Festival in der Schwebe

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Das internationale Tanzfestival Rhein-Main, das jedes Jahr parallel in Frankfurt, Darmstadt und Wiesbaden stattfindet, reagiert im 5. Jubiläumsjahr auf die Zeichen der Zeit: Unter dem Titel „Fragile Balancen“ wird es ein „Festival in der Schwebe“.

Ein Festival in der Schwebe, weil man sich unter den gegebenen Umständen mit Social Distancing und wohlmöglichen Reisebeschränkungen nicht sicher ist, ob alle angekündigten Stücke stattfinden können; denn gerade im Bereich Tanz zeigt sich, wie vernetzt man in Europa ist.


Die Festival-Kuratoren Anna Wagner und Bruno Heynderickx samt ihrem Team machen aus der Not eine Tugend und begegnen dem Schwebezustand auch künstlerisch. Das Eröffnungsstück zum Beispiel wäre die Tanz-Installation „Versuchte Annäherung an einen Scheitelpunkt der Schwebe“ geworden, die der französische Tänzer, Choreograf und Künstler Yoann Bourgeois im Staatstheater Darmstadt installieren wollte: Ein Parcours mit vier bewegten Skulpturen, auf denen die Tänzer*innen die Balance halten. Die geplanten Vorstellungen mussten kurzfristig abgesagt werden, da das Ensemble aufgrund der aktuellen Pandemiebestimmungen nicht nach Deutschland einreisen konnte.

Foto: Geraldine Aresteanu

Stattdessen ist nun Richard Siegal und sein „Ballet of Difference“ aus dem Kölner Schauspiel zu Gast beim Tanzfestival Rhein-Main.

Sein Stück „New Ocean Sea Cycle“ ist ein Hybrid aus Tanz-Installation und Duration-Performance. Richard Siegal arbeitet hier außerdem mit dem Lichtdesigner Matthias Singer zusammen; dessen Lichtinstallation beruht auf einem Algorithmus der sich auf schmelzende Eis der Polarmeere bezieht. (30.10. – 1.11. im Staatstheater Darmstadt).

Auch sonst lässt sich das Tanzfestival-Team nicht entmutigen und präsentiert mit insgesamt 19 Stücken ein Festival voller Freude und Sinnlichkeit, das Körper und Dynamik in den Mittelpunkt stellt.


Wie die Stücke der österreichischen Choreografin Doris Uhlich, auf deren Arbeiten in diesem Jahr das „Spotlight“ des Festivals liegt. Obwohl Uhlichs Tanzkarriere bereits an der Eignungsprüfung des Konservatoriums zu scheitern schien, einzig, weil ihr Körper nicht dem vorherrschenden Schlankheitsideal entsprach, hat sie als studierte Tanzpädagogin eine Reihe außergewöhnlicher Choreografien entwickelt und tanzt auch selbst. „Der Körper ist in der Welt und die Welt ist im Körper“, sagt die Choreografin, die gerne mit nackten Körpern arbeitet. Für Uhlich ist das nicht nur ein choreografisches Detail, um Zustände zu zeigen, die mit Kleidung nur schwer zugänglich sind. Für Uhlich bedeutet Nacktheit auch das Ablegen von gesellschaftlichen Codes und das bekommt durch das derzeit starke Verhüllungsgebot eine ganz neue Qualität.

Foto: Katarina Soskic

Gezeigt werden „Habitat“ in einer neuen, Corona-angepassten Version (31.10. und 1.1. im LAB), „Every Body Electric“ (7. und 8.11. im Staatstheater Darmstadt) und „mehr als genug“ (12.11., Hessisches Staatstheater Wiesbaden), die nicht nur nackte Körper in Bewegung sondern auch Körper außerhalb der Norm zeigen. In „Every Body Electric“ arbeitet sie zum Beispiel mit Performer*innen mit physischen Behinderungen.


Der Performer, Choreograf, Dozent und Kurator Jeremy Wade zeigt sein preisgekröntes Stück „Glory“, das auch nach 12 Jahren und der vierten Bearbeitung nichts an verstörender Faszination verloren hat. Jeremy Wade und der Tänzer Sindri Runudde strapazieren Gegensätze: Eine Umarmung, die zu erdrücken droht, ein Kuss, der den Atem raubt, intime Gesten, die entfremden – zwei Körper zwischen Agonie und Ekstase. (11. und 12..11., LAB).

Foto: Dieter Hartwig


Auch Tony Rizzi ist dabei: „Why Wait“ lautet der Titel seiner Performance, die das Frankfurter Ballett unter William Forsythe zum Thema hat. Zusammen mit ehemaligen Mitgliedern der Kompanie und einem Tänzer der jüngeren Generation spürt er dem Mythos Forsythe nach und gibt Einblicke in das Entstehen von Kunst –ein Balanceakt zwischen Fantasie und Realität, Theorie und Praxis, Zufall und Gewolltem (6. – 8.11., LAB – checkt unser Interview mit Tony Rizzi). Sehenswert!

Foto: Tony Rizzi


30.10. – 15.11., Tanzfestival Rhein-Main, Vorstellungen in Frankfurt, Wiesbaden und Darmstadt, Infos und Updates über www.tanzfestivalrheinmain.de

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