Rufus Wainwright im Interview

Er entwickelt sich zum Tausendsassa! Neben tollen Songwriter-Alben und seiner Hommage an Judy Garland tobt sich der 35-jährige Rufus Wainwright nun in der Klassik aus. Für das Berliner Ensemble vertonte er Shakespeares Sonette. Und seine erste eigene Oper über Primadonnen ist auch in Arbeit. Ein Gespräch mit Rufus über den Schwulengehalt des großen Dramatikers, Androgynität im 17. Jahrhundert und Neil Tennant als seinen größten Fan.

HALLO RUFUS, DU BIST SO HÄUFIG IN BERLIN, DU MUSST DICH BEI UNS JA SCHON RICHTIG ZUHAUSE FÜHLEN!

Rufus Wainwright: Absolut! Mein deutscher Freund hat ein Appartement in Berlin. Wir werden die Stadt immer als ein Zuhause betrachten. Was ich an Berlin jüngst lieben lernte, ist die Zeit von März bis April. Im März ist es der schlimmste Ort der Welt, an dem man sein kann. Im April der absolut schönste. Und dieser Übergang passiert so wahnsinnig schnell.

IN BESAGTER ZEIT HAST DU MIT DEM BERLINER ENSEMBLE AN DER SHAKESPEARES SONETTE GEARBEITET. GIBT DIR DAS THEATER EINE ANDERE GENUGTUUNG ALS ES DAS SONGWRITING FÜR DEINE ALBEN TUT?

Wainwright: Ich glaube, auch in meinen Popsongs lässt sich die tiefe Verbindung, die ich zum Theater habe, ablesen. Insofern ist es sehr erfüllend, dass es endlich passiert ist. Es macht Sinn. Auch wenn mein Material für die Bühne sicherlich dramatischer ausfällt als mein Songwriting auf Platte. Es ist auf gewisse Art popzentrisch.

DIE SHAKESPEARES SONETTE GILT ALS ERSTES WERK MIT SCHWULEN INHALTEN. WAR DAS AUSSCHLAGGEBEND FÜR DEINE MITARBEIT?

Wainwright: Durchaus. Ich persönlich denke, dass die Sonetten eine der frühesten und wohl großartigsten Arbeiten der homo-erotischen Literatur darstellen. Ich glaube aber nicht, dass Shakespeare schwul war. Er war vielleicht bisexuell. Aber ich habe das Gefühl, dass der junge Typ, über den er schreibt, etwas war, das überraschend über ihn kam. Es kam für ihn unerwartet. Und das ist so faszinierend daran. Shakespeare ist in etwas vorgedrungen, das ein Tabu war und es auf gewisse Weise immer noch ist. Und das ist heute noch bedeutsam. In Europa und Amerika mögen wir Schwulen akzeptiert sein. Wir haben bestimmte Rechte, auch wenn es noch nicht perfekt ist und wir weiter daran arbeiten müssen. Aber im Rest der Welt, wie zum Beispiel in den Entwicklungsländern, ist Schwulsein wirklich noch eine Frage von Leben oder Tod. Ich finde es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass in anderen Ländern Schwule sogar umgebracht werden. Und diese Gedichte tun das auf ihre Weise.

DENKST DU, DIE MENSCHEN HABEN ZUM ZEITPUNKT DER ENTSTEHUNG DER SONETTEN IM JAHR 1609 SCHON DEN SCHWULEN SUBTEXT ERKANNT?

Wainwright: Nun ja, die Sonetten blieben für lange Zeit versteckt. Es hat einige Jahrhunderte gedauert, bis sie an die Oberfläche kamen, wie das so oft mit schwulen Werken ist. Also waren sie immer ein Tabu.

WARUM PASSEN DIE SONETTEN SO GUT IN DEN HEUTIGEN ZEITGEIST?

Wainwright: Sie werden immer passen. Sie sind der Menschlichkeit immer einen Schritt voraus und begleiten uns auf dem Weg. Sie behandeln Themen, die wir überhaupt erst realisieren, wenn sie für uns zu Themen werden, wie z.B. die Umwelt, das Altern, Sex und Drogen.

IN DER BERLINER UMSETZUNG VON ROBERT WILSON SPIELEN FRAUEN DIE MÄNNERROLLEN UND UMGEKEHRT. GAB ES ANDROGYNITÄT IM 17. JAHRHUNDERT ÜBERHAUPT?

