Historisch: Trans*-Quote in Argentinien

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Argentinien hat auf dem Arbeitsmarkt eine Quote für trans* Personen eingeführt. Ein Prozent aller Stellen im öffentlichen Dienst sollen Menschen vorbehalten sein, die sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. 

Über das Gesetz, das trans* Personen in Argentinien den Zugang zum formellen Arbeitsmarkt erleichtern soll, wurde bereits im Juni abgestimmt: Mit 55 Ja-, einer Nein-Stimme und sechs Enthaltungen verabschiedete der argentinische Senat am 24. Juni 2021 das Ley Diana Sacayán oder Ley de Cupo Laboral Travesti trans en provincia de Buenos Aires (Transgender-Transvestiten-Arbeitskontingentgesetz in der Provinz Buenos Aires).

Nach der historischen Entscheidung leuchtete der argentinische Präsidentenpalast „Casa Rosada“ in den Farben der Transgender-Pride-Flagge.

Elizabeth Gómez Alcorta, Argentiniens Ministerin für Frauen, Gender und Diversität, zeigte sich froh über die Entscheidung:

„Dieses Gesetz soll eine Kette von Ausgrenzungen lösen, die oft schon in der Kindheit beginnen. Es ist nicht zulässig, dass es in Argentinien Menschen gibt, deren Lebenserwartung 40 Jahre nicht überschreitet, nur weil sie nach ihrer eigenen Identität leben wollen.“

Auch Senatorin Norma Durango erklärte, das Gesetz sei „eine schöne und wunderbare Sensation“, denn „nach so vielen Jahren wird unser Land ein Gesetz haben, das Schwulen, Lesben, Transvestiten, Transsexuellen und anderen Geschlechtsidentitäten zugutekommt“.

„Dieses Gesetz ist eine Entschädigung für so viel Schmerz und so viel Hilflosigkeit, die über Jahrzehnte hinweg erlitten wurden, und für so viele verkürzte Leben.“

Das sieht die neue Quotenregelung konkret vor

Das Gesetz, das auf einem von Präsident Alberto Fernández bereits im vergangenen Jahr unterzeichneten nationalen Aktionsplan gegen geschlechtsspezifische Gewalt basiert, der für eine gerechtere, gleichberechtigte und gewaltfreie Gesellschaft sorgen soll (wir berichteten), legt fest, dass ein Prozent der Belegschaft im öffentlichen Dienst mit Menschen mit nicht binärer Geschlechtsidentität besetzt werden muss. In ganz Argentinien soll es sich um 2.500 Arbeitsplätze handeln. Um die Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten, müssen öffentliche Einrichtungen Arbeitsplätze für diese Bevölkerungsgruppe reservieren. In einem weiteren Punkt heißt es, dass „die unter dieses Gesetz fallenden Einrichtungen Maßnahmen zur Sensibilisierung für die geschlechtsspezifische und sexuelle Vielfalt am Arbeitsplatz fördern müssen“. Mitarbeiter*innen aus Regierung und Verwaltung sollen Schulungen zu Inklusion erhalten.

Die neue Quote gilt auch für trans* Personen ohne abgeschlossene Schulausbildung, „zur Gewährleistung einer wirklichen Chancengleichheit [darf] das Erfordernis eines Bildungsabschlusses kein Hindernis für den Zugang zu und die dauerhafte Beschäftigung im Sinne dieses Gesetzes sein“, heißt es hierzu im Gesetz. Unter der Bedingung, dass sie dann die Sekundarstufe nachholen, können sich trans* Personen für eine öffentliche Stelle bewerben. Die Behörden sind per Gesetz dazu verpflichtet, diese Ausbildung zu fördern und den Zugang zu garantieren. Auch sollen Vorstrafen der Bewerber*innen, die für den Zugang zur Beschäftigung irrelevant sind, kein Hindernis für die Aufnahme und den Verbleib im Erwerbsleben darstellen dürfen. Unternehmen im privaten Sektor, die Transpersonen beschäftigen, sollen finanzielle Anreize wie Steuervergünstigungen erhalten und bei der Vergabe von öffentlichen Verträgen bevorzugt werden.

Das sind die Beweggründe der Initiator*innen 

Mit der Quote soll ein strukturelles Problem angegangen werden, das mit der Diskriminierung und teils prekären Lebenslage von trans* Personen zusammenhängt. In Argentinien werden trans* Personen im Bildungssystem benachteiligt und vom formellen Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Eine Folge davon: Rund 90 Prozent der trans* Frauen in Argentinien leben von der Sexarbeit und sind überdurchschnittlich häufig von Gewalt durch Männer und Polizei betroffen. Am Ende dieser Kette der strukturellen Gewalt steht oft die geschlechtsspezifische Tötung von (Trans*)-Frauen. Die Lebenserwartung von trans* Personen in Argentinien liegt zwischen 35 und 41 Jahren.

Erst im März dieses Jahres war ein 22-jähriger trans* Mann in einem Vorort von Buenos Aires spurlos verschwunden. Wie die Zeitung àmbito berichtete, befand sich Tehuel de la Torre am 11. März auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch für einen Kellnerjob, bevor er spurlos verschwand. Heute, fünf Monate später gibt es immer noch keine Hinweise über seinen Verbleib.

Insgesamt gab es im vergangenen Jahr laut einem Bericht des Observatoriums für Femizide in Argentinien 279 Femizide, 8 Transfemizide und 20 mit Femiziden in Verbindung gebrachte Morde an erwachsenen Männern und Kindern. 

In Erinnerung an all diese Morde wurde das Gesetz nach Diana Sacayán (1975–2015) benannt. Sacayán war 2015 in ihrer Wohnung in Buenos Aires äußerst brutal ermordet worden. Das Urteil gegen Sacayáns Mörder 2018 galt als historisch: Erstmals war in Argentinien ein Angeklagter wegen der Ermordung einer trans* Frau aus Hass zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft verwies auf den Straftatbestand des „travesticidio“ (Transvestizid), den es so im Gesetz noch gar nicht gab, und erkannte die Tat als geschlechtsspezifisch an.

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