UNIVERSITÄT BIELEFELD – HOMOPHOBER AUSFALL

Die Universität Bielefeld vergibt einen „Preis für besonderes studentisches Engagement an der Universität Bielefeld“. In diesem Jahr wurde auch das Frauencafé Anaconda nominiert, ein Vertreter des Kuratoriums vergriff sich dann aber im Ton. Die Gruppe um das Frauencafé könne nicht in die engere Auswahl potentieller Preisträger aufgenommen werden, da Lesben und Transpersonen eine „Randgruppe“ seien. Es sei zudem fraglich, welchen Eindruck dies auf die Presse machen würde.

Das Team des Frauencafés forderte nun anlässlich der Verleihung des Preises in einem offenen Brief eine Stellungnahme. •ck

OFFENER BRIEF DES FRAUENCAFÉ ANACONDA AN DIE WESTFÄLISCH-LIPPISCHE UNIVERSITÄTSGESELLSCHAFT – VEREIN DER FREUNDE UND FÖRDERER E.V

Bielefeld, den 14.12.2011

Sehr geehrte Damen und Herren,

am heutigen 14. Dezember soll der sogenannte „Preis für besonderes studentisches Engagement an der Universität Bielefeld“, ausgerufen von der Universitäts-gesellschaft (WLUG), verliehen werden. Das Frauencafé Anaconda erreichte die Nachricht, dass es während der Sitzung der Auswahljury zu einigen sehr unangenehmen Ereignissen gekommen sein soll, zu deren Inhalt wir die Universitätsgesellschaft hiermit bitten, Stellung zu nehmen.

Das Frauencafé Anaconda der Universität Bielefeld ist ein Raum der 1985 von Frauen erstritten wurde und seither von einem vielfältigen Kollektiv selbstverwaltet wird. Während der Vorlesungs-zeit bieten wir offene Cafézeiten sowie Kulturveranstaltungen an. Wir verstehen unser Angebot als Rückzugsort und Schutzraum inmitten des leider immer noch hegemonial männlich geprägten Wissenschaftsbetriebes. Das Café steht allen Frauen und auch Transpersonen offen. Einzelne Kulturveranstaltungen öffnen wir für alle Geschlechter (also auch für Männer) und bieten so die Möglichkeit, sich kritisch mit Geschlechterrollen, Sexismus und feministischen Themen auseinanderzusetzen.

Wie uns berichtet wurde, hat die Auswahljury des Engagement-Preises auch über eine Nomination des Frauencafés Anaconda beraten. Dass wir überhaupt vorgeschlagen wurden, hat uns sehr gefreut und bestätigt uns in unserer Arbeit. Weit weniger erfreulich waren jedoch Aussagen, die in dieser Runde getätigt wurden, nachdem die Jury von studentischen Vertreterinnen über die Besonderheiten des Cafes aufgeklärt wurde – einem Großteil war die Existenz des seit 26 Jahren bestehenden Frauencafes bis dahin unbekannt.

Der Vertreter des Kuratoriums der WLUG argumentierte, das Anaconda könne nicht in die engere Auswahl der potentiellen Preisträger_innen aufgenommen werden: Zum einen seien lesbische Frauen und Transpersonen eine „Randgruppe“, zum anderen sei fraglich, welchen Eindruck es auf die Presse machen würde, wenn diese Gruppe einen Preis bekäme. Aufgrund dieser homophoben, transphoben und frauenfeindlichen Aussagen verließ eine studentische Vertreterin die Jury-Sitzung.

FRAUENFEINDLICHKEIT, HOMO- UND TRANSPHOBIE

Aussagen wie diese, egal ob öffentlich oder hinter verschlossenen Türen getätigt, können und wollen wir nicht unkommentiert stehen lassen. (Lesbische) Frauen und Transpersonen als Minderheit zu bezeichnen und so abzuwerten, ist zuallererst und unleugbar diskriminierend. Ihnen dann als Konsequenz darauf Öffentlichkeit abzusprechen, ist nicht nur falsch und verletzend, sondern reproduziert bestehende Dominanzverhältnisse einer heterosexuellen, männlichen Norm.

