Coming-out im chilenischen Profibasketball

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Daniel Arcos, chilenischer Basketballprofi, ist schwul. Der 1,91 Meter große Sportler ist seit Jahren Stürmer im Kader des besten professionellen Basketball-Vereins Chiles, dem Club Deportes Castro. Nun outete sich der 26-Jährige in einem beeindruckend offenherzigen und emotionalen Posting auf Instagram. 

Foto: instagram.com/daniel_arcos9


In dem Brief, den wir ungekürzt wiedergeben, spricht Arcos offen und mutig über seine Ängste, aber auch über das Bedürfnis, endlich frei leben zu können.

Ich habe lange auf diesen Tag gewartet, eine persönliche Herausforderung mit neuen (Regenbogen-)Farben auf meinem Hemd 🏳️‍🌈; Farben, die ich vorher mit Scham betrachtet habe, heute aber mit Stolz tragen möchte. Trotz der Zeit gibt es im Sport immer noch ein Tabu, in meinem Fall Basketball.

Ich erinnere mich, dass ich eines Nachmittags spazieren ging, nachdem ich eine Erfahrung mit einem anderen Mann gemacht hatte. Ich hatte Schuldgefühle, ich fühlte mich schlecht, einsam, als ob ich etwas wirklich Schlechtes getan hätte. Ich hatte Angst, es mit jemandem zu teilen und vielleicht verurteilt zu werden, so wie ich es bereits mit mir selbst tat. Ich fuhr mit meinem „normalen Leben“ fort, mit viel Sport und Studium, in der Hoffnung, dass die Zeit sich darum kümmert, die Sache erledigt und mir die nötige Ruhe verschafft, und dass es eine von diesen Erfahrungen bleibt, die Teil unseres Lebens werden.

Mein Leben ging weiter und ich wuchs weiter und erreichte Ziele. Im Bereich des professionellen Basketballs begann ich nach und nach, mir meinen Platz zu verdienen. Das Leben eines Athleten beinhaltet nicht nur Spiele mit Siegen oder Niederlagen, sondern bringt auch einen Lebensstil mit sich, der alles bietet. Mehrmals fühlte ich mich fehl am Platz und ich hatte das Gefühl, dass ich nicht wirklich sein konnte, wer ich war. 

Ich vermied unangenehme Fragen, ich log und brachte mich zum Schweigen, wenn ich dachte, dass etwas nicht fair war, und ich versuchte, mich anzupassen, ein Teil davon zu sein, einer meiner Teamkollegen zu sein, wenn Homosexualität sich wie so oft in Spott und Beleidigung manifestierte, synonym für „Schwäche und wenig Männlichkeit.“ Dieses Unbehagen war der Grund, warum ich daran dachte, diesen schönen Sport aufzugeben.

Viele Tage und Nächte hatte ich wiederkehrende Gedanken und war müde, also beschloss ich, mich selbst zu lieben und zu schätzen. Es war Zeit, vorwärts zu gehen. Ich begann es meinen engen Freunden und dann meiner Familie zu erzählen, immer mit der Angst, verurteilt zu werden. Meine Schwester, meine Mutter, mein Vater und meine Freunde gaben alle die gleiche Antwort: „Du musst nur glücklich sein, ich bin für dich da, der Rest spielt keine Rolle.“ Das waren Worte, die mir halfen, mir alles zu vergeben, was ich in der Vergangenheit gelebt hatte, und die mir heute den Mut geben, dies zu schreiben.

Ich weiß, dass diese Nachricht Spott, Unbehagen und sogar Hass hervorrufen kann, aber ich habe das Privileg, meine Familie und Freunde in meinem Team zu haben. Ich entscheide mich, diesen schweren Rucksack auszuziehen, den ich jahrelang getragen habe, aber das hat mich gleichzeitig sehr stark gemacht. Jeder hat seine Erfahrungen und erlebt sie auf seine Weise, aber das Wichtigste ist, so zu leben, wie wir wollen, solange wir glücklich sind.

Ich möchte Teil des Wandels sein und eine Gesellschaft aufbauen, in der wir respektvoll miteinander umgehen und glücklich sein können. Ich bin bereit, mich dem zu stellen, was trotz der Unsicherheit darüber, was nach der Veröffentlichung dieses Briefes passieren kann, kommt, aber ich denke, es ist an der Zeit, Fortschritte zu machen und jene Schranken zu beseitigen, die nicht existieren sollten.

Ich bin überzeugt, dass Sport uns alle einbeziehen kann, aber solange solche Themen nicht sichtbar und natürlich sind, wird es schwierig sein, voranzukommen. Respekt ist das Wichtigste und zugleich das Minimum, das wir brauchen, um in einer besseren Gesellschaft ohne Vorurteile zu leben.

Daniel Arcos

Candy-Storm von der Internetgemeinde und den Fans

Die chilenische LGBTIQ*-Organisation Movimiento de Integración y Liberación Homosexual (MOVILH) begrüßte das Coming-out als einen wichtigen Schritt in Richtung Sichtbarkeit sexueller Minderheiten im Sport.

Der Präsident von MOVILH, Gonzalo Velásquez, wies darauf hin, dass „in allen Sportarten die Annahme einer sexuellen Orientierung oder einer unterschiedlichen Geschlechtsidentität angesichts des Machismus und/oder der Frauenfeindlichkeit, die sich manchmal mit Homo-/Transphobie überschneiden, immer ein Problem war“. Daher schätze MOVILH

„diesen schönen Befreiungsprozess, den der Spieler Daniel Arcos beginnt. Er leistet einen wichtigen Beitrag für andere Spieler, die sich möglicherweise in einer Situation der Trauer oder des Schmerzes befinden, weil sie nicht offenbaren können, wer sie sind“.

In den Reaktionen der Fans, die sich durchweg positiv lesen, zeigt sich indessen die Aktualität des gesellschaftlichen Diskurses über die Notwendigkeit von öffentlichen Coming-outs. Während einige Fans infrage stellten, ob es ein „Going Public“ heutzutage überhaupt noch braucht, machten andere sich Gedanken darüber, ob die Gesellschaft wirklich schon so weit ist, Homosexualität im Sport vorurteilsfrei zu begegnen – ein Fan zitierte Toni Kroos, der erst kürzlich in einem Interview mit dem gq magazine jedem Sportler davon abgeraten hatte, sich zu outen. 

Die homophoben Anfeindungen, denen Sportler*innen ausgesetzt sind, wenn sie sich outen oder auch nur solidarisch positionieren, suchen seinesgleichen. Wir erinnern in diesem Zusammenhang an die homophoben Äußerungen Neymars (wir berichteten) oder die hetzerischen Reaktionen auf die schwarz lackierten Fingernägel von Borja Iglesias (wir berichteten).

 Zumindest scheint es im Basketball etwas fortschrittlicher zuzugehen als im Fußball und das stimmt hoffnungsfroh!

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