George Michael im Interview

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Er war von den frühen 1980ern bis 2004 der Star britischer Popmusik. Als Georgios Kyriacos Panayiotou 1963 in Zypern geboren, machte George Michael mit Partner Andrew Ridgley als Wham! Karriere mit Hits wie „Wham! Rap” oder „Last Christmas”. Auch mit seinen Soloalben und Singles stürmte er die Charts („I Want Your Sex”, „Father Figure” ...) und verkaufte Millionen von Platten. Es folgte Ende ein juristischer Streit mit seiner Plattenfirma Sony. Danach das spektakuläre Coming-out: Beim Sex in der Herrentoilette wurde Michael 1998 von amerikanischen Cops aufgegriffen und verhaftet – für die Medien ein gefundenes Skandalfressen. Doch Hits wie „Outside” 1999 oder „Amazing” 2004 kamen in Europa weiterhin wie vom Fließband, bis George Michael überraschend erklärte, dass er sich 2005 vom Musikbusiness zurückziehen wolle. Mit seiner Kino-Biografie „A Different Story” feierte der Popstar auf der Berlinale Erfolge. Der Kinostart ist für November geplant. •rä

A Different Story”, GB 2005, Regie: Southan Morris, mit: Mariah Carey, Elton John, & Noel Gallagher


Haben Sie Ihren Ruhm mehr gehasst oder genossen?

Als Teenager war ich verwirrt genug, die ganze öffentliche Anerkennung toll zu finden. Je älter ich wurde, desto mehr habe ich diesen Rummel gehasst – ich war erst 24 Jahre, als dieser enorme Wirbel mit „Faith” begann. Rückblickend finde ich das viel zu jung, um das alles auszuhalten. Damals spürte ich, dass ich lieber privat leben wollte als ständig im Scheinwerfer der Medien zu stehen. Das mag etwas unglaubhaft klingen, wenn man sich die Videos von damals ansieht, in denen ich wirklich möglichst gut aussehen wollte. Vermutlich haben viele Leute deswegen ein Problem mit mir. Das kann ich verstehen. Bei manchen Videos würde ich mir am liebsten ins Gesicht treten, wobei es mir nie angenehm war, wenn andere Fotos von mir machten. Oder mich selbst im Fernsehen zu sehen.

Kurz nach dem Tod Ihrer Mutter starb Ihr Freund an den Folgen von Aids – wie gehen Sie mit solchen Schicksalsschlägen um?

Ich habe jahrelang Antidepressiva genommen, denn ich hatte panische Angst davor, zu jenen tragischen Figuren zu gehören, denen nur Schlimmes im Leben passiert. Bisweilen hätte mein Leben den idealen Stoff für jede Seifenoper abgeben können. Aber nach 15 Jahren Therapie bin ich selbstkritisch genug, um die meisten meiner Probleme zu lösen.

Sie haben selbst die Kino-Biografie über sich in Auftrag geben – wie kritisch dürfen da die Angestellten überhaupt noch sein?

Letztlich hatte ich allein die Kontrolle über dieses Projekt. Wie ich überhaupt bei meiner Arbeit nur selten die Kontrolle aus der Hand gebe. Ich hätte also durchaus die Macht gehabt, Dinge aus dem Film zu nehmen, die mir nicht gefallen. Allerdings bin ich mittlerweile selbstsicher genug, Kritik zuzulassen und zu akzeptieren. Manche Bemerkungen über mich im Film treffen völlig zu, andere finde ich völlig falsch. Aber ich finde es allemal interessanter, wenn man solche negativen Stimmen nicht unterdrückt.

Eine der bösen Zungen gehört Boy George ...

Boy George kritisiert mich schon seit 20 Jahren, vor allem wegen meines vermeintlich fehlenden Coming-out. Irgendwann hat er kapiert, dass diese Vorwürfe niemanden interessieren. Danach hat er dann behauptet, wir wären Jugendfreunde, aber seit ich berühmt wäre, würde ich ihn im Stich lassen – auch das ist völliger Quatsch. Ich kannte Boy George überhaupt nicht. Wie wenig er mich kennt, zeigt seine Aussage im Film, wonach ich keinerlei Sinn für Humor hätte. Wenn ich etwas habe, dann Humor.

Noel Gallagher äußert sich gleichfalls kaum freundlich ...

