Schwule als „Virenschleuder“: Südkorea und eine Warnung von UNAIDS

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Foto: Wave New / Pixabay / CC0

 „Wir können nicht die Verantwortung für Demonstrationen übernehmen, seien sie auch noch so klein geplant.“ Für diese vermeintliche Hasenfüßigkeit mussten sich CSD-Vorstände in Deutschland einiges anhören. In Südkorea führt aktuell der COVID-19-Fall eines homosexuellen Mannes zu öffentlicher Panik vor Massen-Outings. UNAIDS warnt und startet mit Mpac ein Online-Meldeportal gegen Diskriminierung und Diffamierung. 

Das Szenario in Südkorea 

In der südkoreanischen Hauptstadt Seoul hat ein mit COVID-19 infizierter junger Mann vergangenes Wochenende mehrere Klubs im Szene-Viertel Itaewon besucht und das Virus an andere weitergegeben. Den Angaben zufolge werden 86 Neuinfektionen mit Klubbesuchern oder Kontaktpersonen in Verbindung gebracht. Ganz Südkorea befürchtet nun, die Homosexuellen-Szene könnte der Ausgangspunkt einer zweiten Corona-Infektionswelle sein.

Alle Nachtklubs, Hostessenbars und Diskos in der Hauptstadt wurden wieder dichtgemacht, die Gesundheitsbehörden bemühen sich darum, alle Besucher der Klubs und Bars ausfindig zu machen, die sich gleichzeitig mit dem positiv getesteten Mann dort aufgehalten haben.

Die Stadt geht von mehr als 5.000 Menschen aus, etwa die Hälfte habe man erreicht, sagte Seouls Bürgermeister Park Won Soon. Und fügt hinzu:

„Wer sich nicht testen lässt, dem droht eine hohe Geldstrafe.“

Das Problem: Offensichtlich haben viele Besucher falsche Kontaktdaten angegeben, „um der zweiwöchigen Selbstquarantäne zu entgehen“, wie die Tagesschau mutmaßt. Doch für die Betroffenen geht es um viel mehr. Denn jeder, der sich bei den Behörden meldet, riskiert ein Zwangs-Outing. Neuinfizierte werden von den Behörden veröffentlicht – zwar anonymisiert, doch mit Angaben zu Alter, Nationalität, Wohnbezirk und Bewegungsabläufen während jener Nacht. 

„Jeder, den ich kenne, hat regelrechte Panik“, sagte der queere Künstler Heezy Yang aus Seoul: „Wir wissen darum, welche Folgen die HIV-Epidemie in unserer Community hatte.“

Südkorea kein Einzelfall – UNIADS warnt

In einer Pressemitteilung haben UNAIDS und MPact Global Action for Gay Men’s Health and Rights schon vor zwei Wochen davor gewarnt, dass schwule Männer auf der ganzen Welt für COVID-19 verantwortlich gemacht und diskriminiert werden.

„Alle Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Ausrichtung, Geschlechtsidentität oder ihrem Geschlechtsausdruck, haben ausnahmslos Anspruch auf das Recht auf Gesundheit, Sicherheit und Schutz. Respekt und Würde sind heute mehr denn je gefragt“, sagte Winnie Byanyima, Exekutivdirektorin des Joint United Nations Programme on HIV/AIDS, in der Pressemitteilung.

„HIV hat uns gelehrt, dass Gewalt, Mobbing und Diskriminierung nur dazu dienen, die bedürftigsten Menschen weiter zu marginalisieren.“

Winnie Byanyima

Organisationen wie UNAIDS oder MPact erhalten vermehrt „Berichte, dass Regierungs- und Religionsführer in einigen Ländern falsche Behauptungen aufstellen und Fehlinformationen über COVID-19 veröffentlichen, die zu Gewalt und Diskriminierung von LGBTI-Personen (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle) geführt haben“, sagte George Ayala, Geschäftsführer von MPact, in dem Schreiben. „Organisationen und Häuser werden durchsucht, LGBTI-Menschen werden geschlagen, außerdem gibt es eine Zunahme an Verhaftungen und drohende Abschiebungen von LGBTI-Asylbewerbern.“ Dadurch werde es für Betroffene oft noch schwieriger, gesund zu bleiben, Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erhalten oder ihre grundlegenden Menschenrechte auszuüben.

Foto: https://mpactglobal.org

Auch seien Anwälte zunehmend besorgt darüber, dass Regierungen – wie in Südkorea bereits geschehen – Internet- und Smartphone-Technologie einsetzen, um die Bewegungen der Menschen während der Ausgangssperren zu verfolgen.

 „Schwule Männer und Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität sind oft die ersten Ziele und gehören zu den am stärksten von den Überwachungsbemühungen Betroffenen.“

George Ayala

Online-Kummerkasten für Betroffene

Um Diskriminierung und Missbrauch entgegenzuwirken, haben UNAIDS und MPact eine Liste von Maßnahmen veröffentlicht, die Länder und Regierungen ergreifen sollen. Die Liste beinhaltet Punkte wie die Beendigung von Razzien bei LGBTIQ*-Organisationen und die Anprangerung von Fehlinformationen, die LGBTIQ*ʼs für die Verbreitung von COVID-19 verantwortlich machen, aber auch die Aufforderung einer stärkeren Einbeziehung von LGBTIQ*-Leuten in Medienkampagnen oder Vorhaben des öffentlichen Gesundheitswesens im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie.

Für Betroffene hat MPact eine Webseite eingerichtet, um Vorfälle von Belästigung, Gewalt und Missbrauch während der COVID-19-Pandemie verfolgen und dokumentieren zu können. Jeder, der unangemessene, demütigende oder gewalttätige Handlungen vonseiten der Polizei oder anderer Täter erfahren hat, kann dies an MPact melden – entweder über ein downloadbares Tool oder direkt über die Webseite.


*Titelbild: Homosexuelle, Sexarbeiter*innen & Muslime. Im Stadtteil Itaewon befindet sich neben dem Ausgeh- auch das Rotlichtviertel und die Zentralmoschee von Seoul. Eine Mischung, die für viele Großstädte typisch ist: Minderheiten gettoisieren sich dort, wo die bürgerliche Mehrheitsgesellschaft nur mit gerümpfter Nase oder Volltrunken agiert. 

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