Bibel ist queer!

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Foto: Bibelhaus Erlebnismuseum

Das Frankfurter Bibelhaus ErlebnisMuseum setzt sich kritisch mit den Interpretationen der Bibel auseinander und kommt dabei, zumindest für konservative Kreise, zu durchaus provokanten Ergebnissen. In Ausstellungen, Führungen und aktuell auch in einer Plakataktion mit Slogans wie „Bibel ist queer“ oder „Bibel ist vegan“ will das Team zur Kontroverse anregen.

2021 sorgte die Sonderausstellung „G*tt m/w/d“ für Aufsehen, weil sie die Frage stellte, welches Geschlecht Gott habe – beziehungsweise, warum Gott immer männlich gelesen wird. „Ein unverstellter Blick in die Bibel offenbart: Auch dort ist Geschlechtervielfalt zu finden“, erklärte bereits damals Museumsdirektor Veit Dinkelaker. Die Ausstellung belegt dies nicht nur anhand von Bibeltexten, sondern auch mit archäologischen Fundstücken, die zum Beispiel für die Darstellung Gottes nicht ausschließlich das binäre System benutzen. Auch im Mittelalter existierte eine androgyne Vorstellung von Adam: Ein doppelgeschlechtliches Wesen, aus dem Mann und Frau entstanden sind – und nicht wie heute allgemein angenommen, dass die Frau lediglich aus der Rippe Adams geformt wurde. Verborgene Spuren lassen sich auch im Judentum, im Islam oder bei christlichen Hermaphroditen in der Buchkunst entdecken.

Die Ausstellung „G*tt m/w/d“ ist vom 22. August bis 8. Oktober noch einmal in einer etwas verkleinerten Pop-up-Version im Museum zu sehen. Sie ist außerdem so konzipiert, dass sie auch von anderen Institutionen ausgeliehen werden kann. Auch die Plakataktion kann im Museum angeschaut werden, außerdem führen in der Dauerausstellung angebrachte QR-Code-Links zu kurzen Videoclips, die erklären, wieso die Bibel divers, queer, antirassistisch, feministisch, visionär oder ökologisch und vegan ist. „Die Kurz-Videos hatten als Reels auf Instagram bereits im Juli eine große Reichweite“; erklärt Veit Dinkelaker. Wir haben den Direktor des Bibelhaus Erlebnismuseums zum Interview getroffen.


Foto: Bibelhaus Erlebnismuseum

Die Ausstellung „G*tt m/w/d“ stellt die provokante Frage, ob Gott männlich, weiblich oder überhaupt ein binäres Geschlecht hat. Wie sind Sie und ihr Team auf die Idee gekommen, eine solche Ausstellung zu konzipieren?

Die Bibel hält manche Überraschung bereit. Als Erlebnismuseum haben wir den Anspruch, die Bibel für Jung und Alt interessant zu machen – zum Erleben. Die Bibel selbst erschließen wir – wie üblich in einem Museum – wissenschaftlich. Unser Zugang zur Frage, woher die Vorstellungen über Gott kommen, ist archäologisch. Und da herrscht eine große Vielfalt in der Antike – auch in biblischen Landen. Das war unser Ausgangspunkt: Wir möchten daran erinnern, dass am Anfang die Vielfalt steht. Und da gibt es in der Geschichte eine erstaunliche Vielfalt auch hinsichtlich Geschlechtervorstellungen. Das ist wenigen Leuten bekannt. Da geht es um die weiblichen Attribute des biblischen Gottes in den Texten der heiligen Schriften, die von der feministischen Theologie herausgearbeitet wurden. Da geht es um den Vergleich zu den Religionen und Kulturen, aus denen die biblischen Religionen hervorgegangen sind. Wer die Antike kennt, der weiß, dass es keine Überraschung ist, dass in der Umwelt der Bibel von mehrgeschlechtlichen Wesen die Rede ist, wie „Hermaphroditen“ oder „Androgynen“. Wir können in der Ausstellung zeigen, dass über diese Dinge auch in der Auslegung biblischer Geschichten von der Antike bis ins Mittelalter nachgedacht wurde. Im Ausstellungskatalog stellt ein Rabbiner dar, dass im orthodoxen Judentum seit jeher von sechs verschiedenen Geschlechtern die Rede ist. Die Genderdebatte ist das eine – die historische Dimension, wie in früheren Zeiten über Geschlechter gesprochen wurde, wird gerne übersehen. Und da ist die Bibel vielfältiger, als manche denken. So erschließen wir die Multiperspektivität auf die heiligen Schriften. Dazu gehören auch Interviews mit inter- und transgeschlechtlichen Menschen und wie sie die Bibel lesen – und wie sie sich in den heiligen Schriften wiederfinden.

Welche Reaktionen hat die Ausstellung 2021 hervorgerufen? Wurde das Museum attackiert?