Wainwright: Es ist bekannt, dass es Frauen damals nicht gestattet war, auf der Bühne zu spielen. In Shakespeares eigenen Stücken sind es immer Männer, die Frauen spielen. Es ist Teil von seiner Überlieferung. Und man kann ja nicht abstreiten, wenn man sich mal die Mode, die Accessoires und die Haare von damals anguckt, dass die Männer ganz sicher sehr viel hübscher aussahen als heute. (lacht)

ICH HABE GELESEN, DASS DEIN LIEBLINGSSONETT DAS DER MASTURBATION IST!

Wainwright: Eigentlich ist mein Liebling die Nummer 20 - A Womans Face (dt: Dir schuf Natur ein Frauenangesicht, Anm. d. Red.). Ich finde, es ist das wohl schönste Gedicht, das jemals geschrieben wurde. Es steht ganz oben, was Poesie im Allgemeinen betrifft. Aber ich mag auch das Masturbationsonett sehr gerne, das ja eigentlich The Expense Of Spirit In A Waste Of Shame heißt (dt.: Des Geistes Sturz in unermessene Schmach, Anm. d. Red.) Damit kann ich mich sehr identifizieren. Weil ich so oft getrennt bin von meinem Boyfriend. (lacht)

DEIN FREUND ARBEITET JA AUCH MIT ROBERT WILSON ZUSAMMEN. HAST DU BEZÜGLICH DES THEATERS VON IHM GELERNT?

Wainwright: Mein Freund ist eine sehr intelligente Theater-Persönlichkeit. Er hat ja jahrelang an der Staatsoper in Berlin gearbeitet. Und er kennt all die tollen Regisseure, wie Christoph Schlingensief oder Stefan Herheim. Wir sprechen da viel drüber. Aber was meine Vision vom Theater betrifft, war ich eigentlich schon vorher ziemlich gefestigt.

PET-SHOP-BOYS-SÄNGER NEIL TENNANT IST FÜR DIE PREMIERE EIGENS NACH BERLIN ANGEREIST. AUCH ER ARBEITET DERZEIT AN MUSIK FÜRS THEATER!

Wainwright: Wir sind gut befreundet. Er arbeitet an seinem Ballet, ich an meiner Oper das verbindet. Er war sehr erfreut über meine Arbeit. Natürlich werde ich auch zu seiner Premiere gehen. Jetzt, wo wir erfolgreich sind, werden wir die Theater überrumpeln mit unserer Musik.

ALS WAS WILLST DU IN ERINNERUNG BLEIBEN, WENN DEIN LEBEN MAL VORBEI IST?

Wainwright: Eine Sache, an der ich sehr ambitioniert arbeite, ist meine eigene Opernkomposition Prima Donna, die am 10. Juli beim Festival in Manchester Premiere feiert. Opernkomponist wäre deshalb wohl die richtige Antwort.

DU HAST MAL GEÄUßERT, DASS DAS SHAKESPEARES SONETTE EINE ART TESTLAUF FÜR PRIMA DONNA WÄRE.

Wainwright: Das war die ursprüngliche Idee. Aber als ich erst mal die Arbeit mit dem Berliner Ensemble aufnahm und parallel dazu an meiner Oper schrieb, merkte ich schnell, dass es beides großes Projekte sind. Ich habe viel gelernt in Berlin.

ALS ICH LAS, WORUM ES IN PRIMA DONNA GEHT, NÄMLICH EINE ALTERNDE DIVA AUF DEM WEG ZUM COMEBACK, MUSSTE ICH SOFORT AN DAS MUSICAL BZW. DEN FILM SUNSET BOULEVARD DENKEN.

Wainwright: Das nehme ich als Kompliment. Denn ich liebe Sunset Boulevard.

HATTEST DU BEIM SCHREIBEN PRIMADONNEN IM KOPF?

Wainwright: Ja viele. Zuallererst mal an die berühmteste von allen Maria Callas. Dann gibt es da diesen französischen Film Diva von 1981. Davon ist ein bisschen enthalten. Und natürlich ist die Figur Norma Desmond aus Sunset Boulevard auch vertreten. Genauso wie andere großartige Sängerinnen wie Regine Crespin, nach der ich die Hauptrolle benannt habe, sowie Elisabeth Schwarzkopf. Es ist ein Mix aus allen Primadonnen, die man so kennt. Und ich bin ja auch eine. (lacht)

DU TANZT AUF SO VIELEN HOCHZEITEN. KENNST DU SOWAS WIE SCHREIBBLOCKADEN?

Wainwright: Nein, überhaupt nicht. Momentan ist das Kreieren von Musik für mich so einfach wie ein Klo-Besuch.

*Interview: Katja Schwemmers

SHAKESPEARES SONETTE, 9. UND 10. JUNI, 20 UHR, BERLINER ENSEMBLE, RESTKARTEN AN DER ABENDKASSE

Back to topbutton