„Einer muss den ersten Schritt machen“

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Die profilierte Landtagsabgeordnete und Kämpferin für LGBT*I-Rechte Claudia Stamm ist im Frühjahr bei den Bayerischen Grünen ausgetreten (LEO berichtete). Unter dem Motto „Zeit zu handeln“ gründet sie derzeit eine neue Partei.

Wir sprachen mit ihr und dem ehemaligen Grünen Werner Gaßner, der sich unter anderem als Mitbegründer der Münchner Initiative „Vielfalt statt Einfalt“ einen Namen gemacht hat, über die Ziele der Partei und deren Bedeutung für die LGBT*I-Szene Bayerns.

Frau Stamm, warum war es „Zeit zu handeln“?

Ich habe mir die Entscheidung, eine neue Partei zu gründen, nicht leicht gemacht. Aber ich musste mir überlegen, wie und wo ich mehr erreichen kann, und kam zu dem Schluss, dass es mit den Grünen nicht mehr geht und dass vor allem der Kurs der Bundes-Grünen so unklar ist, dass ich ihn nicht mehr mittragen konnte. Einer muss den ersten Schritt machen, damit andere mitgehen können.

Einige Ihrer Landtagskollegen und -kolleginnen haben Sie daraufhin zum Mandatsverzicht aufgerufen – wie reagieren Sie auf diese Forderung?

Das ist ein verständlicher Reflex, doch die Bayerische Verfassung macht deutlich, dass das Mandat nicht der Partei gehört, sondern dem Volk, das mich gewählt hat. Diese personalisierte Wahl sehe ich als Verpflichtung gegenüber den Menschen, daher gebe ich mein Landtagsmandat nicht auf.

Sie sind dabei, eine neue Partei zu gründen. Wie ist der aktuelle Stand?

Zunächst geht es darum, ein Programm zu formulieren. Dazu haben wir ein Kernteam aus derzeit 15 Personen zusammengestellt, das aus ganz unterschiedlichen Menschen besteht, die keineswegs ausschließlich dem grünen Spektrum zuzuordnen sind. Aber mir ist wichtig, dass dieses Programm breit diskutiert wird. Daher wird es auch Workshops und Regionalkonferenzen in ganz Bayern geben. Schon jetzt haben sich dafür rund 1.000 Menschen registriert.

Werner Gaßner, Sie als ehemaliger Grüner sind einer davon. Was hat Sie dazu bewogen, mit Claudia Stamm neue Wege zu gehen?

Die Unzufriedenheit mit der grünen Politik hatte sich auch bei mir im Laufe der Zeit entwickelt, zunächst in der Asylpolitik. Dann kamen die verwaschenen Aussagen der Bundesgrünen zum Thema „Ehe für alle“ dazu. Meine Vision ist, dass auch queere Themen in allen Bereichen mitgedacht werden. Das ist in einer der etablierten Parteien derzeit nicht möglich.

Welche Inhalte soll die neue Partei transportieren?

Werner Gaßner: Vor allem wollen wir Politik in vier Kernbereichen machen: soziale Gerechtigkeit, gesellschaftliche Vielfalt, ökologischer Umbau und das Thema Migration und Asyl, das wiederum ohne eine Friedenspolitik nicht gedacht werden kann.

Eine Partei links von den Grünen im konservativen Bayern – wie soll das gehen?

Claudia Stamm: Wir sehen uns nicht links von den Grünen. Überhaupt hat sich das Links-rechts-Schema aus meiner Sicht überholt. Unsere Kernthesen gehen quer durch alle politischen Richtungen, das zeigt auch die Reaktion unserer UnterstützerInnen, von denen sich viele nicht links ansiedeln wollen.

Frau Stamm, Sie waren seit 2009 die stärkste Stimme im Bayerischen Landtag für LGBT*I-Rechte. Die Community fürchtet, nun diese Stimme zu verlieren. Zu Recht?

Ich kann versprechen, dass ich, solange ich im Landtag bin, weiterhin laut bin und Initiativen zu LGBT*I anstoße. Meine Rede zur Rehabilitierung der Opfer des § 175 nach meinem Austritt hat das bereits gezeigt. Ansonsten werde ich weiter für eine landesweite Art Koordinierungsstelle nach Münchner Vorbild oder für einen Aktionsplan für Akzeptanz kämpfen – und immer wieder darauf hinweisen, dass die CSU in Bayern so gar nichts für die Gleichstellung von LGBT*I tut.

Wie sieht der Zeitplan der Parteigründung aus?

Claudia Stamm: Die Partei soll vor der Sommerpause gegründet werden, das Programm wird sicher erst nach den Sommerferien stehen, weil es ja noch in zahlreichen regionalen Gremien diskutiert werden soll.

www.zeitzuhandeln-bayern.de

Foto: Hajü Staudt

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