KRITIK AN BUNDESSTIFTUNG MAGNUS HIRSCHFELD

Aus der Pressemitteilung des Bundesministeriums für Justiz vom 31.08.2011 geht hervor, dass das Bundeskabinett nun der Einrichtung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und damit dem vorliegenden Satzungsentwurf zugestimmt hat. Laut PM soll die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld entsprechend des historischen Erbes ihres Namensgebers „einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die Diskriminierung von Lesben, Schwulen und Transgender in Deutschland abzubauen" - also auch von andersgeschlechtlichen Menschen, die Hirschfeld in seinem ‚Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen’ beforscht hat. Das Unrecht an trans* und inter* Personen und deren Verfolgung insbesondere auch unter § 175 (Strafgesetzbuch) StGB, ist historisch und in seinen Interdependenzen zu Homosexualität und anderen Mehrfachdiskriminierungen unbearbeitet. Die Diskriminierungssituation von Trans*/Inter* ist nach wie vor eine aktuell brisante - erst 2011 hat das Bundesverfassungsgericht bspw. das Sterilisationsgebot im Transsexuellengesetz als menschenrechtsverletzend mit sofortiger Wirkung außer Kraft gesetzt. Es gäbe also in der Tat viel zu tun und viel zu forschen.

Allerdings ernüchtert dann der Blick auf Stiftungszwecke und das Stiftungsmandat im aktuellen Satzungsentwurf, in dem plötzlich nur noch die „Homosexuellenverfolgung" aufgearbeitet werden soll. Das steht im Kontrast zur Selbstdarstellung der Stiftung auf ihrer Webseite, die „einer gesellschaftlichen Diskriminierung von Lesben, Schwulen und Transgender in Deutschland" entgegenwirken will. In den aktuellen Stiftungszielen und der Satzung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld fehlen nunmehr Transgender, Transsexuelle und intergeschlechtliche Menschen und damit wesentliches. Dies dürfte auch nicht im Sinne des Namensgebers sein.

TransInterQueer e.V., das Transgender Netzwerk Berlin und der wissenschaftliche Beirat des Transgender Netzwerkes Berlin wenden sich deswegen entschieden gegen die Reduzierung der Problematik und gegen die einseitige Ausrichtung der Stiftung auf Homosexualität. Weibliche wie männliche Homosexualität, „Transvestitismus“ und „Transsexualität“ lassen sich insbesondere in der Kaiserzeit, der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus dem bisherigen Forschungsstand zufolge kaum voneinander getrennt denken. Gerade deshalb bedarf es eines Satzungszweckes der der Aufarbeitung von Gemeinsamkeiten und Spezifika in Diskriminierung und Verfolgung der verschiedenen Gruppen Rechnung trägt. Die historischen Kontexte sind weitaus komplexer, als mit den aktuellen Verständnissen von Homosexualität und/oder Transgender/Transsexualität/trans* bzw. Intersex/inter* zu fassen ist. Trans* und Inter* in der einzigartigen Stiftung nicht zu berücksichtigen, ist ein weiterer historischer Fehler, der hoffentlich noch rückgängig gemacht werden kann.

Es ist mehr als unredlich, einerseits historisch richtigerweise die Stiftungsgründung mit der Diskriminierung auch von Transgendern argumentativ zu begleiten, dies jedoch nicht im Mandat einzulösen. Wir halten es für ebenso bedenklich und nicht akzeptabel, dass in keinem der beiden Stiftungsgremien, dem Fachbeirat oder Kuratorium, Vertreter_innen von Trans*- und/oder Inter*Organisationen vorgesehen waren/sind und diese auch nicht in den Prozess der Stiftungsgründung miteinbezogen wurden.

Aufarbeitung darf nicht auf Ausschlüssen aufbauen!

Wir haben daher mit dem Bundesjustizministerium und Frau Ministerin Leutheuser-Schnarrenberger Kontakt aufgenommen und um Änderung des Stiftungszweckes sowie den inhaltlichen und personellen Trans*- und Inter*Einbezug in die Arbeit und Struktur der Stiftung gebeten.

Aufgrund unserer Intervention wurden nun zwei Sitze für eine_n trans*/inter* Vertreter_innen im Fachbeirat in Aussicht gestellt, die wahrgenommen werden sollten, um ein Mindestmaß an Einfluss ausüben zu können. Das genügt aber nicht, da der Fachbeirat zwar die inhaltliche Arbeit der Stiftung mitbestimmt, einzig entscheidungsfähiges Gremium ist jedoch das Kuratorium und der aus einer Person bestehende Vorstand.

Auch der Verweis der Bundesjustizministerin auf Leben und Werk Magnus Hirschfelds, weswegen die Bundesstiftung selbstverständlich das „Forschungsfeld seiner Theorie der sexuellen Zwischenstufen" umfasse, ist nicht ausreichend. Es stellt sich v.a. die Frage, inwieweit sich solch historische Forschung auch in moderne Antidiskriminierungsforschung und –arbeit – ebenfalls ein ausdrückliches Mandat der Stiftung – zu trans*/inter* übersetzen lässt. Fest steht: Solange der Stiftungszweck sich auf „Homosexualität“ beschränkt und trans*/inter* Vertreter_innen nicht in einem ausgewogenen Verhältnis in den Gremien der Stiftung beratend tätig sein können, müssen sich trans*/inter* Menschen und Antragsstellende zu diesen Forschungsfeldern auf den „guten Willen“ der beteiligten schwul-lesbischen Verbände und Kuratoriumsmitglieder verlassen. Wie schon die Entstehungsgeschichte der Stiftung zeigt, reicht dies nicht – oder warum hat niemand zuvor im Planungsprozess daran gedacht?

Wir kritisieren auch die Marginalisierung lesbischer Perspektiven und die Nicht-Repräsentanz von zu Mehrfachdiskriminierung arbeitenden queeren Organisationen in den Gremien der Stiftung ausdrücklich.

Wir fordern ein Ende der Exklusion, Ignoranz, Fremdrepräsentation und des „Mitgemeint-Seins“. Wir fordern eine angemessene Berücksichtigung aller Gruppen und Forschungsanliegen aus LSBTI-Kontexten in ihren Interdependenzen (lesbisch, schwul, bisexuelle, trans*, inter*) und deswegen den expliziten Einbezug von trans*/inter* Vertreter_innen und Belangen in den Satzungszweck und alle Gremien der Bundesstiftung Magnus („Magnesia“) Hirschfeld.

Quelle: TransInterQueer e.V.

Internet: WWW.TRANSINTERQUEER.ORG

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