OFFENER BRIEF AN DIE BILD-CHEFREDAKTION

Sehr geehrte Frau Horn, sehr geehrter Herr Draxler.

Wie konnte das passieren? Dass sie deutlich populistischen Politikern eine Bühne für ihr hetzerisches Gedankengut bieten, sind wir (leider) gewohnt. Dass sie aber in der heutigen gedruckten Ausgabe der BILD einen mutmaßlich volksverhetzenden Text ihres „Chefkolumnisten“ Franz Josef Wagner durchgewinkt haben, wirft Fragen auf.

Wir zitieren:

„Liebe Homo-Ehe,

der Gesetzentwurf des Justizministeriums will, dass Ihr gleichgestellt werdet mit der „Papa-Mama-Baby-Ehe“. Homo-Ehe vs. Mann-&-Frau-Ehe. Ich fühle mich dabei nicht wohl. Homosexuelle kriegen biologisch keine Kinder.

Früher wurden Homosexuelle in Deutschland zu Gefängnis verurteilt.

Was für eine glorreiche Zeit für Euch. Niemand steckt Euch ins Gefängnis, Ihr liebt Eure Partner, Ihr dürft sie lieben. Ihr seid deutsche Ehepartner. Eingetragen im Buch der Standesbeamten.

Wir sind ein besseres Deutschland geworden.“ (Quelle: BILD vom 23.8., Seite 2, Post von Wagner)

Haben sie diesen Text wirklich freigegeben? Ist ihnen bewusst, welch Aussagen sie zu verantworten haben? Wussten sie, dass Lesben und Schwule sehr wohl zeugungsfähig sind und sich in diesem Land „gnädigerweise“ keiner „freiwilligen Zwangssterilisierung“ mehr unterziehen müssen, um der von Herrn Wagner angesprochenen Gefängnisstrafe zu entgehen?

Wussten sie, dass sie unzähligen Regenbogenfamilien ins Gesicht spucken, wenn sie den Kolumnisten sagen lassen, dass alles außer einer „Papa-Mama-Baby-Ehe“ für Unwohlsein verantwortlich ist?

Wussten sie auch, dass Homosexuelle wie ich sich aufs Tiefste verletzt fühlen, wenn sie lesen müssen, dass sie in einem angeblich besseren Deutschland leben, obwohl die größte Tageszeitung dieses Landes mit einem kurzen Text jahrzehntelangen Freiheitskampf Homosexueller ad absurdum führt indem sie die gesellschaftliche Realität von Homophobie, gewaltsamen Übergriffen und staatlicher, wie privater Diskriminierung gegen Lesben und Schwule als „glorreiche Zeit“ bezeichnet?

Ich fordere sie auf, und das auch im Namen vieler anderer Lesben und Schwuler, sich von dieser Kolumne und der Meinung des Herrn Wagner zu distanzieren und sich zu entschuldigen.

Mit immer noch entsetzen Grüßen

Christian Knuth

UPDATE 29. AUGUST 2012

BILD antwortete in einem persönlichen Brief des Chefredakteurs Kai Diekmann. Darin verweist dieser die Sache betreffend auf den „persönlichen Zugang unseres Kolumnisten zu dem Thema" und ein für seine Kolumne eingeräumtes „Höchstmaß an publizistischer Freiheit". Kai Diekmann bedauert es, dass die Worte, die er anders liest, verletzt haben und versichert, dass es "in keiner Weise unsere Absicht ist und war, ... Homosexuelle zu verletzen."

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