Der Typ redet, bevor er denkt. Er bringt diesen homophoben Spruch, den ich in meinem Film ganz einfach verewigt sehen wollte. Das erste Album von Oasis gehört für mich zum einem der besten der 90er Jahre. Es war die pure Magie: 50 Prozent Beatles, 50 Prozent Sex Pistols. Erst als sie dachten, sie wären die Beatles, wurde die Sache bedenklich. Ich mochte auch Radiohead – bevor er in seinem eigenen Arsch verschwand. Was ich dem Brit Pop am meisten vorwerfe, ist, dass er sich vor allem an die weißen Engländer wendet: Die letzte weiße Bastion, bevor die dunklen Menschen kommen. Das Großartige an der englischen Kultur ist ihre Mulitkulti-Kompetenz. Brit Pop hat das nie verstanden. Für mich war das leider immer auch nationalistisch und altbacken.

Wie groß wären heute Ihre Chancen bei den diversen „Superstar“-Suchen?

Wenn ich mich heute mit 17 oder 18 Jahren bei diesen Shows bewerben würde, hätte ich mit Sicherheit keine Chance, denn ich wäre ein Rock/Pop-Musiker, weil man nur noch dort die Chance hat, mit Respekt behandelt zu werden. Mitte der 80er Jahre passierte eine Katastrophe im Musikgeschäft: Die CD erlebte ihren Siegeszug. Eine ganze Generation kaufte ihre Lieblingsplatten noch einmal nach. Die Plattenfirmen machten gigantische Profite. Plötzlich hatten obskure Figuren in dieser Industrie das Sagen. Jetzt ging es nur noch darum, die alten Stücke nochmals neu aufzulegen. Die Idee von Komponist und Sänger war beerdigt. Das neue Motto hieß Imitation statt Innovation – das wurde zum Ruin der Popmusik. Heute gibt es nur noch zwei starke Elemente der Jugendkultur: Zum einen Rock, zum anderen Hip-Hop, denn vom Hip-Hop haben die Plattenbosse keine Ahnung und zudem Angst, dass ihnen diese Musiker den Arm brechen könnten.

Sie haben sich damals mit der Plattenfirma Sony angelegt – und den Prozess verloren ...

Ich wollte unbedingt von meiner Plattenfirma loskommen. Zudem hatte ich wirklich die Hoffnung, mit dieser Aktion etwas für die Zukunft der Musiker zu erreichen. Ich wollte die Gesetze ändern, wie es Betty Davis in den 50er Jahren versucht hatte. Und was habe ich erreicht? 15 Jahre später macht Robbie Williams 80 Millionen Pfund von EMI, indem er seinen Arsch verkauft. So sehen die Verträge von heute aus: Musik ist gar nicht mehr so wichtig, wir kaufen gleich das ganze Leben des Künstlers. Wenn ich heute nochmals die Wahl hätte, würde ich diesen Gerichtsstreit nicht mehr machen.

Downloaden Sie schon, oder kaufen Sie noch?

Ich bin seit kurzem bin ein absoluter iTunes-Junkie. Für mich ist das die perfekte Lösung – eigentlich sollte ich für diese Werbung doch Geld bekommen? (lacht). Der Download funktioniert so einfach, kein Wunder, dass sie schon 230 Millionen Downloads haben. Keiner hätte gedacht, dass die Leute so einfach und bereitwillig Geld dafür bezahlen. Den Leuten soll klar sein, dass Diebstahl von geistigem Eigentum ganz einfach Diebstahl ist. Wer klauen will, soll von Madonna, von Britney Spears oder von mir stehlen. Aber nicht die Musik von einer College-Band, die kein Geld hat. Als Konsument finde ich es phänomenal, dass man jederzeit die Musik zur Verfügung hat, die man möchte. Was mich als Künstler allerdings absolut stört, ist, dass du fünf Jahre verbringst, um ein Album aufzunehmen und dein Publikum sucht sich einfach zwei Songs davon aus. Die Chancen, dass ein Song mit der Zeit wachsen kann, sind damit verschwunden. Die Geschmacksentscheidungen fallen in zwanzig Sekunden.

Welchen Dingen aus den 1980er Jahren trauern Sie am meisten nach?

