Viktor Orbán: EU-Verfahren „legalisiertes Rowdytum“

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Das verbale Gefecht zwischen der EU und Ungarn verschärft sich zunehmend. Nachdem Brüssel am Donnerstag verkündete, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn und Polen einzuleiten (wir berichteten), wütete Orbán am Freitag im staatlichen Rundfunk. Mit diesem Schritt betreibe die EU-Kommission „legalisiertes Rowdytum“ und handele „beschämend“. Auch Deutschland griff er direkt an.

Das queerfeindliche neue Gesetz, das am 8. Juli 2021  trotz aller nationaler und internationaler Proteste in Kraft trat (wir berichteten), verbietet unter anderem Schulen, Kinder über Homo- und Transsexualität aufzuklären (während heteronormative Sexualthemen weiterhin auf dem Unterrichtsplan stehen). Orbán bezeichnete das Gesetz wiederholt als eine nötige Maßnahme in Sachen Kinderschutz. Während Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das neue Anti-LGBT-Gesetz in Ungarn eine „Schande“ nannte, schimpfte Viktor Orbán nun seinerseits das Vertragsverletzungsverfahren sowie die Haltung der Kommission als „beschämend“.

Nachdem die Mehrheit der Abgeordneten letzte Woche eine Resolution verabschiedete, die EU-Organe zum Handeln aufforderte, verkündete von der Leyen am Donnerstag, die EU-Kommission leite ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die beiden osteuropäischen Ländern ein. Europa werde niemals zulassen, dass Teile der Gesellschaft stigmatisiert würden, so die 62-Jährige. Ein entsprechendes Schreiben wurde an die Regierungen von Ungarn und Polen gesendet, die nun zwei Monate Zeit haben, darauf zu reagieren. Andernfalls kann die Kommission die beiden Verfahren bis vor den Europäischen Gerichtshof bringen.


Orbán greift EU und Deutschland an

Bei seiner Rede im staatlichen Radio am Freitag hetzte das ungarische Staatsoberhaupt offen gegen die EU und auch Deutschland. Orbán stellte sich sowie das Land selbst als rechtschaffenes Opfer westeuropäischer Kräfte dar, dem lediglich am Recht der Kinder gelegen sei. Er wütete, die aktuelle Debatte biete dem ungarischen Volk einen Einblick in das „europäische Leben“ und in das, was in Deutschland vor sich gehe. Der Ministerpräsident versprach, er werde es nicht zulassen, dass LGBT-Aktivisten in den Schulen „auf und ab marschieren“ und „sexuelle Propaganda“ betreiben.

„Dieses [EU-Vertragsverletzungsverfahren] ist legalisierter Hooliganismus... Die Haltung der Europäischen Kommission ist beschämend.“

Foto: Olivier Matthys / Pool Anadolu Agency / AFP

Orbán geriet bereits oft mit Brüssel aneinander und stellt sich dafür zuhause als Verfechter von nationalen, ungarischen Werten dar. So erklärte er unter anderem, die EU-Behörden würden darauf abzielen, den Ungarn zu befehlen, wie sie ihre Kinder erziehen sollten. In seinem Interview am Freitag versprach er dem Volk, letztlich als Sieger vom Platz zu gehen – denn die EU-Gelder, die derzeit von Brüssel zurückgehalten werden, würden sie am Ende auf jeden Fall bekommen, so Orbán.

Mit seinem offenen Angriff gegen die EU bezweckt Orbán vor allem eines: Nächstes Jahr sind Wahlen in Ungarn. Politexperten zufolge schnitt Orbáns nationalistische Partei im eigenen Land immer dann besonders gut ab, wenn er international unter Beschuss stand. Das Thema „Kinderschutz“, sprich die Anti-LGBT-Kampagne, scheint ein großer Stützpfeiler des Wahlkampfes zu werden. Zuletzt sollen im ganzen Land Plakatwände angebracht worden sein, auf denen man Sprüche lesen könne wie:

"Haben Sie Angst, dass Ihre Kinder mit sexueller Propaganda konfrontiert werden?"

oder

„Haben Sie sich über Brüssel geärgert?“

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