Interview: „Das Beste aus zwei Welten“

Dennis Schulze hat im letzten Jahr das Ruder von Deutschlands ältester privater Musical-Schule und ihres hauseigenen Theaters First Stage übernommen. Er löst Thomas Gehle ab, der sich – anders als so viele Patriarchen – beim Rückzug ins Private freute, sein Lebenswerk, die „Stage School" in begabte junge Hände legen zu können. Wir sprachen mit ihm über Verantwortung, Digitalisierung, den Musicalmarkt und immer wieder über Dinge, die klassisch als Gegenpart gelten, neu gedacht aber zusammen mehr ergeben: jung und alt, lernen und lehren, kreieren und kontrollieren …

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Foto: Anna Dittrich

Willst du einfach erstmal ein bisschen erzählen, wie es dazu kam - warum du dir als so junger Mensch so eine Verantwortung ans Bein bindest? 

Ja, also wie kam das. Ich bin jetzt fast zehn Jahre dem Unternehmen zugehörig, also inklusive der Ausbildungszeit. Während und nach der Ausbildung war eine Zeit, in der ich viel auf der Bühne stand, zum Beispiel bei drei Tourneen in der Titelrolle in „Yakari - das Musical“, der damals größten Familienproduktion im ganzen deutschsprachigen Raum. Und dann hat das First Stage Theater in Hamburg eröffnet. Nach und nach habe ich die Seite gewechselt und als Produktionsleiter im Theater und als Social Media Manager für die Stage School angefangen, immer mehr Projekte zu organisieren. Ich kann gut mit Zahlen umgehen und habe durchaus ein gutes Verständnis dafür, was zum Beispiel eine gute Preisgestaltung ist, oder wie man Budgets aufstellt. Das konnte ich dann gut mit meinem künstlerischen Wissen kombinieren und dadurch jene Entscheidungen treffen, die sowohl unternehmerisch als auch künstlerisch Sinn ergeben. Mit diesem Input konnten wir das Theater immer weiter ausbauen und durch meine Erfahrungen dann auch die Schule weiterentwickeln. 

Ich bin immer mehr ins Management der Stage School eingetreten: erst war ich Thomas Gehles Assistent, dann war er eher mein Mentor, und dann haben wir in der Corona Pandemie langsam die weitere Richtung festgelegt. Thomas sagte, dass er wohl auch nicht mehr 10 Jahre weitermachen würde, während ich es mir durchaus noch länger vorstellen konnte. So hat sich der Führungswechsel ergeben. Als Corona-Beauftragter habe ich dann das Theater durch die Pandemie geführt und alle Sicherheitsvorkehrungen eingeführt und beaufsichtigt. Auch hier hat mir das Zusammenspiel aus meinen betriebswirtschaftlichen und künstlerischen Kenntnissen enorm geholfen.

Von Thomas fiel dann die Entscheidung, ehrlicherweise etwas früher als erwartet, einen Schlussstrich zu setzen und auch die rechtliche Verantwortung abzugeben. Es stand dann zur Wahl ob entweder meine Wenigkeit übernimmt, oder ob man die Firma extern verkauft und die Schule neu erfunden und vielleicht auch gänzlich umgekrempelt wird. Thomas und mein Wunsch war es, dass ich das Unternehmen übernehme, dann haben wir uns auf die Übernahme im Sommer 2022 geeinigt. 

Du bist wohl einer der jüngsten Theaterleiter und definitiv der jüngste Schulleiter in Deutschland. Als jüngere Generation bist du natürlich viel mehr im digitalen Zeitalter aufgewachsen. Wie wirkt sich das aus?

Einer meiner Schwerpunkte als neuer Geschäftsführer ist es, den Lehrplan zu überarbeiten und zu verändern. Es kann nicht sein, dass sich die Ausbildung seit zehn Jahren eigentlich nicht verändert hat, obwohl sich in der Unterhaltungsbranche so viel getan hat. Wir wussten vor zehn Jahren auf jeden Fall noch nicht was ein Podcast ist, es gab noch nicht all diese Streaming-Dienste, und es gab noch kein so großes Volumen an produzierten Serien. Gleichzeitig ist auch das Musical-Business immer schnelllebiger geworden. Stage Entertainment, das größte Unternehmen für Musicals, als Beispiel: die haben früher jahrelang ein Stück gespielt und jetzt spielen die teilweise ein Stück für ein halbes Jahr und ziehen dann in die nächste Stadt. 

Foto: Dennis Mundkowski

„Das Publikum will einfach mehr Abwechslung und mehr Vielseitigkeit.“

Wir schauen jetzt alle Fächer und Inhalte des Curriculums an. Wo brauchen wir einen neuen Fokus, was für neue Inhalte gibt es, die zum Beispiel eher auf den wachsenden Serien- und Filmbetrieb ausgelegt sind? Außerdem wollen wir auch nachhaltiger werden und nicht mehr wahllos kopieren und jede E-Mail ausdrucken. Wir sind mit einer Stage School App gestartet, um eine schnellere, zeitgemäßere Kommunikation zu haben. Da können Schüler:innen zum Beispiel das Handbuch oder den Lehrplan finden oder schnell und einfach über Änderungen informiert werden, ohne dass man jedes Mal eine E-Mail schicken muss. Die oben genannten Veränderungen am Markt haben wir analysiert: 

Früher wollten die Caster sogenannte „Triple Threats“, also eine Person, die perfekt Singen, Tanzen, und Schauspielen kann. In den Basics sollte die drei Sparten jede:r auf jeden Fall auch heute noch beherrschen. Aber der Markt hat sich dahin entwickelt, dass jetzt dezidierter gesucht wird, zum Beispiel nach einem starken Solisten, oder nach einem starken Tänzer mit gutem Harmonie-Gesang. 

