bachhörerin – und ich wollte schon immer Bach spielen. Durch den Filmemacher Daniel Künzi wurde ich dann auf diese anfangs erwähnte Story aufmerksam, die Bach und Buxtehude verbindet. Ich habe mich zunehmend mit der Musik von Buxtehude beschäftigt und zunächst eine Selektion seiner Werke gemacht. Das heißt, mein Weg zu ihm war länger, da ich ihn zuerst kennenlernen musste.

SCHON BEI DEINEM ERSTEN ALBUM BEI DER DEUTSCHEN GRAMMOPHON, „BACHCAGE“, HAST DU – NEBEN DEM MODERNEN JOHN CAGE – REICHLICH BACH AUFGESPIELT. DA IST EIN BESONDERES VERHÄLTNIS ZU SPÜREN, WENN ICH MICH NICHT IRRE. WAS VERBINDET DICH MIT DEM BAROCK?

Es ist eine reine Geschmackssache. An Bach und Barock gefällt mir, dass die Barockmusik stark rhythmisch charakterisiert ist, und zwar teilweise auch deshalb, weil es der Tanzmusik entspringt. Ich mag den Kontrapunkt. Es macht mir Spaß, am Klavier mehrere Stimmen zu spielen. Und ich mag den generellen Affekt der Musik.

REISEN BILDET. DIE BACH’SCHE MUSIK WAR NACH DEM AUFENTHALT BACHS BEI BUXTEHUDE NICHT MEHR DIE GLEICHE WIE ZUVOR. WIE HAT DICH DIE REISE ZU UND MIT BACH UND BUXTEHUDE VERÄNDERT?

Ich habe erstmals verstanden, woher der Stil Bachs eigentlich stammt. Bach gehört zu den Urfiguren der westlichen Musik. Man sagt, alles geht auf Bach zurück. Aber auch Bach kam von irgendwoher. Sein polyfoner Stil hat seinen Ursprung bei Buxtehude.

DU MACHST QUASI EINE REISE DURCH RAUM UND ZEIT. SICH WIEDERHOLENDE RHYTHMISCHE MOTIVE UND SICH ENTFALTENDE KLANGQUALITÄTEN TREFFEN AUFEINANDER. DEINE ABRUPTEN ÜBERGÄNGE ZWISCHEN DEN ABSCHNITTEN BEI DER BUXTEHUDE’SCHEN TOCCATA ZUM BEISPIEL SIND ETWAS NEUES IN DER INTERPRETATION. WAS IST DAS ZIEL DER ARBEIT AN EINER INTERPRETATION VON FREMDEN WERKEN?

Das Ziel ist, dass das fremde Werk entfremdet und zu deinem eigenen Werk wird. Eine gute Interpretation ist eine Appropriation des Werkes, wo man über die Partitur hinaus etwas Persönliches ausrichten kann.

MIT DEINEN BEIDEN KOMPOSITIONEN „LONG WALK“ UND „GROUND BASS“ ÜBERSETZT DU DIE MUSIK DES BAROCK INS JETZT. ÜBERSETZER WISSEN, DASS IN DER ÜBERSETZUNG EINIGES VERLOREN GEHEN KANN. WIE BIST DU MIT DIESER GEFAHR UMGEGANGEN?

Ich würde noch weiter gehen. Nicht dass so manches verloren geht, sondern dass es zu einem neuen Ding wird. Ich habe keine Angst, mir da meine Freiheiten zu nehmen. Im Gegenteil: Es ist eine Befreiung für mich, dass ich mit diesen Kanons frei umgehen kann. In meiner Fassung sind sie zu Loops umgesetzt worden. Und Loops sind ein Kernstück der elektronischen Musik, weil die Wiederholungen ganz bestimmte Gefühle mit sich bringen.

„FÜR MÜDE FÜSSE IST JEDER WEG ZU LANG“ HEISST ES IN GEORG BÜCHNERS „LEONCE UND LENA“. „EIN LÄCHELN GEHT EINEN LANGEN WEG“ LESEN WIR IN JAMES JOYCES „ULYSSES“. „LONG WALK“ ERSCHEINT KURZ VOR DEINEM 31. GEBURTSTAG – QUASI EIN GEBURTSTAGSGESCHENK. WAS BEDEUTET DIESES ALBUM FÜR DICH?

Ich sehe jedes neue Album im Vergleich zu dem vorigen und als Vorbereitung auf ein nächstes. Die Veröffentlichungen sind an sich wie ein Long Walk. „Long Walk“ ist allerdings meiner Oma gewidmet, die im Februar 2012 gestorben ist. Ich habe kurz nach ihrem Tod mit den Aufnahmen begonnen und sie war sehr präsent. Ich wollte ihr mit diesem Album einen schönen Long Walk ins Unendliche wünschen.

•Interview: Arkadiusz Luba

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