Mit Tricksen geht’s: (K)ein Regenbogen für die Türkei

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Im Angesicht von Diskriminierung und Homophobie muss man sich zu helfen wissen: Sechs Organisationen haben der queerfeindlichen Gesetzgebung in der Türkei kurzerhand ein Schnippchen geschlagen und aus einzelnen Plakatwänden einen Regenbogen kreiert. Nötig war das, weil Regenbögen dort inzwischen als „jugendgefährdend“ gelten. Die Regierung um Erdoğan fürchtet, das Zeichen der LGBTIQ*-Community für Akzeptanz und Diskriminierung könnte Kinder homosexuell machen. Zusätzliche Dynamik gewann die Diskussion durch die Studierendenproteste in Istanbul im Februar – seitdem ist praktisch alles verboten, das bunt ist. 

Sie trotzten der Homophobie im Land: Die sechs NGOs Amnesty International, Greenpeace, Purple Roof Women's Shelter Foundation, Association for Monitoring Equal Rights, Support to Life Association und Change.org taten sich zusammen, um gemeinsam ein Statement abzugeben. Durch sechs bunte Plakatwände strahlt in den Istanbuler Stadtteilen Bebek, Izmir und Çeşme nun ein Regenbogen.

Auf jeder der Wände steht zudem eine eigene Botschaft der jeweiligen Gruppierung. Bei Amnesty International ist es zum Beispiel „Alle Menschen sind frei und mit gleichen Rechten geboren“, während Greenpeace fordert „Alle zusammen für die Erde“. Unter dem Hashtag #rainbowhack teilten die Gruppen Bilder der gemeinsamen Aktion in sozialen Netzwerken und erklärten:

„Wir fühlen uns geehrt, mit unseren verschiedenen Farben zusammen zu sein. Wir sind bunt wie ein Regenbogen, gleich, frei und stärker, wenn wir uns gegenseitig unterstützen.“


Türkei: Kein Regenbogen für niemanden

Die türkische Regierung mag keine Regenbögen – und das natürlich deshalb, weil sie als international anerkanntes Zeichen der LGBTIQ*-Community gelten. Bereits im Mai 2020 machte ein absurdes Malverbot internationale Schlagzeilen: Türkische Schulbehörden ermahnten Lehrer*innen, die Kinder keine Regenbögen malen zu lassen. Bilder von Regenbögen in den Fenstern – etwas, das als Symbol der Hoffnung und als Dank an die Helfer in der Coronakrise weltweit gang und gäbe war – wurden in der Türkei als Teil eines „Komplotts“ angesehen, dessen Zweck es sei, Kinder zu Homosexuellen „umzupolen“. Erdoğan stellte sich hinter die Schulbehörden (wir berichteten).

Im Winter eskalierte die Situation vollends im Rahmen der Student*innenproteste an der Boğaziçi-Universität in Istanbul. Studentierende protestierten hier wochenlang gegen den von Recep Tayyip Erdoğan eingesetzten neuen Unidirektor Melih Bulu, der als treuer Gefolgsmann des Präsidenten gilt. Weil sie bei den Demonstrationen ein Kunstwerk zeigten, auf dem Regenbogen- und Transgenderflagge an der heiligsten Stätte des Islams, der Kaaba in Mekka, angebracht waren, wurden vier Studierende Ende Januar festgenommen (wir berichteten). Derzeit stehen sie wegen „Verunglimpfung des Islams" und „Aufstacheln zum Hass" vor Gericht. 

Foto: Diego Cupolo / NurPhoto via AFP

In der folgenden gesellschaftlichen Debatte verteufelte die türkische Regierung Regenbögen derart, dass sie kurzerhand anordnete, dass künftig alle LGBTIQ*- und Regenbogenprodukte, die online verkauft werden, für unter 18Jährige verboten sind. Sie müssen nun als als 18+ beworben und mit der Warnung versehen werden, dass sie die „geistige, psychologische und soziale Entwicklung“ von Kindern gefährden.

Obwohl das Zeigen des queeren Symbols in der Türkei technisch gesehen (noch?) kein krimineller Akt ist, werden in der Praxis diejenigen, die es wagen, die Flagge zu hissen, immer öfter von Behörden drangsaliert und sogar verhaftet. Die NGOs nutzten nun ein cleveres Schlupfloch: Es gibt keine Beschränkungen für einzelne Plakatwände. Tarik Beyhan, Direktor für Kampagnen und Kommunikation bei Amnesty International, erklärte, abgesehen von der Regenbogenflagge sei fast alles in bunten Farben inzwischen verboten. Farbig gestrichene Treppen würden grau umgestrichen, der Verkauf von Regenbogenprodukten wenn möglich unterbunden. 

„In einem solchen Umfeld ist es für uns eine Ehre, mit Organisationen zusammenzuarbeiten, die sich in verschiedenen Bereichen gegen Diskriminierung und Verbote einsetzen.“

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