Dieses Lebensgefühl, dass die Welt einigermaßen sicher ist, hätte man heute sicher gerne noch mal. Und sonst? Rubik-Würfel? Ich weiß nicht. Vieles habe ich damals gar nicht mitbekommen, weil ich mit mir selbst und meiner Musik so beschäftigt gewesen bin. Vielleicht vermisse ich am meisten die Naivität von damals: Man konnte ein Mod sein, und im nächsten Monat ein New Romantic. Diese Wellen haben einfach alle mitgemacht. Heute wären die Kids viel zu skeptisch, schließlich wird jede neue Mode sofort von der Industrie aufgesogen wie ein Schwamm. Allerdings verklärt sich dieser Blick zurück auch häufig: In den 1980ern dachte ich, wäre ich nur zehn Jahre früher geboren, dann hätte ich die mit den Beach Boys und den Beatles Partys feiern können.

Foto courtesy of Special Collections, University of Houston Libraries.

Würden Sie sich ein Revival wünschen?

Solange die Mode nicht wiederkommt, ist es in Ordnung. Weiß Gott, ich habe viele Modeverbrechen in den achtziger Jahren begangen. Ich habe mich schrecklich angezogen, ich war die männliche Kylie Minogue. Ich war sexuell frustriert. Weil ich zu jener Zeit keinen Sex hatte, hatte ich auch kein Modebewusstsein.

Welches Verhältnis haben Sie heute zu Ihrem „Wham!“-Partner Andrew Ridgeley?

Wir sind noch immer die besten Kumpel. Dass ich ihm vor laufender Kamera im Film sage, wie sehr ich ihn vermisst habe, hat ihn schon sehr berührt. Über solche Dinge haben wir privat in den letzten zwanzig Jahren nie gesprochen. Dass es bei diesem Anlass so herausgerutscht ist, hat mich auch selbst gefreut.

Über das Verhältnis zu ihrer Familie erfährt man auch im Film nicht viel – warum ist das so geheim?

Ich möchte meine Familie aus dem Scheinwerferlicht heraushalten. Ich habe zwei Schwestern, von denen eine so anonym bleiben will, dass sie mich sogar völlig verleugnet – gerade so, als wäre ich ein Serienkiller! Aber ich glaube schon, dass der Film ein paar Hintergründe zeigt: Viele Leute glauben, ich hätte so ein behütetes Mittelschichtleben geführt. Aber das war nur ja in meiner Jugend so.

Der Medien-Skandal um Ihren Blowjob im Männerklo erinnert ein bisschen an Hugh Grant – was steckte wirklich hinter diesem seltsamen Coming-out?

Außerhalb von Amerika war das den meisten Menschen völlig egal. In England jedenfalls gab es absolut keine schlechten Reaktionen darauf. So rechts Amerika inzwischen auch geworden ist, war ich doch ziemlich schockiert, dass mit diesem Vorfall meine dortige Karriere beendet war. Auf einmal entdeckst du im Internet Dialoge wie „Ich mag George Michael“ – „Wirklich? Der ist doch schwul!“ Also gut, dann bin ich nun in der Kategorie „schwul“. Für mich ist das kein Problem. Dennoch war ich schockiert, welchen Unterschied meine sexuelle Orientierung plötzlich für die Amerikaner darstellt. Diese feindseligen Reaktionen waren weit jenseits meiner Vorstellungskraft.

Welche Rolle spielt Religion in Ihrem Leben?

Ich bin weder ein Katholik noch ein Christ. Ich möchte mich keinem religiösen Dogma beugen, das mich kontrollieren möchte. Allerdings glaube ich, dass der Glaube sehr wichtig ist. Was uns Menschen vom Tier unterscheidet, ist schließlich unsere Fähigkeit, zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können. Oft genug verdrängen wir diese Qualität. Aber ich habe mit meinen Texten immer versucht, ein bisschen Hoffnung in diese Richtung zu geben. Als ich jünger war, hielt ich mich für einen Atheisten. Danach für einen Agnostiker. Heute glaube ich, dass es unser Schicksal ist, die Antworten nie zu erfahren, aber dass es wichtig ist, im Leben eher großzügig zu sein als verängstigt.

Wie werden wir George Michael in Zukunft erleben?

Ich habe ein paar konkrete Pläne. Aber meist ist es so, wenn ich etwas plane, dann kommt alles ganz anders. Sagen wir so: Ich werde irgendetwas im Hintergrund machen. Und wer weiß: In ein paar Jahren werde ich vielleicht als Stripper unterwegs sein. Aber die Musik dazu wird auf alle Fälle fantastisch sein.

•Interview: Dieter Oßwald

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