Iran: Erstmals queere Aktivist*innen zum Tode verurteilt

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Ein Revolutionsgericht von Urmia, etwa 600 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Teheran, hat Zahra Sedighi Hamedani (31) und Elham Chobdar (24) zum Tode verurteilt. Die beiden Aktivist*innen waren wegen „Verbreitung von Korruption auf der Erde“ angeklagt und verurteilt worden – ein Begriff der Scharia, der sich auf anti-islamisches Verhalten bezieht.

Der offiziellen Nachrichtenagentur IRNA zufolge sollen die beiden Menschenhandel betrieben und Frauen und Mädchen „missbraucht“ haben, indem sie ihnen bessere Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten im Ausland versprachen. Eine Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung wird von den Nachrichtenagenturen bestritten.

Iranische Menschenrechtsgruppen erklären indes, beide seien beschuldigt worden, „Homosexualität zu verbreiten“, „das Christentum zu fördern“ und mit Medien zu kommunizieren, die der Islamischen Republik feindlich gegenüberstehen.

Foto: AllOut

LGBTIQ* verteidigt – wegen Aktivismus angeklagt? 

Die gender-nonkonforme Zahra Sadiqi Hamedani, besser bekannt als Sareh, sprach tatsächlich gelegentlich mit ausländischen Fernsehteams über die Situation der LGBTIQ*-Community im Iran und im irakischen Kurdistan.

„Warum spreche ich in der Öffentlichkeit? Weil ich nicht möchte, dass andere LGBT-Freunde das durchmachen müssen, was ich durchgemacht habe. Ich möchte nicht, dass andere Frauen wie ich eine Zwangsehe durchmachen müssen“,

sagte sie im Mai 2021 im Gespräch mit der BBC. Sareh hatte auch einen Instagram-Account, der bei den aserbaidschanischen und kurdischen Minderheiten im Iran beliebt war. Damit versuche sie „das Bewusstsein zu schärfen, damit andere, einschließlich meiner Kinder, wissen, was Freiheit bedeutet. Ich möchte anderen die Möglichkeit geben, die Wahl zu haben [sich zu outen].“

Im Oktober wurde Sareh von iranischen Sicherheitskräften festgenommen, als sie versuchte, in die Türkei zu fliehen, nachdem sie aus dem irakischen Kurdistan, wo sie stationiert war, in den Iran zurückgekehrt war. Warum sie nicht direkt aus dem irakischen Kurdistan in die Türkei eingereist ist und stattdessen den Weg über den Iran wählte, bleibt unklar. Eine Freundin von Sareh vermutet, dass sie ihre Kinder nochmals sehen wollte. „Sie hat die ganze Zeit über ihre Kinder geredet. Sie hat ihre Familie vermisst, besonders ihren Bruder. Vielleicht wollte sie sie treffen und dann die Kinder mitnehmen?“, mutmaßte die Freundin gegenüber der BBC.

Foto: Screenshot Twitter.com/6raniran

2021 hatte Sareh der BBC mitgeteilt, ihre Kinder seien ihre „größte Sorge“.

„Ich habe in meinem Leben viele schreckliche, qualvolle Erfahrungen gemacht. Ich möchte nicht, dass sie meinem Sohn oder meiner Tochter passieren. Ich würde alles tun, um meine Kinder zu beschützen, selbst wenn ich mein Leben opfern müsste.“

Wie das Iranian Lesbian and Transgender Network (6Rang), eine iranische LGBTIQ*-Menschenrechtsgruppe mit Sitz in Deutschland, berichtet, unternahm Sareh in Gefangenschaft einen Suizidversuch.

Über Elham Chobdar ist wenig bekannt. Laut 6Rang hatte sich Chobdar auf ihrem Instagram Kanal in der Vergangenheit zur Lage von LGBTQ Menschen im Iran geäußert und für queere Rechte ausgesprochen. 

Sie soll eine Boutique für Damenbekleidung in Urmia im Nordwesten des Iran besessen haben und mit Sareh befreundet gewesen sein. Die beiden Frauen hatten eine Geschäftsbeziehung, da beide Schönheitsprodukte verkauften. Einigen Berichten zufolge reiste Elham Chobdar regelmäßig zwischen dem Iran und Kurdistan hin und her.

Foto: twitter.com/6raniran

Hintergrund: Raisis „Hinrichtungsrausch“

Foto: Atta Kenare / AFP

In den letzten Jahren hat sich im Iran eine lebendige LGBTIQ*-Untergrundbewegung herausgebildet, die jedoch die Feindseligkeit der Behörden auf sich gezogen zu haben scheint. Neben den Flaggen der USA und Israels wurden bei regimetreuen Kundgebungen erstmals auch Regenbogenfahnen angezündet. Berichte über Menschen, die wegen der Nutzung von LGBTIQ*-Dating-Apps festgenommen wurden, häufen sich ebenfalls. Eine Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung wird von den staatlich kontrollierten Nachrichtenagenturen allerdings meist bestritten.

Die Zahl der Hinrichtungen unter dem islamischen Regime ist seit Jahren alarmierend hoch (männer* berichtete). Seit dem Amtsantritt von Präsident Ebrahim Raisi am 3. August 2021 verschlechterte sich die Menschenrechtsbilanz noch einmal drastisch. Statistiken der HRANA zufolge sind im vergangenen Jahr mindestens 299 Bürger*innen hingerichtet und weitere 85 zum Tode verurteilt worden. Unter den Hingerichteten waren vier Minderjährige. In diesem Jahr wurden laut Woman NCRI bereits 400 Todesurteile vollstreckt, 22 der Hingerichteten waren Frauen.

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