RAINBOW MAP 2024
Zum 16. Mal hat ILGA-Europe die jährliche Rainbow Map veröffentlicht. Das Benchmarking-Tool stuft die 49 europäischen Länder nach legislativen Entwicklungen im Bereich der LGBTIQ*-Menschenrechte ein. Die Ergebnisse der diesjährigen Rainbow Map machen deutlicher denn je, dass nur ein rechtlicher Schutz sicherstellen kann, dass die Grundrechte von Queers garantiert werden.
Die Rainbow Map ordnet alle 49 europäischen Länder auf einer Skala zwischen null und 100 Prozent. Null Prozent bedeutet grobe Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung, 100 Prozent die volle Achtung der Menschenrechte und völlige Gleichheit. Hierfür hat ILGA-Europe die Gesetze und politischen Maßnahmen in den 49 Ländern anhand von 75 Kriterien untersucht, die in sieben thematische Kategorien unterteilt sind: Gleichstellung und Nichtdiskriminierung, Familie, Hassverbrechen und Hassreden, rechtliche Anerkennung des Geschlechts, körperliche Unversehrtheit von Intersexuellen, Raum für die Zivilgesellschaft und Asyl.
Das Benchmarking-Tool von ILGA-Europe umfasst die Rainbow Map und den Index sowie nationale Empfehlungen. Rainbow Map und Index zeichnen ein Bild der aktuellen politischen Landschaft, während die länderspezifischen Empfehlungen versuchen, die Frage „Wie geht es weiter?“ zu beantworten. Diese Empfehlungen sollen die politischen Entscheidungsträger dazu ermutigen, die dringendsten rechtlichen und politischen Prioritäten im Rahmen unserer Regenbogenkarte und des Regenbogenindexes anzugehen. Die Empfehlungen wurden nach einer Online-Konsultation mit einem breiten Spektrum von LGBTI-Organisationen in den verschiedenen Ländern zusammengestellt. Dadurch sind die Empfehlungen auf die Bedürfnisse der Aktivisten vor Ort zugeschnitten.
Starker politischer Wille in mehreren Ländern
Die Rainbow Map zeigt, dass einige Regierungen in dieser Hinsicht einen Schritt weiter gehen. In einem Jahr mit mehr als 30 Wahlen in der gesamten Region, einschließlich der EU-Wahlen im nächsten Monat, zeigt die Karte einen starken politischen Willen, den Schutz der LGBTIQ*-Menschenrechte in mehreren Ländern voranzutreiben.
Griechenland, Deutschland, Island, Estland und Liechtenstein haben im Ranking der Rainbow Map mit die größten Sprünge gemacht. Sowohl Estland als auch Griechenland änderten ihre Gesetze, um gleichgeschlechtlichen Paaren die Eheschließung und die Adoption von Kindern zu ermöglichen. Griechenland schloss auch die Lücken in seinen Antidiskriminierungsgesetzen, um LGBTIQ*-Personen umfassend zu schützen, und Liechtenstein weitete das Adoptionsrecht auf gleichgeschlechtliche Paare aus. Mit diesen Änderungen ist Griechenland in der Rangliste auf Platz 6 vorgerückt.
Die Länder arbeiten auch intensiv an der Einführung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Straftaten, die den Hass gegen LGBTIQ*-Personen als erschwerenden Faktor anerkennen. Deutschland, das dieses Jahr in die Top 10 aufgestiegen ist, hat Hassverbrechen aufgrund der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität und der Geschlechtsmerkmale verboten. Weitere Länder, die Gesetze gegen Hassverbrechen erlassen haben, sind Bulgarien, Island (das in der Rangliste auf Platz 2 aufgestiegen ist) und Slowenien. Verbote von Konversionspraktiken, die ebenfalls Gewalt gegen LGBTIQ*-Personen ausüben, wurden in Belgien, Zypern, Island, Norwegen und Portugal eingeführt.
Andere Länder wie Italien, das in der Rangliste um zwei Plätze zurückgefallen ist, weil es den gesetzlichen Schutz jahrelang hinausgezögert hat, zeigen jedoch, was passieren kann, wenn es keine Gesetze gibt und rechtsextreme Regierungen die Macht übernehmen.
Gegenreaktion in Georgien und anderen EU-Beitrittsländern
Die meisten EU-Beitrittsländer (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Moldawien, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, Ukraine) kommen ihren Verpflichtungen nicht nach, verzögern die Einführung von Gesetzen und setzen damit ihre Bürger immer mehr der Gefahr echter Rückschläge und der Aushöhlung der Grundrechte aus. Die Türkei und Georgien, ebenfalls Beitrittskandidaten, sind dabei, die Menschenrechte und Grundfreiheiten aktiv zu untergraben, unter anderem durch die Verabschiedung neuer Gesetze, die sich insbesondere gegen LGBTI-Personen richten. Georgien, eines der jüngsten Beitrittsländer, ist gegen Pro-EU-Proteste gegen sein vorgeschlagenes Gesetz über „ausländische Agenten“ vorgegangen, das direkt aus dem russischen Anti-LGBTI-Gesetzbuch stammt.
