Peeter Rebane und Tom Prior „Firebird“

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Foto: Salzgeber

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Der aus Estland stammende Regisseur Peeter Rebane studierte in Harvard und Kalifornien, inszenierte bislang Dokumentationen sowie Videos für die Pet Shop Boys oder Moby und produzierte 2002 den Eurovision Song Contest in Tallinn. Der Schauspieler Tom Prior ist Brite, studierte an der renommierten Royal Academy of Dramatic Art und war in Nebenrollen in „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ oder „Kingsman: The Secret Service“ zu sehen. Gemeinsam zeichnen die beiden nun, auch als Drehbuchautoren, für den Film „Firebird“ verantwortlich, der von einer großen Liebe zwischen zwei Soldaten in der sowjetischen Armee in den 1970er Jahren erzählt.

Peeter, „Firebird“ basiert auf dem autobiografischen Roman des russischen Schauspielers Sergey Fetisov. Was interessierte Sie an der Geschichte?

Rebane: Sie hat mich emotional einfach enorm berührt. Eine Bekannte von mir, die das größte Filmfestival in meiner Heimat Estland gegründet hat, bekam das Manuskript in die Hände und legte es mir ans Herz, weil ich auf der Suche nach dem richtigen Stoff für meinen ersten Spielfilm war. Ich brauchte mit meinem sehr gebrochenen Russisch eine Woche zum Lesen, aber war wirklich zutiefst bewegt von dieser Liebes- und Dreiecksgeschichte.

War es wichtig für Sie, dass es sich hier um eine größtenteils wahre Geschichte handelte?

Rebane: Mich hat das vor allem sehr erstaunt. Ich konnte mir fast nicht vorstellen, dass sich eine solche Romanze zwischen zwei Männern wirklich in der sowjetischen Luftwaffe der Siebziger Jahre abgespielt hat. Als jemandem, der damals ein kleiner Junge war und dessen Familie ein Sommerhaus gar nicht weit vom Luftwaffenstützpunkt entfernt hatte, erschien es mir geradezu undenkbar, dass damals so etwas möglich war. Aber dann habe ich angefangen zu recherchieren und nach Männern zu suchen, die Ähnliches erlebt hatten. Ich fand sieben Männer in Estland, die mir im Vertrauen von ihren gleichgeschlechtlichen Erfahrungen in der sowjetischen Armee erzählt haben. Das machte die Geschichte für mich noch kraftvoller.

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Warum entschieden Sie sich dazu, den Film nicht auf Russisch, sondern auf Englisch zu drehen?

Rebane: Wir haben darüber viel diskutiert. Hätten wir auf schließlich auf Authentizität gesetzt, wären vor der Kamera Russisch, Estnisch und einige andere Sprachen der UdSSR gesprochen worden. Aber natürlich war mir auch wichtig, dass der Film von möglichst vielen Menschen gesehen und in viele Länder verkauft wird. Da macht Englisch einfach vieles einfacher. Und wenn ich mir ansehe, dass der Film bereits auf über 50 Festivals nicht zuletzt im englischsprachigen Raum gezeigt wurde, war die Entscheidung wohl auch richtig.

Außerdem hatten Sie so natürlich einen breiteren Pool an Schauspieler*innen, aus dem Sie schöpfen konnten ...

Rebane: Was nicht unwichtig war, wie sich herausstellte. Es gab viele, auch sehr etablierte russische Schauspieler, die mir sagten, dass ihnen persönlich die Geschichte zwar sehr gefalle, sie mit einem solchen Film aber ihre Karriere gefährden würden.

Diese Sorge hatten Sie, Tom, als offen schwuler britischer Schauspieler offenkundig nicht. Stießen Sie über ein ganz normales Casting zu „Firebird“?

Prior: Nein, das ergab sich auf Umwegen. Nach dem Dreh zu „Kingsman: The Secret Service” war ich eine Weile für Meetings in Los Angeles, wo ich eine britische Produzentin traf, die mir von dem Projekt erzählte und fand, die Hauptrolle könnte was für mich sein. Sie stellte mir Peeter dann zu Hause in London, wo er damals auch lebte, auf ihrer Weihnachtsfeier vor. Wir verstanden uns super und ich mochte die Geschichte sehr, und so beschlossen wir eine Art kleinen Teaser des Films zu drehen, der dabei helfen sollte, Geldgeber an Land zu ziehen.

Schließlich wurden Sie dann allerdings nicht nur Hauptdarsteller, sondern auch Ko-Autor. Wie kam es dazu?

Rebane: Eigentlich dachte ich zunächst, meine Drehbuchfassung sei rund um gelungen. Aber natürlich war doch noch Luft nach oben, wie sich zeigte.

