Schwuler Kommunismus, queere Utopie, Berliner Geschichte

Eine Ausstellung im Schwulen Museum ehrt die queere Bewegung der 1990er

by ,

Foto: www.JenaFoto24.de/pixelio.de

Foto: M. Rädel

Mitten unter den anschwellenden „Wir sind ein Volk“- und „Deutschland Deutschland“-Rufen, die die Straßen der Hauptstadt der DDR beschallen, besetzen am Abend des 1. Mai 1990 Kreuzberger Tunten die Mainzer Straße 4 in Ost-Berlin. Schnell wächst das Tuntenhaus Forellenhof um Ost-Berliner Tunten sowie Tunten aus aller Welt und entwickelt sich zur antipatriarchalen Großkommune voller Träume, Utopien und konkreter Projekte im Kiez.

Ein gemeinsames Spielplatzprojekt mit den alteingesessenen Nachbar*innen, das Max-Hoelz-Antiquariat für DDR-Literatur und die Nachtbar Forelle Blau finden alle ihren Platz im und um das besetzte Haus herum. Ein jähes Ende nimmt der kurze Sommer des schwulen Kommunismus nach einer dreitägigen Straßenschlacht mit der Polizei und der darauffolgenden Räumung am 14. November 1990.

Foto: UMBRUCH Bildarchiv

Die Ausstellung Tuntenhaus Forellenhof 1990 porträtiert das Tuntenhaus als Ort des kollektiven Alltags im Spagat zwischen Einkauf, Kochen, Abwasch und der Verteidigung der Häuser gegen Nazis sowie rauschenden Festen und politischen Aktionen. Sie verschweigt aber auch nicht die internen Auseinandersetzungen zwischen Ost- und West-Berliner Tunten, Autonomen, schwulenbewegten Studis und den Nachbar*innen des Frauen-/Lesbenhauses.

Im Zentrum der Ausstellung reinszeniert die Bühnenbildnerin Bri Schlögel einen wichtigen Ort dieser Besetzung, das Esszimmer des Tuntenhauses – inklusive zeitgetreuer Details wie angebrochenem Drehtabak (BRD) und filterlosen KARO‑Zigaretten (DDR), Originalexemplaren der damaligen Besetzerzeitung und ein stumm für das nächste Plenum werbenden Gips-Lenin an der Wand. Die Ausstellung versammelt Stimmen, Anekdoten und Relikte, die seit 2020 aus Deutschland, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und den USA zusammengetragen wurden. Beiträge von Juliet Bashore, Ronald M. Schernikau, Katrin Rothe, Guy Parente, Ingo Hasselbach, Wolfgang Tillmans, Hajo Beer sowie Helga Krenz und andere laden zum Betrachten, Zuhören und Anfassen ein.

Über Wolfgang Tillmans: Der am 16. August 1968 geborene Remscheider wurde in den 1990ern durch seine Fotografien der Techno-, House-, Rave- und Elektro-Szene berühmt, 2000 bekam er als erster Fotograf und Nicht-Engländer den renommierten „Turner Prize“. 2002 war er verantwortlich für das umstrittene Video zum Hit der Pet Shop Boys „Home and Dry“.

30.6. (Vernissage, 19 Uhr) – 31.10., Tuntenhaus Forellenhof 1990: Der kurze Sommer des schwulen Kommunismus, Schwules Museum, Lützowstraße 73

Back to topbutton