Kippt Corona die Diskriminierung bei der Blutspende?

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Die USA haben Beschränkungen für schwule und bisexuelle Männer gelockert, um dem drohenden Engpass an Blutspenden entgegen zu wirken. Der Bedarf könnte noch weiter steigen: Wissenschaftler wollen COVID-19-Patienten mit Plasma retten. 

Seit Beginn der Corona-Pandemie ist die Zahl der regelmäßigen Blutspender in betroffenen Ländern rückläufig, hauptsächlich als Folge der Kontaktbeschränkungen oder weil Blutspender*innen selbst krank geworden sind. Auch wenn COVID-19-Erkrankte bisher nicht direkt Spenderblut benötigen, ist der Bedarf an Blutkonserven nach wie vor hoch – etwa für chronisch Kranke oder Unfallopfer, aber auch bei Krebstherapien. Da Spenderblut außerdem nur 42 Tage lang haltbar ist (Plasma bis zu 18 Monate) ist es nicht möglich, größere Reserven aufzubauen.

USA lockern Karenzzeit der Ausschlusskriterien auf drei Monate

Als Reaktion auf den Rückgang von Blutspenden hat die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) die zeitlichen Vorgaben der Ausschlusskriterien der Blutspende für bestimmte definierte Gruppen gelockert. Mit sofortiger Wirkung entschied die FDA am 2. April, dass Männer, die Sex mit Männern hatten (MSM), nur noch drei Monate enthaltsam sein müssen, bevor sie Blut spenden dürfen. Zuvor betrug die Wartefrist nach dem letzten sexuellen Kontakt zwölf Monate, genau wie in Deutschland seit 2017. 

Die Gay and Lesbian Alliance Against Defamation (GLAAD) zeigte sich zwar einerseits erfreut über den Sieg, nannte ihn zugleich aber „unvollkommen“. Seit langem hatte die Organisation eine vollständige Aufhebung der pauschalen Beschränkungen gefordert. Ausschlusskriterien sollten nach Auffassung der Menschenrechtsaktivist*innen auf dem individuellen Verhaltensprofil des Spenders und der Zuverlässigkeit des Systems basieren, anstatt ganze Gruppen als Risiko zu markieren. 

Was macht Deutschland?

Auch in Deutschland geht mit der Corona-Krise ein Mangel an Blutkonserven einher. Rund 15.000 Blutkonserven werden täglich benötigt. Weil aktuell aber weniger Blut gespendet wird, hat das Deutsche Rote Kreuz (DRK) bereits vor Engpässen gewarnt. 

Foto: jens-brandenburg.de

Die FDP-Bundestagsabgeordneten Jens Brandenburg und Katrin Helling-Plahr forderten den Präsidenten der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, in einem Brief vom 6. April erneut dazu auf, die pauschale Beschränkung für MSM abzuschaffen.

„Kein Corona-Patient soll sterben müssen, weil das pauschale Blutspendeverbot zu spät aufgehoben wurde.“

Jens Brandenburg & Katrin Helling-Plahr

Die FDP-Bundestagsfraktion hatte bereits am 15. November 2019 einen Antrag auf Abschaffung der Beschränkungen für homosexuelle und transgeschlechtliche Menschen in den Deutschen Bundestag eingebracht (wir berichteten). Darin wird verlangt, dass nicht die sexuelle Identität oder das Geschlecht eines Menschen entscheidend sein dürfe, sondern „das tatsächliche Risikoverhalten“, also ungeschützter Geschlechtsverkehr mit häufig wechselnden Partnern. Die „lebensfremde Voraussetzung“ von zwölf Monaten Enthaltsamkeit gehe weit über medizinische Notwendigkeiten hinaus und komme faktisch einer Fortführung des vorherigen, grundsätzlichen Verbotes gleich. 

Auch Bündnis90/Grüne, die SPDqueer und Verbände wie der LSVD sind für eine solch grundsätzliche Streichung oder mindestens Anpassung der Kriterien.

*** Mehr zum 1998 bei seiner Verabschiedung international viel beachteten und kopierten Transfusiongesetz am Ende dieses Beitrages. 


COVID-19-Forschung: Blutspendeaufruf aus Hannover

Besondere Brisanz erhält die Forderung nach der Anpassung der Kriterien zur Blutspende durch den medizinischen Kampf um die Eindämmung der COVID-19-Folgen: Unter anderem die Universitätskliniken Hannover und Münster benötigen Blutplasma gesundeter bzw. immuner SARS-CoV-2-Infizierter, um Immuntherapien für Schwerkranke COVID-19-Patienten zu testen. Die Studien belasten zwar mit ihrem Bedarf die aktuelle Versorgung nicht, da sie über eigene freiwillige Spender gedeckt werden. Das könnte sich in schon drei Wochen ändern. 

Professor Dr. Blasczyk, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) erklärt gegenüber der Deutschen Apotheker Zeitung (DAZ), dass die diesbezüglichen Ansätze im Austausch mit Kolleg*innen aus China und nach vergleichbaren Verfahren bei anderen Infektionskrankheiten als klinische Tests durchgeführt werden, die binnen kürzester Zeit Ergebnisse liefern: 

„Das ist früher schon ganz oft gemacht worden – gegen Masern, gegen Mumps, gegen Polio. Das ist später verlassen worden, weil es Impfstoffe gab. ... Voraussetzung für solche Blutspender oder Plasmaspender ist, dass sie sicher die Erkrankung hatten, aber auch dass sie ausgeheilt ist.“

Professor Dr. Haverich von der MHH in der DAZ

Freiwillige*** können sich entweder unter der kostenlosen Telefonnummer (08 00) 5325325 oder per E-Mail unter RKP-Spende@mh-hannover.de melden.


**Die Ausschlusskriterien sind Teil des Transfusionsgesetzes, das ursprünglich 1994 vom Bundestag gefordert und 1998 im Zuge der Neustrukturierung der staatlichen Gesundheitsfürsorge (wie auch das aktuell so eindrucksvoll wirksame Infektionsschutzgesetz) unter Rot-Grün verabschiedet. Es ist in der medialen Rezeption unter dem Eindruck von Skandalen um mehrere hundert über Blutprodukte mit HIV infizierte Patienten oft auf diese Ausschlusskriterien verengt worden. Dabei sind gerade sie von den Architekten des Gesetzes so gestaltet worden, dass zukünftige Entwicklungen in Technik und Forschung durch unabhängige, ausschließlich Fakten verpflichteten Gremien, angepasst werden können. Ein wegweisendes Gesetzeswerk. 

***Das gilt bis auf Weiteres für Heterosexuelle, die sich dauerhaft und ehrlich auf einen Partner konzentrieren und für alle anderen in Sachen HIV je nach pauschal zugeteiltem, individuellen Risikoprofil in vier, sechs oder zwölf Monaten (wir berichteten).  

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