Erdoğan eskaliert gegen Queers: „Terror, Unmoral, Perversion und Gewalt“

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Die seit Wochen andauernden Studentenproteste haben Ausmaße erreicht die offenbar als regimegefährdend eingestuft werden. In diversen türkischen Städten sind sie in dieser Woche von der Polizei brutal niedergeschlagen und Protestler festgenommen worden. Die Elite der Regierungspartei AKP bastelt derweil am Narrativ, die LGBTIQ*-Bewegung als Terror-Vereinigung darzustellen.

Am Montag wurden bei einer Kundgebung vor der Boğaziçi-Universität (auch Bosporus Universität genannt) in Istanbul zum Thema „Vetternwirtschaft, LGBT+-Phobie, Studierendenverhaftungen und anti-demokratische Praktiken“ 159 Menschen verhaftet, gleichzeitig kam es zu knapp 30, ebenfalls teilweise gewaltsamen Festnahmen bei einer Soli-Pride-Demonstration von Studierenden der Universität der Stadt Izmir. Im Laufe der Woche eskalierte die Situation in der Türkei zunehmend, besonders in Istanbul und Ankara. Bei weiteren Protesten wurden sogar Tränengas und Gummigeschosse eingesetzt. 

Ursache für die seit Januar anhaltende Protestwelle ist die Benennung des getreuen Erdoğan-Gefolgsmannes Melih Bulu (50), einen erzkonservativen Statthalter der Regierungsparteiung, zum neuen Direktor der Boğaziçi-Universität.

Damit prallten die zwei Weltanschauungen der Türkei direkt aufeinander: Progressive, junge Freidenker und konservative, rechtsgerichtete Kräfte. Die Protestler, darunter Akademiker*innen ebenso wie Student*innen, fordern seitdem den Rücktritt des 50-Jährigen – und dass die Universität ihren Leiter in Zukunft selbst bestimmen darf. Bulu betonte am Mittwoch noch einmal, er denke keinesfalls daran, zurückzutreten.


Innenminister spricht wiederholt von LGBT-Perversen

Am Sonntag (31. Januar) hetzte der türkische Innenminister Süleyman Soylu (51) auf Twitter offen gegen Queers: In einem Post schrieb er, dass „LGBT+ Perverse“ wegen „Respektlosigkeit gegenüber der Großen Kaaba“ festgenommen worden seien (männer* berichtete). Twitter setzte Soylus Tweet kurz darauf hinter einen Hinweis, der davor warnte, dass er die Regeln des sozialen Mediums für „hasserfülltes Benehmen“ verletze. Der Hinweis von Twitter lautet wie folgt:

„Dieser Tweet verstieß gegen die Twitter-Regeln für hasserfülltes Verhalten. Twitter hat jedoch festgestellt, dass es möglicherweise im Interesse der Öffentlichkeit liegt, dass der Tweet weiterhin verfügbar ist.“

Trotzdem wiederholte Soylu die Beschimpfung am Dienstag. Er twitterte, dass die türkische Regierung „LGBT+-Perverse, die versucht haben, das Büro des Rektors zu besetzen“ nicht tolerieren würde. Auch dieser Post wurde nach kurzer Zeit von Twitter mit einer Warnung markiert – allerdings ebenfalls nicht gelöscht.


Erdoğan schaltet sich ein

Grafik: Gerd Altmann / CC0

Nicht überraschend, dass homophobe Politiker der Türkei die Situation nutzten, um weiter Hass und Abneigung gegen Queers zu säen – allen voran der Präsident. In einer digitalen Rede, die er vor Mitgliedern seiner Partei hielt, lobte Recep Tayyip Erdoğan (66) die Jugend der AKP („Adalet ve Kalkınma Partisi“, deutsch: „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“) dafür, dass sie nicht queer sei und setzte LGBTIQ*-Aktivismus mit Kriminalität und Vandalismus gleich. So behauptete er, die AKP respektiere alle Ansichten und Identitäten – solange sie nicht mit „Terror, Unmoral, Perversion und Gewalt“ einhergingen. Er sagte: 

„Wir werden unsere Jugend in die Zukunft tragen, nicht als LGBT+-Jugend, sondern so wie die Jugend aus der glorreichen Vergangenheit dieses Landes.“

Der Präsident fuhr fort und wandte sich direkt an die Jugendlichen:

„Ihr seid nicht die LGBT+-Jugend. Ihr seid nicht die Jugend, die vandaliert, sondern ihr seid diejenigen, die die vandalisierten Herzen reparieren werden.“

Am Mittwoch sagte er in einer Videoansprache an Parteimitglieder dann, so etwas wie LGBT gebe es nicht. Das Land sei moralisch geprägt und würde mit diesen Werten in die Zukunft gehen. Im selben Atemzug bezeichnete er die Protestler als Terroristen, die keine nationalen und moralischen Werte besäßen.


Türkei fordert USA auf, in den Spiegel zu schauen

Die staatliche Homophobie, die queerfeindliche Volksverhetzung sowie natürlich die Gewalt gegen die Protestierenden wurden international aufs Schärfste verurteilt. Ned Price, der Sprecher des US-amerikanischen Außenministeriums, zeigte sich über die Festnahmen sowie die queerfeindliche Rhethorik sehr besorgt. Er schrieb auf Twitter:

„Wir beobachten die friedlichen Demonstrationen gegen die Ernennung eines neuen Rektors an der Boğaziçi-Universität in der Türkei genau. Wir sind besorgt über die Verhaftungen von Studenten und anderen Demonstranten und verurteilen die Anti-LGBTQI+-Rhetorik rund um die Demonstrationen aufs Schärfste.“

Daraufhin veröffentlichte das türkische Außenministerium am Donnerstag eine Erklärung, in der es sich eine Einmischung in die Angelegenheiten der Türkei verbat. Ohne ein Land explizit zu nennen, forderte das Ministerium seine Kritiker auf, in den Spiegel zu schauen. Es hieß, dass auch in Ländern, die kürzlich als „entwickelte Demokratien“ bezeichnet wurden, selbst geringe Einwände gegen die Regierung zu unverhältnismäßigem Einsatz von Sicherheitskräften gegen unschuldige und zivile Bürger führten. Die Bilder seien noch allgegenwärtig. 

Für Queers in der Türkei steht offenbar eine äußerst ungemütliche Pride-Saison ins Haus. 

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