„Es wird also spezieller und mehr auf die Rolle zugeschnitten gesucht.“

Deswegen will ich auch, dass wir in der Ausbildung jetzt eine Spezialisierung implementieren, bei der man im letzten Ausbildungsjahr wählen kann, ob man in die Schauspiel-, Tanz-, oder Gesangsklasse möchte. Das wird im nächsten Schuljahr kommen. Das ist der Vorteil als Privatschule – wir können uns agil und schnell verändern und dem Markt anpassen. 

Ein „Unique Selling Point“ der Stage School ist es, dass ihr durch das First Stage die Möglichkeit der praktischen, realen Anwendung vor Publikum gibt. Wie weit wird das schon genutzt? Gibt es noch Pläne das zu erweitern?

Ja! Einer unserer „Signature Tunes“ ist auf jeden Fall diese Praxiserfahrung. Und es zeigt sich auch, dass es funktioniert: in allen großen Produktionen, egal in welchen Theatern, sind unsere Absolvent:innen von der Stage School vertreten, und das auch immer mehr in Hauptrollen. Diesen Wechsel mussten sich auch ganz viele Regisseure und Agenten eingestehen. 

Foto: Dennis Mundkowski

„Wir haben so gute Leute!“

In keiner anderen Schule im gesamten deutschsprachigen Raum gibt es so viele Möglichkeiten schon im Theater aufzutreten und sich dabei auch kreativ einzubringen und Ideen umzusetzen. Das ist ein riesiger Vorteil. In den Abschlussproduktionen am Ende des letzten Ausbildungsjahres sind seit einigen Jahren auch immer wieder professionelle, erfahrene Darsteller:innen in den älteren Rollen besetzt, sodass die frischen Absolvent:innen immens davon profitieren live zu erleben, wie sich die Profis auf Auftritte und eine Rolle vorbereiten. 

Ich würde jetzt noch gerne über das Thema Queerness und Diversity reden. Ihr seid ein sehr geschützter Raum für alle möglichen geschlechtlichen und sexuellen Identitäten. Heutzutage gibt es viele Debatten darüber, was die Schauspielerei darf, zum Beispiel ob heterosexuelle Personen einen schwulen Charakter spielen sollten. Außerdem wird auch die Benachteiligung von BIPOC und das Thema Rassismus immer mehr thematisiert. Wie geht ihr mit solchen Debatten um? 

Eine meiner ersten Handlungen war es, die ganze Website zu gendern und diverse geschlechtliche Anmeldemöglichkeiten anzubieten. Da waren wir für meinen Geschmack schon relativ spät dran. Um diese und weitere Werte zu vermitteln, habe ich mich auch im Sommer zwei Tage lang mit dem ganzen Team zusammengesetzt. Wir sind eine sehr offene Branche, allerdings gibt es auch immer wieder Beispiele, die das Gegenteil beweisen. Ich wollte zum Beispiel ein Musical für das Theater lizensieren, in dem unter anderem auch um die Rassentrennung in Amerika geht. Ich selbst, mit meinem deutsch-vietnamesischen Hintergrund, habe früher Mal eine dieser Rollen gespielt. Der Verlag hat mir jetzt aber tatsächlich gesagt, ich müsse alle Rollen, die zu den POC gehören, mit Afroamerikaner:innen besetzen – das haben die Rechte-Inhaber in Amerika so entschieden.

Grundsätzlich würde ich gerne offener mit Rollentypen umgehen, sodass zum Beispiel in einer Szene die eigentlich ein Mann und eine Frau sind, jetzt zwei Männer oder Frauen spielen. Am Broadway ist man schon so weit, Rollentypen neu zu erfinden, in Deutschland leider noch nicht. Was aber nicht zwangsläufig an den Regisseur:innen oder Theatern liegt, sondern noch weiter an der Wurzel entsteht, einerseits an den Inhaber:innen der Rechte, andererseits natürlich auch am deutschen Theaterpublikum, wovon private Theater maßgeblich abhängig sind. 

Foto: Dennis Mundkowski

Als Stage School müssen wir uns dem nur teilweise beugen. Aber wenn ein Schüler oder eine Schülerin kommt und sagt, ich möchte ein Projekt für die Bühne machen, wo alle Männer trans oder in drag sind und Frauenrollen einnehmen, dann unterstütze ich das zur künstlerischen Weiterentwicklung.  Wir sind zwar die älteste Schule Deutschlands, aber wohlgemerkt mit dem jüngsten Schulleiter der Branche, sodass unter unserem Dach das Beste aus beiden Welten zusammen kommt. 

*Interview: Christian Knuth 

➡️ stageschool.de 

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