Laut dem Geschäftsführer von ILGA-Europe, Chaber: „Die EU muss nicht nur auf die Zunahme politischer Hassreden gegen LGBTI-Personen achten, sondern auch auf neue Instrumente der Unterdrückung, wie Russlands Kriminalisierung eines ganzen Teils der Bevölkerung des Landes. Die Bemühungen um Spaltung und Ablenkung durch gefestigte autoritäre Regime sickern weiter in andere europäische Länder, und das zu einer Zeit, in der Wahlen Europa in die Hände von Führern treiben könnten, die eine rechtsradikale, antidemokratische Europäische Union gestalten wollen. Europa braucht strengere Gesetze und Maßnahmen zum Schutz von LGBTI-Personen. Ohne diese können wir weder von Sicherheit noch von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sprechen.“
Rainbow Map 2024 – Zusammenfassung
Im neunten Jahr in Folge belegt Malta mit 88 Prozent der Punkte weiterhin den ersten Platz auf der Rainbow Map. Mit 83 Punkten ist Island auf den zweiten Platz vorgerückt und hat sich um drei Plätze verbessert, was auf die neue Gesetzgebung zurückzuführen ist, die Umwandlungspraktiken verbietet und sicherstellt, dass die trans-spezifische Gesundheitsversorgung auf einer Entpathologisierung beruht. Belgien hat ebenfalls sogenannte ‚Konversionspraktiken‘ verboten und liegt nun mit 78 Punkten auf dem dritten Platz der Rangliste.
Die drei Länder am anderen Ende der Rainbow-Map-Skala sind Russland (2 Prozent), Aserbaidschan (2 Prozent) und die Türkei (5 Prozent). Russland hat 7 Punkte verloren und ist um 3 Plätze zurückgefallen, weil die föderale Gesetzgebung die rechtliche Geschlechtsanerkennung und die transspezifische Gesundheitsversorgung verbietet.
Polen liegt mit 18 Prozent der Punkte weiterhin am Ende der EU-Rangliste, gefolgt von Rumänien (19 Prozent) und Bulgarien (23 Prozent).
Deutschland, Island, Estland, Liechtenstein und Griechenland sind die Länder mit den größten Sprüngen in der Punktzahl. Deutschland verbietet Hassverbrechen aufgrund von sexueller Ausrichtung, Geschlechtsidentität und Geschlechtsmerkmalen (siehe auch Abschnitt weiter unten). Sowohl Estland als auch Griechenland änderten ihre Gesetze, um gleichgeschlechtlichen Paaren die Eheschließung und Adoption von Kindern zu ermöglichen, und Griechenland füllte auch die Lücken in seinen Antidiskriminierungsgesetzen, um LGBTIQ*-Personen umfassend zu schützen. Liechtenstein erweiterte das Adoptionsrecht auf gleichgeschlechtliche Paare.
Montenegro büßte die meisten Punkte ein (-13 Prozent) und fiel um 9 Plätze zurück, weil es weder einen neuen Aktionsplan zur Gleichstellung noch eine aktualisierte Asyl- und Hasskriminalitätspolitik einführte. Neben Montenegro haben auch die Regierungen in Spanien, Slowenien, Finnland, Schweden und vielen anderen Ländern es versäumt, ihre Aktionspläne zu erneuern. Frankreich, Malta, Schottland und Wales haben wirksame und umfassende Aktionspläne zur Gleichstellung verabschiedet.
In vielen Ländern kommen Gesetzesvorschläge, die schon seit Jahren auf dem Tisch liegen, nicht voran. Dazu gehören die Gesetzgebung zu Hassverbrechen und der Vorschlag zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in der Ukraine, der trotz der Unterstützung durch mehrere Ministerien und die gesamte Gesellschaft immer noch auf Eis liegt. Dazu gehört auch ein Gesetzentwurf über die rechtliche Anerkennung des Geschlechts in der Tschechischen Republik, mit dem die Sterilisationspflicht endlich abgeschafft werden soll. Nach fünf Jahren Verzögerung hat die britische Regierung ihr Versprechen, Konversionspraktiken zu verbieten, immer noch nicht eingelöst. Und trotz zahlreicher Gerichtsverfahren und Empfehlungen internationaler Institutionen hat Litauen keine Fortschritte bei der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare gemacht.
