Twitter unter Elon Musk: Zwischen Hassrede und selektiver „Meinungsfreiheit“

„Elon Musk hat allen Rassisten, Frauenhassern und Homophoben signalisiert, dass Twitter offen für Geschäfte ist“

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Mehr Hassrede denn je 

Grafik: CCDH

Mehrere Studien beweisen, dass Anti-LGBTIQ*-Beleidigungen auf Twitter enorm zugenommen haben, seit Musk die Plattform gekauft hat, und das obwohl Musk in einem Tweet das Gegenteil behauptete.

„Elon Musk hat allen Rassisten, Frauenhassern und Homophoben signalisiert, dass Twitter offen für Geschäfte ist,“

erklärt Imran Ahmed, Geschäftsführer vom Center for Countering Digital Hate (CCDH). Zusammen mit der Anti-Defamation League (ADL) und anderen Gruppen hat das CCDH herausgefunden, dass Anti-LGBTIQ*-Äußerungen exorbitant zugenommen haben und Homohasser seit Musks Übernahme der Plattform ein viermal schnelleres Follower-Wachstum verzeichnen (Quelle).

Grafik: CCDH

Außerdem sind rassistische Kommentare laut Berichten der New York Times auf 3.876 Mal pro Tag angestiegen. Allein in den ersten 12 Stunden nach Musks Übernahme ist die Nutzung des N-Worts um 500% gestiegen.

„Wer denkt bloß an die Kinder“-Rhetorik

Kürzlich wurde eine weitere Studie aus Zusammenarbeit von Media Matters und der LGBTIQ* Organisation GLAAD veröffentlicht. Sie zeigt, dass die „Groomer“-Rhetorik prominenter Anti-LGBTIQ*-Accounts seit der Übernahme durch Musk in ihrer Reichweite explodiert ist: die Anzahl der Retweets, in denen der Begriff verwendet wurde, ist um über 1200% gestiegen. 

Mit der sogenannten „Groomer“ Rhetorik nutzen Rechte und Konservative den Vorwand des Kindesschutzes um gegen LGBTIQ* Menschen zu hetzen. In den USA hat diese Rhetorik eine lange Tradition, wie man zuletzt am „Don't Say Gay“-Gesetz sehen konnte (männer* berichtete) – ob es nun darum geht, lesbische oder schwule Menschen der Pädophilie zu beschuldigen oder Pubertätsblocker mit Kindesmissbrauch gleichzusetzen. Die zugrundeliegende Botschaft ist, dass junge Menschen, die queeren Geschichten und Persönlichkeiten „ausgesetzt“ sind, für die LGBTIQ*-Community „rekrutiert“ würden.

2 in 1: In einem Tweet gegen Queers und HIV- und Corona-Legende

„My pronouns are Prosecute/Fauci.“

Mit diesem Tweet vom 11.Dezember hat Twitter-Chef Elon Musk eine Anklage des obersten Corona Beraters der US-Regierung, Anthony Fauci, gefordert. Fauci, welcher das Weiße Haus seit Beginn der Pandemie 2020 berät, wird vor allem von Rechten vehement angefeindet, und nach Musks Statement nahm die Situation ein neues Ausmaß an. Nachdem Fauci mehrere Todesdrohungen bekam, kündigte er an noch diesen Monat in den Ruhestand zu gehen. 

Die US.Regierung zeigt sich schockiert über den „unglaublich gefährlichen“ Angriff auf Fauci. Karine Jean- Pierre, eine Sprecherin des Weißen Hauses, bezeichnete die Aktion als „widerlich und abgekoppelt von der Realität“.

Foto: Angela Weiss, Mandel Ngan / AFP

Während rechte Politiker:innen und Follower ihre Zustimmung durch Kommentare und Retweets ausdrücken, empören sich demokratische und queere Stimmen über den Angriff. So bezeichnete LGBTIQ*-Aktivist:in und Lyric-CEO Laura Lala Chavez Musks Kommentar als

„einen weiterer Angriff auf die LGBTQIA+-Community, indem er etwas, das uns sehr wichtig ist - die Verwendung der richtigen Pronomen - in einen Witz oder eine Drohung gegen andere verwandelt.“

CSD-Berlin kündigt Gespräche mit Tesla an

Foto: B. Dummer

In der deutschen Queerbewegung begann kurz nach den erneuten Musk-Ausfällen eine Debatte, inwiefern die CSDs noch eine (Werbe)bühne für die Unternehmungen Elon Musks sein dürfen. Konkret hatten Beschäftigte des neuen Tesla-Werkes in Grünheide bei Berlin in diesem Sommer als Tesla-Fußgruppe beim Berliner CSD teilgenommen. Auf männer* Nachfrage teilte der Vorstand des Berliner CSD e. V., der gerade erste Eckdaten für den Berlin Pride Month 2023 veröffentlichte (blu berichtete) mit: 

„Wir sind uns der Situation und unserer Verantwortung bewusst. Daher erörtern wir die Frage intern mit der notwendigen Zeit und Tiefe. Wir werden zeitnah ein direktes Gespräch mit Tesla suchen bevor wir dazu öffentlich Stellung beziehen. Dies schulden wir den betroffenen Mitarbeiter:innen bei Tesla aus unserer Community.  Zu ihrem Schutz werden wir daher zu diesem Zeitpunkt noch kein inhaltliches Statement abgeben. Wir hoffen dafür auf Euer Verständnis.“ 

Musks transphobe Rethorik auf Twitter

Es ist allerdings nicht das erste mal, dass Elon Musk durch transphobe Tweets in die Missgunst der LGBTIQ* Community gerät. Bereits im Juli 2020, bevor er die Plattform besaß, tweetet er 

„Pronouns suck“ - „Pronomen sind scheiße“.