Wir hatten überwiegend sehr positive Reaktionen im Laufe der Ausstellung von 2021. Der Blick auf die Bibel unter Einbeziehung der Sichtweise der LGBTQIA+-Community führte zu dem Theaterprojekt zu einem Stück der schottischen Autor*in Jo Clifford „The Gospel According to Jesus, Queen of Heaven“, das wir als Videoprojekt mit dem Transaktivisten Brix Schaumburg realisiert haben. Es ist aus unserer Sicht ein starkes Stück Empowerment – irritierend und erhellend, wie es wäre, wenn Jesus als Transfrau auf die Welt käme. Zu diesem Projekt gab es auch viel Zuspruch – gegen Ende der Ausstellungszeit allerdings wurde das US Online-Nachrichtenportal FOXNews auf uns aufmerksam. Da gab es von US-amerikanischer Seite dann heftige Reaktionen.

Wie unterscheidet sich die Pop-up-Version von der Originalausstellung?

Auf zehn Pop-up-Aufstellern mit etwa einem Dutzend Objekten, machen wir die Ausstellung „G*tt w/m/d – Geschlechtervielfalt seit biblischen Zeiten“ mobil. Jeder Aufsteller erschließt auch das reiche online-Material, dass wir erarbeitet haben – auch mit Blick auf die virtuelle Ausstellung www.gott-wmd.de. Ein herausragendes Stück, das wir gerne verleihen, ist ein Band des preußischen Landrechts von 1799/1806, in dem der so genannte „Zwitterparagraf“ steht. Das macht deutlich, dass bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches im Deutschen Reich im Jahre 1900 ein „drittes Geschlecht“ neben Mann und Frau nicht nur selbstverständlich war, sondern Gesetzesrang hatte. Kein Wunder spiegelt sich das auch in den biblischen Texten und ihrer Auslegung – da ist manche Überraschung zu erwarten. Ein Faksimile der alchimistischen Handschrift „Splendor solis“ zeigt einen so genannten „christlichen Hermaphroditen“ in einer mittelalterlichen Darstellung aus dem 15. Jahrhundert. Auf einem Aufsteller ist auch „Conchita Wurst auf der Mondsichel“ des in diesem Jahr verstorbenen Künstlers Gerhard Goder abgebildet – das Keyvisual der Ausstellung 2021, jetzt wieder zurück in Berlin im Museum Europäischer Kulturen SMB/SPK, regt weiterhin im BIMU zur Kontroverse an. Im September finden jeden Mittwoch um 16 Uhr Führungen in der Ausstellung statt. Sie beziehen auch Bereiche der Dauerausstellung ein, die sich seit 2021 mit dem Thema befassen.

Die Frage nach der Geschlechtlichkeit Gottes wirft ja noch weitere Fragen auf: Inwiefern ist die Interpretation von Bibeltexten zeitabhängig und ist eine reformierte Betrachtung im Zuge einer sich verändernden Welt nicht längst überfällig? Oder steht Bibel nur für konservative Werte, die veränderungsresistent sind?

Die Ausstellung versucht den Bibeltext gegen die gängigen Auslegungen und Lehrmeinungen, die ja auch alle immer zeitbedingt sind, stark zu machen. Es ist eine Binsenwahrheit, dass die Bibel äußerst divers ist – im Sinne von vielfältig. Da lässt sich manche Entdeckung machen. Viele Aussagen der Bibel müssen historisch eingeordnet werden – und verlieren dann ihre Schärfe. Die Bibel wird immer neu gelesen und auf ihren Kern geprüft – durch alle Zeiten. Es ist erstaunlich auf wie viele, bislang ungestellte Fragen die heiligen Schriften antworten können. Wer dabei allerdings Eindeutigkeit sucht, wird selten befriedigt. Aber die Diskussion lohnt sich. Die biblische Kernbotschaft „Liebe Gott und liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ gibt uns den Spielraum, auf Entdeckung zu gehen. Wer die Bibel liest, weiß, dass sie schon immer ein revolutionär-befreiendes Buch war, in ihrer Zeit und seitdem. Manche konservative Lehre, die sich auf die Bibel beruft, muss schlicht überprüft werden – und dann wird sich zeigen, wie weit die Perspektive ist, die die Bibel öffnet. Dazu laden wir ein.

Bibelhaus ErlebnisMuseum, Metzlerstr. 19, Frankfurt, www.bibelhaus-frankfurt.de

Die Pop-up-Ausstellung „G*tt m/w/d – Geschlechtervielfalt seit biblischen Zeiten“ ist noch bis zum 8.10. zu sehen, Führungen jeweils mittwochs um 16 Uhr.

Wer die Ausstellung „Gott m/w/d“ ausleihen möchte, kann sich direkt ans Museum wenden, eine virtuelle Version gibt‘s über www.gott-wmd.de

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