Ungarn: EU-Parlament mehrheitlich für Konsequenzen

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Originalbericht vom 8. Juli

Man könnte der UEFA für ihr Eigentor bei der Fußball-EM fast danken – spätestens dadurch dürfte auch der letzte auf Ungarns homophobes neues Gesetz aufmerksam geworden sein (wir berichteten). Die EU versprach Konsequenzen – wird sie heute liefern? Eine fraktionsübergreifende Resolution gegen Ungarns Anti-LGBTIQ*-Gesetz könnte heute verabschiedet werden. In dieser finden die Abgeordneten überraschend klare Worte – und fordern von der Kommission konkrete Handlungen, mit deren Hilfe der Fluss von EU-Geldern Richtung Budapest gestoppt würde. 

Der Aufschrei war groß – besonders in Europa. Ist ein Gesetz, das unter anderem Schulen die Aufklärung von Jugendlichen über queere Themen verbietet auch nur im Ansatz mit den Werten der EU vereinbar (wir berichteten)? Weltweit forderten Politiker*innen Konsequenzen. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte das Gesetz eine „Schande“, sprach sich deutlich gegen das Vorgehen der ungarischen Regierung aus und versprach eine Prüfung des Gesetzes (wir berichteten). Leere Worte – oder folgen endlich Taten?


Abgeordnete fordern Kommission zum Handeln auf

Die Resolution – wenn verabschiedet, dann erst einmal symbolischer Natur – fordert jedoch überraschend klar und entschieden konkrete Konsequenzen von EU-Rat und EU-Kommission. Zwar wird in dem Schreiben die ungarische Regierung abermals massiv kritisiert – besonders aber richten sich die Parlamentarier mit der Schrift an die EU-Kommission: Sie müsse endlich rechtliche Schritte gegen die ungarische Regierung einleiten. Konkret wird gefordert, ein Vertragsverletzungsverfahren in die Wege zu leiten sowie den neuen so genannten Rechtsstaatmechanismus auszulösen – daraufhin würden Ungarn große Summen an EU-Geldern entgehen. Ein von mehreren Abgeordneten in Auftrag gegebenes Gutachten dreier Rechtsprofessoren bestätigte am Mittwoch, dass dies durchaus im Rahmen der Möglichkeiten liege. Darin erklärten die Professoren, sie würden klare Verstöße gegen rechtsstaatliche Standards in Ungarn erkennen.

Foto: Beata Zawrzel / NurPhoto / AFP

Außerdem weisen die Unterzeichner die Kommission darauf hin, dass das Gesetz in direktem Widerspruch zu ihrer eigenen LGBTIQ* Gleichstellungsstrategie stünde und forderten sie auf, dafür zu sorgen, dass diese in allen EU-Mitgliedsstaaten gleichermaßen umgesetzt wird. Alle Mitgliedsstaaten müssten den Zugang zu umfassender Sexualitäts- und Beziehungserziehung sicherstellen, um auf Stereotypen und Vorurteilen basierenden Fehlinformationen vorzubeugen. Auch werden von den Abgeordneten die EU-Organe und die Mitgliedstaaten erneut in die Pflicht genommen, sich gegen LGBTIQ-feindliche Hassreden – insbesondere von Regierunen und Politiker*innen – auszusprechen.


„Keine EU-Werte bedeutet kein EU-Geld“

Foto: Nikko2foo / CC BY-SA 4.0 / wikimedia.org

Pierre Karleskind (41), französischer Europaabgeordneter und Mitunterzeichner der Resolution, untermauerte gestern in einer Rede nochmals seine Unterstützung für die klaren Worte der Abgeordneten. Er begrüßte besonders, dass das Auslösen des Rechtsstaatmechanismus dazu führen könnte, dass die Bewilligung für EU-Fonds Richtung Ungarn für die Jahre 2021-2027 ausgesetzt wird – solange bis die Regierung das Gesetz zurückzieht. 

„Selten in seiner Geschichte hat das Europäische Parlament einen so starken Text gegen einen seiner eigenen Mitgliedsstaaten angenommen. Orbán hat mit seinem Gesetz eine rote Linie überschritten, die Union muss jetzt die großen Geschütze auffahren!“

Er hofft:

„Wenn Orbán die Sprache der Werte nicht versteht, versteht er wahrscheinlich die Sprache des Geldbeutels viel besser.“


Update 9. Juli 2021

459 Abgeordnete fordern Handlungen der EU

Die Abstimmung war erfolgreich, die Resolution wurde mehrheitlich angenommen. Für die Vorlage stimmten 459 Parlamentarier, 147 dagegen, 58 enthielten sich. Gegen die Resolution votierte vor allem die Fraktion Identität und Demokratie. Die mit 71 Mitgliedern fünftgrößte Fraktion ist ein Zusammenschluss rechtspopulistischer bis rechtsextremer Parteien, zu der auch die AfD gehört.

Von den deutschen AfD-Abgeordneten war keiner für die in dem Schreiben geforderten Konsequenzen. Christiane Anderson, Gunnar Beck, Markus Buchheit, Nicolaus Fest, Maximilian Krah, Joachim Kuhs, Sylvia Limmer, Jörg Meuthen, Guido Reil und Bernhard Zimniok stimmten alle mit 'Nein'. Nur der Däne Peter Kofod, der für die Dänische Volkspartei der Fraktion angehört, sprach sich für die Resolution aus. Auch die Abgeordneten der polnischen Regierungspartei PiS, die der Fraktion Europäische Konservative und Reformer angehört, stimmten bis auf einen Abwesenden allesamt gegen den Entwurf.

Doch die überwältigende Mehrheit setzte sich für Gleichberechtigung ein. Der Spielball liegt damit nun bei EU-Kommission und EU-Rat, die prüfen müssen, inwieweit sie finanzielle Mittel Richtung Ungarn stoppen und weitere Maßnahmen einleiten können oder wollen. Die LGBTI Intergroup des EU-Parlaments feierte das Ergebnis der Abstimmung auf Twitter. Das Parlament habe jetzt eine starke Liste von Forderungen an und Maßnahmen für die EU-Kommission, um die Rechte von LGBTIQ-Personen zu schützen, so die Abgeordneten, die sich durch ihren unermüdlichen Einsatz für ein LGBTIQ*-diskriminierungsfreies Europa auszeichnen. Unterdessen trat das neue ungarische Gesetz gestern, ungeachtet aller Proteste, in Kraft (wir berichteten). 

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