Auf die Bitte eines Nutzers hin, keinen Witz aus Pronomen zu machen, da diese wichtig für eine bereits marginalisierte Community seien und er dadurch weiteren Hass schüre, antwortete Musk:

„Seine Pronomen anderen aufzuzwingen, wenn sie nicht danach gefragt haben, und diejenigen, die nicht danach fragen, implizit zu ächten, ist weder gut noch freundlich zu jemandem.“

Besonders tragisch ist Musks Anti-trans*-Hetze vor dem Hintergrund, dass er selbst eine trans* Tochter hat. Erst Anfang diesen Jahres stellte diese einen Antrag auf Änderung des Namens und der Geschlechtszugehörigkeit von männlich zu weiblich. In den selben geleakten Gerichtsdokumenten erklärte die 18-Jährige auch, dass sie nicht länger „mit meinem biologischen Vater zusammenleben oder in irgendeiner Form mit ihm verbunden sein möchte.“ 

Musks Reaktion darauf grenzt an Gleichgültigkeit. Er scheint sich damit zu trösten, dass er noch neun andere Kinder hat. In einem Interview mit der Financial Times sagt er: „Sie [unsere Beziehung] kann sich ändern, aber ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu all den anderen.“

Foto: Jim Watson / AFP

Selektive „Meinungsfreiheit“

Schon bevor Musk Twitter im Oktober für umgerechnet etwa 44 Milliarden Euro übernahm ließ er verkünden, die Plattform wieder zu einem Ort der „grenzenlosen Meinungsfreiheit“ zu machen. Kritiker, wie Professor der Universität von Kalifornien in Berkeley, Robert Reich, bezeichnet diese Vision Musks allerdings als „gefährlichen Blödsinn“. Er wolle das Internet „noch weniger verantwortungsbewusst“ gestalten. Es gehe ihm nicht um Freiheit, sonder um Macht.

Mit der Übernahme Twitters hatte Musk eine Reihe von zuvor gesperrte Konten von Usern freigeschaltet, die zuvor wegen Hassrede deaktiviert wurden. Darunter war beispielsweise der Account vom ehemaligen US-Präsident Donald Trump oder der konservativen Parodie-Seite „The Babylon Bee“, welche sich über trans*gender Personen lustig machte.

Allerdings schaltete Musk nicht nur Konten frei: Er deaktivierte bereits eine Anzahl an Accounts, von denen sich einige gegen ihn persönlich richteten. Erst Donnerstagabend sperrte Twitter die Konten von US-Journalist:innen, die sich zuvor teilweise kritisch gegenüber Musk geäußert haben, ohne diesen Schritt zu begründen. Ryan Mac, ein Reporter der New York Times, twitterte dazu von einem neuen Account:

„Ich habe keine Warnung erhalten. Ich habe weder eine E-Mail noch eine Mitteilung des Unternehmens über den Grund der Sperrung erhalten. (...) Ich berichte über Twitter, Elon Musk und seine Unternehmen. Und das werde ich auch weiterhin tun.“

Auch der Account von der konkurrierenden Platform Mastodon wurde gesperrt. Außerdem wurde Anfang der Woche das Profil @ElonJet deaktiviert, welcher die Nutzung von Musk's Privatjet verfolgte, sowie letzten Monat der Account von Komikerin Kathy Griffin, die die neuen, gelockerten Twitter Regelungen nutzte, um ihren Namen zu Elon Musk zu ändern und Dinge wie „VoteBlueForDemocracy“ zu twittern. 

Foto: Jonathan Raa / NurPhoto / AFP


Kommentar: Hass ist keine Meinung

Auf die Ironie, wenn sich Musk auf vermeintliche „Meinungsfreiheit“ beruft und im gleichen Atemzug Konten sperrt, die ihm nicht in den Kram passen, muss man nicht aufmerksam machen. Die Art der „Meinungsfreiheit“ die Musk verfolgt ist allerdings nicht nur heuchlerisch, sondern auch gefährlich. Wenn gegen Queers und andere marginalisierte Gruppen im Internet gehetzt wird, ist das nicht nur psychisch belastend, sondern auch in der Realität gefährlich. Es ist kein Zufall, dass sich queerfeindliche Angriffe häufen, wenn wir online entmenschlicht werden und wenn das gesellschaftliche Narrativ entsteht, Queers seien verantwortlich für alle möglichen Probleme.

Das österreichische No Hate Speech Komitee, das sich gegen Hassrede im Netz einsetzt, formuliert treffend:

Meinungsfreiheit endet dort, wo andere Menschen öffentlich herabgewürdigt, beschimpft und beleidigt werden. (...) Von Hassrede sind marginalisierte Gruppen besonders betroffen: Lesben, Schwule, Menschen mit Behinderung, Flüchtlinge, Muslime und Musliminnen, Juden und Jüdinnen. Gegen Hate Speech aufzutreten heißt auch, gegen Diskriminierung aufzutreten.

Hassrede keine Plattform zu geben ist keine Einschränkung der Meinungsfreiheit, denn Hass und Diskriminierung sind keine Meinungen. #nohatespeech #holdmuskaccountable *Dinah Potthoff

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