DAH KRITIK AN „KOMPASSNADEL“ – INTERVIEW MIT SCHWULEM NETZWERK

Das schwule Netzwerk NRW verleiht in diesem Jahr seine „Kompassnadel" an die Redaktion des Magazins „Spiegel". In der Begründung heißt es, dass der Spiegel früh in seiner Geschichte mit einer "menschenbejahenden" Berichterstattung zur Homosexualität begann. Und anderem mit Titelgeschichten, als dieses Thema noch tabuisiert war. Auch heute widmet sich das Medium den Belangen von Schwulen in Ländern, wo diese verfolgt und unterdrückt werden.

Die Deutsche Aidshilfe hat die Vergabe kritisiert, weil der Spiegel angeblich in der Anfangsphase von Aids dazu beigetragen habe, Positive zu stigmatisieren. Dabei wird wohl Bezug genommen auf Artikel des damaligen Redakteurs und Arztes Hans Halter, der als erster Journalist 1982 über Aids berichtete und auch ein Buch unter dem Titel „Todesseuche Aids" verfasst hat. Die DAH scheint in diesem Zusammenhang davon auszugehen, dass Journalismus Homosexualität vor allem unter dem Gesichtspunkt Aids zu betrachten hat. Dass 1982 praktisch niemand eine Ahnung über die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten hatte und der Spiegel die Ängste der Menschen aufgriff, und möglicherweise auch verstärkte, macht sie der Redaktion auch ein viertel Jahrhundert später noch zum Vorwurf. Selbst Rosa von Praunheim hatte sich schon 1984 in einem Beitrag für den „Spiegel“ dafür ausgesprochen, die „Krankheit nicht zu beschönigen und sich an jeden rettenden Strohhalm zum Schutze unserer Promiskuität zu klammern“. Anders sieht es Arndt Klocke, MdL, der die Entscheidung als nicht schädlich aber unverständlich bezeichnet. Er sei, so in einem Gespräch mit unserem Magazin, zwar Leser des „Spiegels“, habe diesen die letzten 25 Jahre aber nicht als Leitmedium der Emanzipation wahrgenommen.

Wir sprachen mit Markus Johannes, dem Landesgeschäftsführer des Schwulen Netzwerkes, über die Hintergründe der Entscheidung.

FÜR DIE VERLEIHUNG DER KOMPASSNADEL WERDET IHR DURCH DIE DEUTSCHE AIDSHILFE KRITISIERT. VERSTEHST DU DIESE KRITIK?

Ich habe selbst viele Jahre in und für Aidshilfen gearbeitet und bin Mitglied im Facharbeitskreis „Schwule Prävention“ der DAH. Die Argumente der Kritiker sowie ihre Motivationen und Erfahrungen sind mir also nicht fremd. Mein Vorstand hat die kritisierten Aspekte der SPIEGEL-Berichterstattung vor seiner Entscheidung über die Preisträger bereits sehr detailliert diskutiert, ist aber zu einem anderen Ergebnis gekommen als die DAH. Der Umgang mit dem Thema Homosexualität in den letzten Jahren zeigt mehr als deutlich, dass die SPIEGEL-Redaktionen einen Lernprozess durchlaufen haben, der einen menschenbejahenden und differenzierten Blick auf schwule Themen mit sich bringt. Als aktive Minderheit sind wir Teil des SPIEGEL-Tagesgeschehens geworden – ohne falsches Pathos, ohne Sensationshascherei.

WELCHE AUSWIRKUNGEN HAT DIESER

DISSENS AUF DIE MÖGLICHE ZUSAMMEN-

ARBEIT IN DER ZUKUNFT?

Wir haben deutlich gemacht, warum der Vorstand des Schwulen Netzwerks den SPIEGEL für preiswürdig hält und dass er ebenfalls die Positionen der Kritiker respektiert. Deswegen beteiligen wir uns auch nicht an persönlichen und zum Teil sehr impulsiven Schlagabtauschen in den sozialen Medien. Wir sind aber gerne bereit, mit den Kritikern in einen Dialog auf Augenhöhe zu treten, um zu sehen, wo in Zukunft unsere Gemeinsamkeiten sind.

WIE IST DAS FEEDBACK ZU DIESER KRITIK

VON ANDEREN AIDSHILFEN?

Das Schwule Netzwerk NRW ist Mitglied in der Aidshilfe NRW, arbeitet mit ihr in einer Bürogemeinschaft und hat auch enge personelle und inhaltliche Verflechtungen mit dem Schwesterverband. Auch von der Aidshilfe NRW kam eine öffentliche Reaktion, in der sie ihr Unverständnis über den Preisträger zum Ausdruck bringt – allerdings mit der ausgewogenen Mischung aus Kritik und Respekt über die Entscheidung des Netzwerks. Es ist eine gute Grundlage, auf der wir in einen offenen Diskussions-prozess treten können. Zudem sind einige regionale Aidshilfen in NRW auch Mitglied im Schwulen Netzwerk. Von ihnen bekommen wir eher ein Unverständnis über die schroffe Haltung der Deutschen AIDS-Hilfe zurückgemeldet.

IHR HABT VORSTANDSKOLLEGEN, DIE SELBER IN DER AIDSHILFE AKTIV SIND. HABEN DIESE DIE NOMINIERUNG DES SPIEGELS MITGETRAGEN?

Die Befürworter-Kritiker-Linie macht sich ja nicht an Aidshilfe versus Schwulenbewegung fest. Das ist unter den Vorständen des Netzwerks nicht anders. Die Diskussion war kontrovers. Am Ende steht aber ein Mehrheitsbeschluss, der von allen Vorstandsmitgliedern kollegial mitgetragen wird. Natürlich hätte es sich der Vorstand mit einem gefälligeren Preisträger leichter machen können – in der eigenen Diskussion und im Umgang mit der zu erwartenden Kritik.

Dafür ist eine nach vorne blickende Lobbyarbeit aber nicht da. Es war schon immer auch im Interesse des Netzwerks, mit den Preisträgern der Kompassnadel Themen zu setzen, die berühren, anecken und einen kontroversen Blick auf die Rolle von schwulen Männern in der Gesellschaft befördern – nicht nur nach außen, auch nach innen.

Internet: WWW.SCHWULES-NETZWERK.DE

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