Weißrussland hat damit begonnen, LGBTIQ*-Inhalte als „Pornografie“ einzustufen, was die Meinungsfreiheit von LGBTIQ*-Personen einschränkt. Bulgarien und Griechenland versäumten es, öffentliche LGBTIQ*-Veranstaltungen zu schützen, und büßten dadurch Punkte in Bezug auf den zivilgesellschaftlichen Raum ein.
Sowohl in Dänemark als auch in Polen wurden die Verwaltungsverfahren für den Zugang von Minderjährigen zur rechtlichen Geschlechtsanerkennung (LGR) verbessert. Deutschland und Schweden haben zwar neue Vorschriften für die rechtliche Geschlechtsanerkennung erlassen, die Gesetze sind jedoch noch nicht in Kraft getreten und daher in der Karte nicht enthalten.
In vielen Ländern sind die Gesetzgebungsverfahren für neue LGR-Verfahren (legal gender recognition) in diesem Jahr ins Stocken geraten. Ebenso hat kein Land unnötige medizinische Eingriffe an intersexuellen Kindern verboten.
In den meisten europäischen Ländern werden die sexuelle Ausrichtung, die Geschlechtsidentität oder die Geschlechtsmerkmale immer noch nicht als Qualifikationskriterien für die Gewährung von Asyl anerkannt. In einem allgemeinen Klima, in dem die Regierungen das internationale Asylrecht zunehmend untergraben, ist diese anhaltende Unterlassung sehr besorgniserregend. Der einzige Fortschritt in diesem Jahr war die Aufnahme von SOGI in das tschechische Asylrecht und die Einführung eines kohärenten Ausbildungsrahmens für Asylsachbearbeiter*innen in Irland.
Deutschland steigt in die Top 10 in Europa auf
Deutschland ist im diesjährigen Ranking deutlich aufgestiegen und gehört nun zu den Top 10 in Europa. Innerhalb der EU nimmt Deutschland jetzt Platz 8 ein (siehe Länderranking Rainbow-Modul).
Die verbesserte Stellung Deutschlands ist auf erfolgreich umgesetzte Maßnahmen aus dem Aktionsplan „Queer leben“ zurückzuführen. So wurde die Diskriminierung von homo- und bisexuellen Männern sowie von transgeschlechtlichen Personen bei der Blutspende gesetzlich verboten. Außerdem wurden „geschlechtsspezifische“ sowie „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Motive in den Gesetzestext zu Hasskriminalität aufgenommen. Da das vor kurzem im Bundestag verabschiedete Selbstbestimmungsgesetz erst zum 1. November in Kraft tritt, wird es erst für das nächste Rainbow-Ranking 2025 gewertet.
Sven Lehmann, Beauftragter der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt (Queer-Beauftragter), freut sich, dass Deutschland nach Jahren des Stillstands endlich wieder Fortschritte verbuchen kann – für ihn ein Zeichen, dass die Ampel-Koalition ihre queerpolitischen Versprechen hält.
„Unser Ziel ist die Top 5. Das können wir schaffen, wenn wir die noch offenen im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben umsetzen. Regenbogenfamilien müssen durch die geplante Anpassung im Abstammungsrecht endlich rechtlich anerkannt und gleichgestellt werden. Entsprechende Eckpunkte hat der federführende Justizminister Marco Buschmann Anfang des Jahres vorgestellt, jetzt muss zügig der Gesetzentwurf folgen. Die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sowie eine Ergänzung von Artikel 3 in unserem Grundgesetz würde den Diskriminierungsschutz für LSBTIQ* weiter stärken.“
Empfehlungen für Deutschland
Um die rechtliche und politische Situation von LGBTIQ*-Personen in Deutschland zu verbessern, empfiehlt ILGA-Europe die
- Anerkennung der Trans-Elternschaft, Anerkennung des rechtlichen Geschlechts der Eltern und Angleichung an verfügbare Geschlechteroptionen;
- Einführung von Gesetzen zu Hassreden, die ausdrücklich alle voreingenommenen Äußerungen aufgrund der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität sowie des Geschlechtsausdrucks und der Geschlechtsmerkmale abdecken (SOGIESC);
- Einführung von Asylgesetzen, die ausdrücklich alle SOGIESC-Gründe (sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck, Geschlechtsmerkmale) erwähnen;
- Ermöglichung der automatischen Anerkennung als Co-Elternteil für alle Paare, sodass Kinder, die von Paaren geboren werden, unabhängig von der sexuellen Orientierung und/oder Geschlechtsidentität der Partner*innen keine Hindernisse haben, um von Geburt an von ihren Eltern rechtlich anerkannt zu werden.