Prior: Ich habe einfach bei den Proben immer wieder Vorschläge gemacht, wo man hier und da die Dialoge noch glaubwürdiger machen könnte. Dafür zeigte sich Peeter erfreulich offen, und weil ich auch ein paar Ideen zur Gesamtstruktur der Geschichte hatte und nach unserem kleinen Teaser für den großen Spielfilm sowieso noch ein paar neue Ideen nötig waren, ergab sich daraus eine zweieinhalbjährige, enge Zusammenarbeit am Drehbuch. Wir trafen sogar den echten Sergey, der damals noch lebte, und saßen tagelang mit ihm in Russland zusammen, um über seine Geschichte zu sprechen.

Weil es eben um russische Schauspieler ging, die vor schwulen Rollen zurückschrecken. Haben Sie sich je darüber Gedanken gemacht, auf welche Rollen Sie festgelegt werden könnten, Tom?

Prior: Klar, und das Thema, wer welche Rollen spielen darf und sollte, wird ja gerade in vieler Hinsicht mehr diskutiert denn je. Die Agenten in Hollywood suchen zumindest dieser Tage nicht mehr nur nach weißen heterosexuellen Männern, das kann man wohl so sagen. Inklusion wird großgeschrieben, und das finde ich auch gut. Aber gleichzeitig fand ich persönlich es auch immer schon gut, wenn das Publikum möglichst wenig über mich als Privatperson weiß, denn das macht es mir einfacher, in andere Rollen zu schlüpfen.

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Das klingt, als seien Sie kein Fan der Forderung, queere Rollen sollten vor allem mit queeren Schauspieler*innen besetzt werden.

Prior: Sagen wir es mal so: Ich finde es sehr wichtig, dass geoutete Schauspieler*innen genauso viele Jobchancen haben wie alle anderen auch. Und dass queere Menschen sich selbst auf der Leinwand repräsentiert sehen. Das sollte aber nicht dazu führen, dass Schwule nur noch von Schwulen und Heteros ausschließlich von Heteros gespielt werden dürfen. Da kommen wir dann auch wieder schnell in heikle Gefilde. Zumal es nicht so weit kommen sollte, dass Casting-Agent*innen ihr Gegenüber erst mal nach der sexuellen Identität fragen, bevor eine Rolle besetzt wird. Und niemand will das Gefühl haben, einen Job nur auf der Basis dessen bekommen zu haben, mit wem man ins Bett geht.

Wie sehen Sie als Regisseur die Sache, Peeter?

Rebane: Mir ist es zuletzt öfter passiert, dass Filmfestivals in ihrem Bemühen um Diversität die Sexualität von Regisseur*innen und Schauspieler*innen abfragen. Das finde ich etwas fragwürdig. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde es großartig, dass sich unsere Branche endlich ändert, und vermutlich geht es da nicht ohne ein paar Maßnahmen dieser Art. Aber als offen schwuler Regisseur finde ich es auch befremdlich, dass meine Sexualität jetzt zum Kriterium wird, wenn über meine Arbeit geurteilt wird. Ich will zu Festivals eingeladen werden, weil mein Film gut genug ist, nicht um die Schwulenquote zu erfüllen. Und ich werde auch nicht, wie es neulich bei den British Independent Film Awards gefordert wurde, irgendwo angeben, ob meine Mitarbeiter*innen – von der Kostümbildnerin bis zum Kameramann – queer sind oder nicht. Das steht mir nicht zu – und geht mich selbst nicht mal was an.

Apropos Festivals: „Firebird“ war 2021 zum Internationalen Film Festival in Moskau eingeladen. Wie wurde dort auf den Film reagiert?

Rebane: Zunächst einmal waren wir sehr überrascht, überhaupt dorthin eingeladen zu sein. Wir sahen das als Zeichen, dass sich vielleicht doch was tut in Sachen LGBTIQ*-Akzeptanz. Das erste Screening lief auch gut, viele Szene-Aktivist*innen waren da und die Publikumsreaktionen waren positiv. Doch am nächsten Tag erreichte die Staatsanwaltschaft ein Brief mit der Aufforderung, den Film zu verbieten. Und plötzlich erschienen 93 Artikel über „Firebird“ in der russischen Presse, von denen 92 durch und durch negativ waren. Sie klangen alle, als seien sie von ein und derselben Person in einem Propaganda-Büro geschrieben worden, unter der Überschrift „Ein Este, ein Brite und ein Ukrainer bringen Schande über das Moskau International Film Festival“. Tatsächlich wurde dann der Ticketverkauf gestoppt, unsere Gäste-Einladungen wurden gecancelt und die Presse wieder ausgeladen. Das zweite Screening fand dann vor leerem Saal statt. So laufen die Dinge leider also auch heute noch in Russland.

*Interview: Patrick Heidmann


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