Berichtet wurde uns weiterhin, dass das Kuratoriumsmitglied Engagement für Menschen mit Migrationshintergrund oder Hartz IV-Empfänger_innen sehr wohl als potentiell preiswürdig bezeichnete. Bei der Bewertung von „Minderheiten“ maß es offensichtlich mit zweierlei Maß. Wenn zum einen Mehrheiten, zum anderen ausgewählte, vorzeigbare „Randgruppen“ preiswürdig sind und andere marginalisierte Gruppen eben nicht, so kommt für letztere zur fehlenden Anerkennung innerhalb der Gesellschaft auch noch Stigmatisierung hinzu. Einen Raum, der nicht nur, aber auch lesbischen Frauen und Transpersonen, vor allem aber grundsätzlich Frauen offen steht, klein zu reden, in dem er zum Interesse einer „Randgruppe“ konstruiert wird, zeugt von Ignoranz und ist schlicht frauenfeindlich.

Wenn eine vermeintliche „Randgruppe“ auf Grund ihrer Kategorisierung als solche nicht preiswürdig ist, dann drängt sich zudem die Frage auf, warum Mehrheiten für ihre dominante Position ausgezeichnet werden sollen. Wenn die Zugehörigkeit zu einer vermeintlichen Mehrheit ausschlaggebend dafür ist, ob das Engagement einer Gruppe der Jury preiswürdig erscheint, dann müssen sich die diesjährigen Preisträger_innen selbst fragen, ob sie einen Preis annehmen wollen, der die eigene vermeintliche Dominanz auf dem Rücken der Marginalisierten belohnt.

DIE UNIVERSITÄT IST KEIN DISKRIMINIERUNGSFREIER RAUM

Die Universität Bielefeld ist trotz ihres verhältnismäßig privilegierten Status innerhalb der Gesellschaft auch nach über 40 Jahren kein diskriminierungsfreier Raum. Sexistische, rassistische, frauenfeindliche, homo- und transphobe Beleidigungen und Strukturen, starre Hierarchien und dominante Männerbünde gehören zum universitären Alltag und prägen Biographien. Das macht uns wütend und bestärkt uns zugleich darin, unser Bemühen um das Aufrechterhalten von Schutz-räumen fortzuführen. Jede verletzende Äußerung, egal wann, wo und von wem ausgesprochen, ist eine zu viel. Aussagen wie die gefallene machen deutlich, wie notwendig das Anaconda als Raum ist, in dem Frauen, Lesben und Transpersonen nicht als Minderheit ohne Recht auf Öffentlichkeit stigmatisiert werden - auch 26 Jahre nach seiner Gründung.

KONSEQUENZEN SIND NOTWENDIG

Bestürzt nehmen wir zu Kenntnis, dass auch Mitglieder des Kuratoriums der WLUG durch genannte Äußerungen unser Engagement zugleich konterkarieren und bestärken. Wenn eine männliche Person in seiner Funktion als Vertreter der WLUG auf einer offiziellen Sitzung derartiges von sich gibt, andere anwesende Herren ihm nicht vehement widersprechen und eine Studentin sich schließlich gezwungen sieht die Sitzung zu verlassen, dann sind die Grenzen des respektvollen Umgangs weit überschritten. Warum hat sich keine_r der anderen Anwesenden zu einem ähnlich konsequenten Handeln durchringen können? Nicht nur die Universitätsgesellschaft, auch die Universität selbst muss sich die Frage gefallen lassen, ob sexistische Einstellungen und diskri-minierende Taten Bestandteil einer weiteren „Verbundenheit“ der beiden Institutionen sein können.

Es mag andere als die hier genannten „Gründe“ gegeben haben, warum das Anaconda nicht in die engere Auswahl des Preises gekommen ist. Wir gratulieren den Preisträger_innen und wünschen viel Spaß mit dem Preisgeld. Wir sind weder traurig noch beleidigt, dass nicht wir den Engagementpreis erhalten haben – positives Feedback unserer Besucher_innen aller Geschlechter, volle Veranstaltungen und kontinuierliche Kooperationen mit diversen universitären Gremien und Institutionen sind uns des Lobes und der Bestätigung genug. Dies ändert aber nichts am homophoben und sexistischen Gehalt der getätigten Äußerungen.

Wir fordern die Westfälisch-Lippische Universitätsgesellschaft dazu auf, Stellung zu den Äußerungen ihres Kuratoriumsmitgliedes zu beziehen. Wir erwarten, dass sie sich vom sexistischen, frauenfeindlichen, trans- und homophoben Gehalt dessen distanziert und Konsequenzen aus dem Geschehenen zieht.

Mit freundlichen Grüßen

die Frauen vom Cafe Anaconda

Internet: DIE SEITE DES CAFÉS

Back to topbutton