Estland: Proteste nach homophoben Äußerungen des Innenministers

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Rund 300 Menschen gingen in Estlands Hauptstadt Tallinn auf die Straße, um gegen ein geplantes Ehe-Referendum zu demonstrieren.

Der Protest richtete sich gegen den estnischen Innenminister Mart Helme1 von der rechtspopulistischen Partei Eesti Konservatiivne Rahvaerakond (EKRE). Helme hatte vorgeschlagen, während der Kommunalwahlen 2021 ein Ehe-Referendum abzuhalten. Die Idee dahinter? Die Ehe per Verfassung als Vereinigung zwischen Mann und Frau zu definieren. 

Der Protest unter dem Motto „Kõigi õigus abielule“ (Jeder hat das Recht zu heiraten) verlief weitgehend friedlich, trotzdem Mart Helme die gesamte Diskussion um das Ehe-Referendum zuvor nochmals angeheizt hatte. Am 16. Oktober verstrickte sich Helme in einem Interview mit dem russischsprachigen Dienst der Deutschen Welle (DW) in einer Reihe homophober Aussagen. Im Interview, das auch auf YouTube zur Verfügung steht, bezeichnete Helme die Gegner der Referendums als heterophob und Homosexuellen legte er nahe, nach Schweden auszuwandern.

Mart Helmes Worte lösten eine Welle des Protests aus, der sich mehr und mehr zu einem politischen Skandal entwickelt. Staatspräsidentin Kersti Kaljulaid forderte mittlerweile seinen Rücktritt, auch Premierminister Jüri Ratas von der Zentrumspartei verurteilte Helmes Äußerungen scharf. Selbst ein Zusammenbruch der Regierungskoalition, bestehend aus Zentrumspartei, Vaterlandspartei und EKRE, ist nicht mehr ausgeschlossen. 

Helme ist sich keiner Schuld bewusst

Foto: DJ Sturm / wikimedia.org / CC BY-SA 3.0

Helme indes behauptet, seine Worte seien falsch dargestellt worden. Wir veröffentlichen einen Auszug des Interviews zwischen DW-Journalist Konstantin Eggert und Mart Helme. Macht euch selbst ein Bild.

K.E.: Sie schlagen vor, 2021 während der Kommunalwahlen ein Referendum abzuhalten, um eine Definition der Ehe als Vereinigung von Mann und Frau in der estnischen Verfassung einzuführen. Einige Kritiker sagen, dass dies mit den Menschenrechten einfach nicht vereinbar sei und dass es eine Manifestation des Hasses gegen sexuelle Minderheiten ist. [...] Warum ist dieses Thema für Sie und Ihre Partei so wichtig?

M.H.: Das ist wichtig für die ganze Nation, denn ohne Ehe, ohne Frauen und Männer, die Kinder haben, gibt es keine Zukunft. Das ist jedem klar und unsere Antwort ist sehr einfach. Wenn wir das Gesetz über das Zusammenleben anprangern, das im Prinzip den Begriff der Ehe neu definieren will ...

K.E.: Ich muss erklären, dass es sich hierbei um ein Gesetz für gleichgeschlechtliche Paare handelt, das es in Estland bereits gibt.

M.H.: Wir sind dafür, das Gesetz klar und unmissverständlich zu machen: Die Ehe ist (eine Vereinigung. - Hrsg.) zwischen einer Frau und einem Mann, und das war‘s. Wenn ihnen das nicht gefällt, dann lasst uns das Gesetz über das Zusammenleben anprangern. Dazu sind sie nicht bereit, was bedeutet, dass unser Referendum notwendig ist. Wir wollen, dass der Staat überlebt, aber ohne Kinder und ohne Moral kann er nicht überleben.

K.E.: Was, werden Schwule die estnische Nation überfallen und überschwemmen?

M.H.: Lassen Sie sie nach Schweden laufen. Dort werden sie alle höflicher angeschaut.

K.E.: Sehen Sie so grob aus?

M.H.: Ich sehe wirklich unfreundlich aus.

K.E.: Heute nennt man das Homophobie.

M.H.: Das ist keine Homophobie. Ich würde sagen, dass diejenigen, die sagen, unser Referendum wird nicht benötigt, heterophob sind. Ich würde sagen, sie klettern in das Bett von Heterosexuellen. Sie klettern in unseres, nicht wir in ihr Bett. Wenn die ihre Homo-Propaganda machen können, können wir auch andere Propaganda machen.


1) Mart Helme, estnischer Historiker und ehemaliger Botschafter in Moskau, wurde 2005 aus der Estnischen Volksunion ausgeschlossen, weil er sich im Zuge der Entfernung eines Denkmals aus dem Zweiten Weltkrieg nationalistisch äußerte. 2012 gründete Helme die rechtspopulistische Eesti Konservatiivne Rahvaerakond (EKRE), deren Parteivorsitzender er viele Jahre war, bevor Sohn Martin Helme in diesem Jahr den Vorsitz übernahm. Die EKRE mobilisiert traditionelle Werte und punktet vor allem mit Themen wie die Abschaffung von Homosexuellenrechten.

Foto: Ave Maria Mõistlik / wikimedia.org / CC BY-SA 3.0

Martin Helme wiederum gilt als scharfer Kritiker der EU und glühender Rechtspopulist. Aussagen wie „Ich möchte, dass Estland ein weißes Land ist“ oder „Wenn Sie schwarz sind, gehen Sie zurück“, sind typisch für Helmes rassistisch motivierte „Estland zuerst“-Politik. Journalistischen Recherchen zufolge bestehen auch Verbindungen zu neofaschistischen Gruppen wie die „Soldaten Odins“.


Update 24. Oktober 2020

‚Strategischer Bevölkerungsaustausch‘ 🏳️‍🌈

Mitglieder des ausländischen Verbands der schwedischen Partei Moderata samlingspartiet, kurz Moderaterna, reagierten auf Helmes Äußerungen, indem sie Flugblätter mit dem Parteilogo des LGBTIQ*-Flügels der Partei verteilten, auf denen ein Bevölkerungsaustausch vorgeschlagen wird.

Auf Nachfrage von Svenska Yle erklärte der Anders Hedman, der Vorsitzende des ausländischen Verbands der Moderaterna in Tallinn, es müsse auch in der Politik Raum für Ironie geben.

Die Moderaten in Schweden sind eine bürgerlich-konservative Partei, die im Laufe ihres 120-jährigen Bestehens insbesondere in Wirtschafts- und Lebensstilfragen eine äußerst liberale Position eingenommen hat. Im Kampf um den gleichen Wert aller Menschen sieht die Partei einen ihrer Eckpfeiler. „Alle Menschen sollen das Recht haben, ihre eigene sexuelle Orientierung zu leben, Politiker sollten das nicht entscheiden“, meint Hedman. Die Partei setzt sich aktiv für queere Rechte ein und hat sogar einen LGBTIQ*-Flügel namens Öppna Moderater (offene Moderate). „Im westlichen Sinne konservativ zu sein bedeutet, für die Freiheit aller Menschen und den gleichen menschlichen Wert einzutreten“, so der knuffige Politiker mit Fliege.

In der nationalistischen sozialkonservativen Ideologie der Partei EKRE sieht Hedman eine Rückkehr zum Autoritarismus, wie er in Estland während der Sowjetzeit vorherrschend war. Er selbst sei damals schon in den Freiheitskampf der baltischen Länder involviert gewesen, berichtet Hedman und merkt an, auf keinen Fall dahin zurückkehren zu wollen.

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