Pasolinis Opfertod

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Foto: Matthias Horn

„Eine göttliche Komödie Dante < > Pasolini“ von Federico Bellini am Residenztheater in München. Unser Gastautor Ludger Tabeling kann die Schmähkritiken in FAZ und SZ nicht nachvollziehen.

Pasolinis Tod

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Das Thema Pasolini, des homosexuellen Dichters und Filmregisseurs, flammt auch 44 Jahre nach seinem Tod immer mal wieder auf. So brachte Alberto Garlini 2004 einen Roman über Pasolini heraus, bei dem der gesuchte Opfertod im französischen Titel bereits gesetzt ist („Un sacrifice italien“, original „Futbol bailado“), während Federico Bellini in seinem Stück „Eine göttliche Komödie Dante < > Pasolini“ diesen nur kurz anreißt, er aber durchaus, wenn auch nicht zwingend, im Konzept der Gesamtinszenierung durch Antonio Latello aufgeht. Die Dechiffrierung dieser Lesart des Todes unternahm 1987 Giuseppe Zigaina in einem 463 seitigen, dreibändigem Werk, zuletzt zusammengefasst unter dem Titel „Hostia. Trilogia della morte di Pier Paolo Pasolini“. Hostia, also Menschenopfer, soll wortspielerisch auch an Ostia erinnern, dem römischen Todesort Pasolinis. Da bis heute nicht geklärt ist, wer Pasolini erschlagen und mit dem eigenen Auto überfahren hat, beginnt das Stück mit Variationen der Ermordung durch verschiedene Täter, als da infrage kommen: der Stricher Pelosi, die politische Rechte, die Mafia, der Staat und endlich Gauner, welche Teile seines letzten Films „Salò oder Die 120 Tage von Sodom“ gestohlen hatten und die Pasolini zurückkaufen wollte.

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Dantes Hölle

Diese Todeshölle in Ostia wird von Antonio Latella mit der Hölle Dantes aus seiner „Commedia“ überschrieben. Wie der Sünder Dante, der für Pasolini früh schon Fixpunkt seines Schaffens war, mit seiner „Göttlichen Komödie“ schließlich das Heilige anstrebte, so wird in Bellinis Stück in einer Art lectura Dantis Pasolinis Leben sakralisiert.

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Auf der Bühne wird nach der ersten Ermordung die Rewind-Taste gedrückt und die Schauspieler gehen rückwärts in das Auto, aus dem sie gekommen sind. Es handelt sich um das Alfa Romeo-Modell Pasolinis mit dem symbolträchtigen, originalen Kennzeichen „K 69996 Roma“. Dann gesellt sich irgendwann ein Rabe (Franz Pätzold) aus Pasolinis Film „Große Vögel, kleine Vögel“ zu den Totschlägern und moderiert zeitweise das Geschehen. Analog zu Dante fungiert er gleichzeitig als der Führer Vergil. Immer öfter werden nun Dante-Terzinen aus allen drei Teilen seiner „Commedia“, also Hölle, Purgatorio und Himmel eingestreut.

Auf der Handlungsebene werden anschließend Leben und Charakter Pasolinis, z. B. die Abfertigung der Stricher mit ein paar Lire, memoriert oder das abgekartete Vorgehen der Täter gegenüber der Polizei durchgespielt. Aber auch die Freude am Leben kommt nicht zu kurz: übermütig entledigt man sich der Kleidung und tanzt im Stroboskop völlig nackt zu Elektropop und einem auf Italienisch mitreißend von Nils Strunk gesungenem Song. Regen fällt dekorativ aufs Auto. Überleitung zur Reinigung im Purgatorio? Hier hat Pasolinis Mutter Susanna Colussi ihren Auftritt. Zu ihr hatte er zeitlebens ein enges Verhältnis, das so weit ging, dass sie sogar in seinen Filmen auftrat. Im Stück von Federico Bellini sind davon ein paar schöne psychoanalytische Momente übriggeblieben.

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In einer nicht weniger intelligenten Interpretation Bellinis bzw. in der Inszenierung Latellas des doppelt paradoxen Dante Verses „O Jungfrau, Mutter, Tochter deines Sohnes“, der sich an die Gottesmutter richtet, wird eine dreifache Fantasie der Mutter Susanna entworfen. Die ersten beiden werden noch von Schauspielern verkörpert, die letzte Fantasie spricht Pasolini – Tim Werths dann ganz nackt – selbst im Zwiegespräch. Und mit der Bitte des Hl. Bernhard, die auf der Bühne rezitiert wird, „Lass ihm die letzte Wolke nun verschwinden/ Von seiner Sterblichkeit“, wollen oder sollen wir alle glauben, dass damit dann an sein Schöpferwort appelliert wird. Pier Paolo Pasolini befindet sich nicht mehr in der irdischen Welt. Spätestens das Fußballtor aus Lichtpfosten, in das er nun ein Tor schießt, ist der Beweis.

Der italienische Regisseur Antonio Latella hat eine hochintelligente und trotzdem berührende, hochästhetisierende Aufführung hingelegt, mit Schauspielern die alles, also Liebe, geben. Und ja: Philip Dechamps‘ Vortragen des Danteschen Vaterunsers lohnt allein schon den Besuch.

*Ludger Tabeling  

8., 26., 30.4. + 9. und 16. Mai, „Eine göttliche Komödie Dante < > Pasolini“, Residenztheater München, Max-Joseph-Platz 1, München, 18:30 Uhr, Infos und Karten

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