Interview: Araburlesque mit Yousef Iskandar

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Die neue Spielzeit auf Kampnagel startet mit einem Themenschwerpunkt, der neugierig macht: „Queers in Exile“ erzählt von LGBTIQ*, die ihre Heimat verlassen haben und in der westlichen Welt einen Schritt in die persönliche und künstlerische Freiheit wagen.

Am 5. und 6. Oktober zeigt der Libanese Yousef Iskandar seine Interpretation und Bearbeitung orientalischer Tänze, die er mit einem wilden Mix aus Musikstilen und mit eindrucksvollen Outfits und Videoinstallationen dafür nutzt, seinem Publikum den Kern dieser altorientalischen Kunst nahezubringen: die Verführung. Ganz beiläufig sprengt er dabei auch noch die Geschlechtergrenzen. hinnerk traf den Künstler in einem seiner Exile in Berlin.

Foto: Yousef Iskandar

QUEER GEKOCHT

Wir trafen Yousef in seiner Berliner Wohnung, wo er gerade damit beschäftigt war, sich schnell noch eine kleine Mahlzeit zuzubereiten, um dann gestärkt zu einem Job zu gehen. „Ich bin ein wenig müde. Zurzeit habe ich echt viel um die Ohren und bin heute noch nicht dazu gekommen, mir etwas zu kochen“, entschuldigt sich der in den 1980ern in Beirut geborene Libanese, nicht ohne uns herzlich anzukündigen, dass wir selbstverständlich auch eingeladen sind. Es seien nicht nur die Vorbereitung auf die beiden Performances in Hamburg Anfang Oktober. „Ich arbeite an mehreren Projekten zurzeit. Ich fotografiere, kreiere Videoinstallationen und natürlich tanze ich weiterhin. Beziehungsweise wieder. Ich habe zwei Jahre pausiert.“

Foto: Yousef Iskandar

Auf die Frage, warum Yousef länger nicht auf einer Bühne war, vertieft er sich erstmals in diesem Gespräch in die Beweggründe, die sein Tanztheater ausmachen, die es mit dieser Energie füllen, die begeistert. „Ich bezeichne mich nicht als politischen Künstler. Aber ich habe eine sehr starke Verbindung zu dem, was in der Gesellschaft passiert. Als ich Araburlesque vor vier Jahren erarbeitete, war das in einer – auch wenn sich das für so einen kurzen Zeitraum pathetisch anhört – völlig anderen gesellschaftlichen Atmosphäre. Es war für den damaligen Zeitpunkt genau richtig. Ich hatte dann aber das Gefühl, dass ich mit dem Projekt einen Endpunkt erreicht hatte. Das hat sich jetzt diametral geändert.“ Diese gesellschaftliche Veränderung habe auch dazu geführt, dass Yousef sein Stück vollständig überarbeitet hat. „Es ist derselbe Körper, die selbe Struktur. Die Inhalte sind aber vollständig neu zusammengefügt. Ich habe das Gefühl, wesentlich radikaler an die Themen herangehen zu müssen.“

2014 war der Mix aus klassischer Musik und arabischen Rhythmen noch einer der Stilbrüche, die Yousef bekannt machten. Hat sich dies fortgesetzt? „Ich habe neue Musik entdeckt, die ich selber nicht kannte. Im Libanon nannte man sie ‚barbarische‘ Musik, weil sie noch von den Stämmen stammte, die dort lebten, als die Araber die Gebiete eroberten. Sie hat mich sehr inspiriert.“ Einen offenen Hafen für seine Ideen fand er im Produktionsteam des Kulturzentrums Kampnagel. Es meldete sich Anfang 2017, als die Planungen für den Themenschwerpunkt „Queers in Exils“ begannen, und Yousef ist sofort begeistert. „Sie haben mir so viele Freiräume und so viele technische Möglichkeiten geschaffen. Mussten wir bisher eher versuchen, mit dem auszukommen, was wir vorfanden, konnten wir für diese Produktion auf ein hervorragendes Team von Beleuchtern und Technikern zurückgreifen, und ich denke, wir haben Araburlesque wirklich auf ein ganz neues Level gehoben.“

DIE SUCHE NACH EINER HEIMAT

Während Yousef weiter Gemüse putzt und Koriander zupft, erzählt er, was ihn zu einem Queer im Exil macht. „Ich definiere mich als queeren Mann. Viel mehr als als schwulen Mann. Und ja, natürlich bin ich im Exil. Ich bin jetzt schon sechs Jahre im Ausland. Und ich beginne, an meinem eigenen Verhalten zu merken, dass da Dinge sind, die mir fehlen. Nicht im Sinne dessen, dass ich sie vermisse, aber ich bemerke, dass sie einfach nicht da sind.“ Sucht Yousef Iskandar nach Heimat? „Es war früher ein Stück weit so, bis ich für mich eine Form des Erwachsenseins gefunden habe. Ich weiß jetzt, dass mein Körper mein Zuhause ist. Ich habe akzeptiert, mit mir selbst zu leben, und akzeptiere es außerdem, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Ja, seit rund zwei Jahren habe ich meine Heimat gefunden.“

PROJEKTIONEN

Während es in der Küche inzwischen verführerisch nach verschiedenen Gewürzen und Angebratenem duftet, wagen wir uns in das Feld der erotischen Stereotypen vor, die Yousef in seinen Performances aufbricht. Was ist das für ein Vorurteil von dem hypersexualisierten, maskulinen Araber, der gerade in der schwulen Szene einerseits Sehnsuchtsthema, andererseits Angstfigur ist. „Das sind Projektionen. Selbsterfüllende Projektionen. Ich habe in den Augen meines Gegenübers ein Macho zu sein, männlich und hart, um akzeptiert zu werden, also entspreche ich diesem Schema und befeuere dadurch aber wiederum die Erwartungshaltung.

Das Problem sehe ich dabei aber besonders auf ‚unserer‘ Seite, der arabischen. Wenn ich es mag, mit dem maskulinen, sexuell machohaften Teil meiner Persönlichkeit zu spielen und weiß, dass diese Stereotypen existieren, darf ich den anderen, den weichen Teil nicht vergessen. Ich denke, da muss ganz allgemein gesehen die arabische, männliche Community dazulernen. Ich möchte nicht verallgemeinern, aber selbst ich gehe heute ungerne durch Neukölln, weil mir die Stimmung teilweise zu aggressiv ist.“ Yousef wird bei diesem Thema sehr emotional. „Ich habe selbst Angst davor, vorschnell zu urteilen. Ich will nicht pauschal vorverurteilen und ich will mich auch nicht distanzieren. Ich gehöre genauso zur queeren Community, wie ich zur arabischen Community gehöre.“

In seiner Performance spielt Yousef Iskandar daher auch sehr extrem mit den Stereotypen und Rollenbildern. Er durchbricht sie, indem er ästhetisch auch weibliche Tanzstile und Outfits mit maskuliner Erotik verwebt und den Zuschauer so auf eine Reise durch reale und geträumte Geschichten mitnimmt. In der lichtdurchfluteten Küche reden wir noch weiter über den Clash der Kulturen und erfreuen uns an dem inzwischen fertigen Essen. Verständnis geht durch den Magen. Und durch die Kunst.

*Interview: Christian Knuth

5. + 6.10., OPEN HOUSE: QUEERS IN EXILE – Yousef Iskandars Araburlesque, Kampnagel KMH, Jarrestraße 20, 22 Uhr, www.kampnagel.de

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